Wie Einrichtungen für Obdachlose mit der Krise umgehen

"Die Menschen suchen die Nähe zueinander"

Suppenküchen und Notunterkünfte: Obdachloseneinrichtungen versuchen, zu den Betroffenen räumliche Distanz zu wahren - und trotzdem die Versorgung aufrechtzuerhalten. Sie bitten die Bürger um Spenden und Solidarität.

Autor/in:
Nina Schmedding
Obdachloser vor dem Brandenburger Tor / © Theo Duijkers (shutterstock)
Obdachloser vor dem Brandenburger Tor / © Theo Duijkers ( shutterstock )

Wenn Bernd Backhaus über Hamsterkäufe spricht, wird er sauer. "Jeder sollte sich vorstellen, wie es ist, wenn man mitkriegt, dass die Leute hamstern - und gleichzeitig zu wissen, dass man selbst auch in der größten Not nie dazu in der Lage wäre, weil man weder Geld noch Stauraum hat", sagt der Leiter der Suppenküche der Franziskaner in Berlin-Pankow mit Nachdruck.

Mindestens 2.000 Obdachlose gibt es in Berlin, so das Ergebnis von Berlins erster Obdachlosenzählung im Januar. Was machen obdachlose Menschen, die kein Zuhause haben, in Zeiten des Coronavirus, in denen sich jeder in seine eigenen vier Wände zurückzieht? Stehen die Notunterkünfte noch zur Verfügung? Wie kann in Suppenküchen körperliche Distanz gewahrt werden?

Zu den Franziskanern in Berlin-Pankow kommen manchmal bis zu 200 Menschen zur mittäglichen Essensausgabe, zur Zeit sind es etwa 120.

Bewusst keine Sitzmöglichkeiten mehr

Der Saal wurde geschlossen und die Essensausgabe in den Innenhof verlagert. Sitzmöglichkeiten gibt es dort bewusst keine, statt Suppe werden Butterbrote ausgegeben, die man auch im Stehen essen kann.

"Damit sich die Menschen nicht zu nah auf die Pelle rücken", begründet Backhaus die Maßnahme. Denn auch wenn die Organisatoren deutliche Ansagen machen, zu Wahrung des Abstands aufrufen, weil die Ausgabestelle sonst dicht gemacht werden muss - es bleibe trotzdem schwierig: "Jeder hat in diesen Zeiten das Bedürfnis eng zusammenzustehen. Und die Menschen, die zu uns kommen, haben meist keine Familie. Also suchen sie die Nähe zueinander."

Backhaus appelliert an die Solidarität der Bevölkerung: "Unterstützen Sie die Menschen vor Ort, damit sie nicht durch ganz Berlin fahren müssen, um Hilfe in einer Obdachloseneinrichtung zu bekommen." Ursula Snay vom Sozialdienst katholischer Frauen, der spezielle Notunterkünfte für Frauen unterhält, sieht es genauso: Am besten sei es, "die obdachlosen Menschen zu fragen, ob und was sie an Unterstützung benötigen. Eine Flasche Wasser, eine Tasse Tee oder ein geschmiertes Butterbrot kann die erste Not lindern."

Doch mit der Solidarität hapert es in Krisenzeiten manchmal. Jedenfalls empfinden das die Verkäufer der Straßenzeitungen zur Zeit so. Der Verkauf sei quasi zum Erliegen gekommen, schreibt der Gründer der Zeitung "fifty-fifty", Hubert Ostendorf, im aktuellen Heft. Die Verkäufer klagten, dass sie die Angst der Menschen, die an ihnen vorbeigehen, spürten - "als seien sie besonders verseucht". Sie würden bewusst gemieden, ihre Zeitung am liebsten nicht angefasst.

Eine Angst, die Barbara Breuer, Pressesprecherin der Berliner Stadtmission, entkräften will. Obdachlose seien weder in Tirol zum Skifahren gewesen und auch nicht ständig auf Dienstreise. "Die Gefahr der Ansteckung in die andere Richtung ist da vermutlich größer", so Breuer. Auch habe es bisher - anders als etwa in Hamburg, wo 300 Menschen unter Quarantäne stehen - unter den Berliner Obdachlosen keinen Fall von Ansteckung gegeben.

Problem mit Schutzräumen für Obdachlose

Damit das auch so bleibt, müsste die Einrichtung eigentlich anders aufgestellt sein: Breuer weiß, dass die Stadtmission, die in Berlin 327 Plätze in der Kältehilfe anbietet, die empfohlene Distanz zum Nächsten bei Notübernachtungen, in denen bis zu sechs Personen in einem Raum schlafen, nicht erfüllen kann. "Wir haben aber bisher keine Alternative", sagt sie. Der Berliner Senat arbeitet noch an einem Konzept für einen Schutzraum für obdachlose Menschen.

Ein anderes Problem: Viele ältere ehrenamtliche Helfer fallen aus, weil sie keinem Ansteckungsrisiko ausgesetzt werden sollen. Auch direkte Spenden für Obdachlose gebe es weniger, weil die Bevölkerung einfach weniger unterwegs ist, sagt sie. "Die Becher werden nicht mehr gefüllt."

Noch seien die Menschen relativ gut versorgt, die Stimmung entsprechend gelassen, findet Breuer: Das, was für viele andere jetzt wegfällt, wie etwa der Museumsbesuch oder die Urlaubsreise, gehört für Obdachlose ja ohnehin nicht zum Alltag. Damit die Versorgung weiter funktioniert, ruft auch sie zur Solidarität auf: "Geld, Lebensmittel, Zeit: Wenn Sie Ressourcen in irgendeiner Form haben, helfen Sie uns."


Quelle:
KNA
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