Menschenrechtler verurteilt Anschläge in Nigeria

Christen als Hauptopfer

Die Gewalt in Nigeria nimmt zu. Im Süden des Landes sind jüngst mindestens 16 Christen nach dem Besuch einer Messe ermordet worden. Doch nicht nur Christen werden zur Zielscheibe, wie Menschenrechtler Martin Lessenthin erklärt.

Gebet für die Opfer / © Atef Safadi (dpa)
Gebet für die Opfer / © Atef Safadi ( dpa )

DOMRADIO.DE: Unbekannte Täter schossen laut Medienberichten in der Stadt Omoku wahllos auf Menschen, die nach dem Gottesdienst auf dem Heimweg waren. Solche Übergriffe auf Christen sind in Nigeria leider keine Seltenheit, oder?

Martin Lessenthin (Vorstandssprecher der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte / IGFM): Das muss ich leider bestätigen. Es ist keine Seltenheit. Die Täter sind oft Boko Haram oder einer Abspaltung dieser islamistischen Terrorgruppe zuzuschreiben, die dem sogenannten Islamischen Staat einen Treueeid abgelegt hat. Aber nicht alle Angriffe sind allein auf diese Gruppen zurückzuführen.

DOMRADIO.DE: Nigeria unterteilt sich in einen mehrheitlich muslimischen Norden und einen christlichen Süden. Zeigen Attentate wie das aktuelle, dass die Regierung nicht in der Lage ist, die Christen im Land ausreichend zu schützen?

Lessenthin: Das wird damit auf jeden Fall dokumentiert. Aber ich möchte noch weiter gehen. Die Regierung ist auch nicht in der Lage, Muslime zu schützen. Boko Haram hat deutlich gemacht, dass sie einen sunnitischen, totalitären Gottesstaat wollen. In diesem totalitären Gottesstaat haben weder moderate Muslime, noch Muslime anderer Konfessionen, wie beispielsweise Schiiten Platz.

Hauptopfer sind Christen, weil es sich natürlich gut macht, diese zunächst aus dem Norden zu vertreiben. Aber die Auseinandersetzungen haben inzwischen weite Teile des Landes erfasst und spielen sich nicht allein im Norden ab. Und es sind auch nicht nur Täter, die Boko Haram oder einer abgespaltenen Gruppe zuzuordnen sind, sondern es handelt sich hier auch um lokale Gruppen, um kriminelle Banden und um islamistische oder zumindest militant islamische Gruppen aus dem Bereich der Fulani (ein ursprünglich nomadisierendes Hirtenvolk in Westafrika, Anmerk. d. Red.)

DOMRADIO.DE: Auch bei dem aktuellen Anschlag soll es sich nicht um Boko Haram gehandelt haben, oder?

Lessenthin: Das wird spekuliert. Aber wie so vieles in Nigeria ist das Ganze nicht so schnell aufzuklären. Es ist gut möglich, dass hier einfach nur Terror und Schrecken von kriminellen Banden verbreitet werden soll. Es ist aber auch möglich, dass es sich um Anschläge handelt, die bewusst in den Süden getragen werden, um zu zeigen, dass Boko Haram noch existent ist und dass die Organisation noch viel mehr kann, als ihr zuletzt zugeschrieben wurde.

DOMRADIO.DE: Der amtierende Präsident Muhammadu Buhari ist selbst Moslem. Wie hat er sich bisher der christlichen Bevölkerung gegenüber verhalten?

Lessenthin: Buhari behandelt sein gesamtes Land schlecht. Egal, welcher Konfession die Menschen angehören. Buhari ist als der große Saubermann angetreten. Er ist ein Ex-General, der gesagt hat, er sorge für Recht und Ordnung und beende vor allem die Korruption. Schaut man auf die Amtszeit Buharis und auf das, was er geleistet hat, so hat er alle seine Versprechen nicht einlösen können - auch nicht die totale Vernichtung von Boko Haram. Er ist eigentlich rundweg gescheitert und Nigeria steht heute schlechter da, als vor der Wahl von Buhari.

DOMRADIO.DE: Nigeria ist mit über 180 Millionen Einwohnern das bevölkerungsreichste Land Afrikas und damit natürlich auch ein sehr wichtiges - auch für Europa mit Blick auf potenzielle Flüchtlinge. Was erwarten Sie von der deutschen Politik? Wie soll oder wie muss sie sich Nigerias Regierung gegenüber verhalten?

Lessenthin: Wie auch gegenüber anderen autokratisch geführten Staaten erwarten wir von der Bundesrepublik und den EU-Partnern, dass Fortschritte im menschenrechtlichen Bereich eingefordert werden und dass Gesten des Zusammenwirkens und handfeste Zusammenarbeit davon abhängig gemacht werden, wie diese Fortschritte aussehen.

Bei Nigeria wäre beispielsweise ganz dringlich, dass der oppositionelle Daniel Elombah freigelassen wird, der am Neujahrstag verhaftet wurde, weil er Buhari kritisiert hatte. Das ist ein Zeichen dafür, wohin der Weg in Nigeria geht. Es ist nicht nur ein Weg von Übergriffen, Terror und Tötung durch Extremisten und Kriminelle, sondern es ist auch ein Weg weg von Meinungsfreiheit und weg von jeder Art von Kritik gegenüber Fehlleistungen der in der Regierungsverantwortung handelnden Personen. Hier geht es nicht so weiter, dass man immer wieder Vertrauensvorschüsse und Vorleistungen bringt, ohne zu sehen, was Nigeria tatsächlich positiv gestaltet und was sich verändert.

Das Interview führte Aurelia Rütters.


Martin Lessenthin / © Internationale Gesellschaft für Menschenrechte / IGFM
Martin Lessenthin / © Internationale Gesellschaft für Menschenrechte / IGFM
Quelle:
DR