Religionspädagoge zum Umgang mit Kindern in der Corona-Phase

"Kinder nicht ihren Ängsten überlassen"

Man müsse in dieser Zeit viel mit seinen Kindern sprechen und Strukturen schaffen, so sagt der Religionspädoge Albert Biesinger zum Umgang mit Kindern während der Corona-Pandemie.

Autor/in:
Michael Jacquemain
Kindern nicht den eigenen Ängsten überlassen / © Christin Lola (shutterstock)
Kindern nicht den eigenen Ängsten überlassen / © Christin Lola ( shutterstock )

KNA: Herr Professor Biesinger, halten Sie sich an die Ausgangsbeschränkungen?

Albert Biesinger (emeritierter Professor für Religionspädagogik an der Universität Tübingen​): Ja, ganz streng.

KNA: Dann können Sie sich also nicht wie sonst intensiv um die Enkelkinder kümmern?

Biesinger: Doch, denn Kontakt geht auch anders. Wir machen jetzt Videokonferenzen und kommunizieren über Whatsapp - der Austausch ist sogar intensiver geworden. Die Enkel, die in der Nähe wohnen, kommen zu uns vor das Haus, und wir sprechen vom Balkon mit ihnen. Für Enkelkinder ist es sehr wichtig zu wissen, dass es den Großeltern gut geht. Schade ist natürlich, dass wir uns nicht gegenseitig in den Arm nehmen können.

KNA: Was empfehlen Sie in dieser Phase Eltern?

Biesinger: Kindern einen strukturierten Tageslauf zu organisieren. Sie brauchen auch und gerade jetzt einen Rhythmus. Und Kindern beibringen, sich selbst zu beschäftigen. Wir müssen als Erwachsene Kindern Mut zusprechen, aus nur besorgten Gesichtern auch manchmal strahlende machen. Kinder brauchen die Hoffnung: Es wird wieder anders und besser.

KNA: Wie steht es um die religiöse Ebene?

Biesinger: Zum Beispiel kann ein regelmäßiges längeres Abendritual helfen, um mit Kindern den Tag zu reflektieren. Wie ist es heute gelaufen? Dabei können wir uns Gott anvertrauen. Gott kann das Virus nicht wegzaubern, aber er haut auch nicht ab, wenn es dunkel wird. Wir können um Kraft beten, damit sich alle an die Regeln halten und Verantwortung übernehmen. Kinder ärgern sich ja auch über diejenigen, die sich an nichts halten.

KNA: Können Kinder in dieser Phase psychische Schäden erleiden?

Biesinger: Ja, wenn wir sie ihren Ängsten überlassen. Kindern fühlen auf einer zweiten Ebene die Ängste der Erwachsenen, und wir müssen deshalb alle aufpassen, Kindern nicht die eigenen Ängste aufzudrücken, indem dauernd die Pandemie thematisiert wird.

KNA: Die Kirchen reagieren unter anderem damit, Gottesdienste zu streamen. Wie finden Sie das?

Biesinger: Goldrichtig. Es geht aber darum, vor Ort Strukturen aufzubauen und nicht nur Messfeiern aus Domen zu übertragen. Vor Ort ist wichtig. Bei uns hat der Pfarrer - obwohl er selbst in Quarantäne ist - einen Gottesdienst aus seinem Wohnzimmer mit hohen Einschaltzahlen gestreamt, in der Nachbarpfarrei hatten die Seelsorger dazu aufgerufen, eigene Bilder ans Pfarrbüro zu senden. Die wurden zu Hunderten ausgedruckt und an die Kirchenbänke geklebt. Das wurde während der Übertragung abgefilmt. Ich fand das sehr berührend.

KNA: Manche versuchen, eine Parallele zwischen den im Alten Testament beschriebenen Plagen und der Sintflut mit Corona zu ziehen.

Biesinger: Wer Corona als Strafe Gottes sieht, macht aus Gott einen kleinlichen Strafgötzen, der sich für was auch immer rächen will. Das entspricht lediglich dem Bedürfnis nach Rache in manchen rechtskonservativen Kreisen. Die Globalisierung befördert Pandemie-Risiken, aber das hat nichts mit Gott zu tun. Plagen waren und sind ein Teil der Evolution. Die jesuanische Verheißung lautet: Gott ist ein Gott des Lebens, und er will heilen. Es geht um Vergebung und Barmherzigkeit. Formale Ablassregelungen, wie sie jetzt aus Rom kommen, empfinde ich dagegen als ein bisschen mittelalterlich.


Albert Biesinger / © Harald Oppitz (KNA)
Albert Biesinger / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
KNA