Indonesien am religiösen Scheideweg

Blasphemie als Waffe

Am 15. Februar will der Christ "Ahok" Purnama als Gouverneur Jakartas wiedergewählt werden. Für muslimische Hardliner ist das der lange gesuchte Anlass, die säkulare Grundlage Indonesiens offen infrage zu stellen.

Autor/in:
Michael Lenz
Christen in Indonesien unter Druck / © Debbie Hill (epd)
Christen in Indonesien unter Druck / © Debbie Hill ( epd )

Es ist eine moderne David-und-Goliath-Geschichte. Der Goliath ist Rizieq Shihab, Vorsitzender der radikalen, ein paar Millionen Mitglieder zählenden Islamischen Verteidigungsfront (FPI). Angelo Wake Kako als Vorsitzender der Katholischen Studentenunion Indonesiens (PMKRI) ist der kühne David. Katholiken sind in der weltweit größten muslimisch geprägten Nation eine Minderheit.

Die Studentenunion hat Rizieq Shihab wegen Blasphemie angezeigt, weil dieser sich zu Weihnachten über das Christentum lustig gemacht hatte: "Wenn Jesus der Sohn Gottes ist, wer war dann die Hebamme?" Kurz zuvor hatte Rizieq Shihab seinerseits den christlichen Gouverneur von Jakarta angezeigt, Basuki Tjahaja Purnama. Der meist bei seinem Spitznamen "Ahok" genannte Politiker hatte der FPI vorgeworfen, mit einem Koranvers den Muslimen weismachen zu wollen, keinen Andersgläubigen wählen zu dürfen. Ahok steht inzwischen wegen Blasphemie vor Gericht.

Die FPI wirbelte zum Jahresende mit zwei Massendemonstrationen mit Millionen von Teilnehmern die indonesische Politik durcheinander. Die Demonstrationen waren eine schwere Niederlage der beiden staatstragenden, zusammen rund 70 Millionen Mitglieder starken islamischen Organisationen Nahdlatul Ulama und Muhammadiyah. Beide hatten ihre Mitglieder vergeblich aufgerufen, die FPI-Kundgebungen zu meiden.

Folgenreiche Verschiebung in der Zivilgesellschaft?

"Der Islam als solcher meldet sich zu Wort, und seine Vertreter sind die Hardliner", sagt der Jesuit Franz Magnis-Suseno. Das könne eine für Indonesien folgenreiche Verschiebung der Gewichte in der Zivilgesellschaft bedeuten. "Rizieq Shihab ist zum neuen Sprecher - Groß-Imam - des indonesischen Islam aufgestiegen", so der in Jakarta lebende Philosophieprofessor. Ihn erinnert diese "Politik der islamischen Identität" an den Erfolg von Donald Trump in den USA. Wie der neue US-Präsident scheue auch Rizieq Shihab nicht vor der Verdrehung historischer Fakten, vor Lügen und rassistischer Propaganda zurück, um jene Indonesier zu mobilisieren, die sich sozial und wirtschaftlich als Verlierer sehen.

Die FPI agiert nicht ohne Unterstützung. Eine Gruppe pensionierter Generäle will laut Ansicht von Magnis-Suseno die nach dem Sturz von Diktator Suharto eingeführte demokratische Verfassung "notfalls staatsstreichartig" rückgängig machen. "Wer hat denn die Demonstrationen finanziert?", fragt der Jesuit und warnt mit Blick auf Pakistan vor dem "Zia-ul-Haq-Syndrom". Der frühere Ministerpräsident und General Zia-ul-Haq glaubte in den 80er Jahren, die islamistischen Extremisten nach Belieben für seine Zwecke nutzen zu können. Das ging schief.

Zeichen gegen Bedrohung der säkularen demokratischen Grundlage

Der Katholik Angelo Wake Kako will mit der Anzeige von Rizieq Shihab ein Zeichen gegen die Bedrohung der säkularen demokratischen Grundlage Indonesiens setzen. "Indonesien ist mit seinen vielen Religionen, Ethnien und Kulturen einzigartig. Unsere nationale Identität ist die Pancasila. Die FPI aber ist das genaue Gegenteil der Pancasila", sagt der 27-jährige Doktorand. Die Pancasila, das sind die fünf Grundsätze der säkularen Verfassung Indonesiens, zu denen das Bekenntnis zur "All-Einen Göttlichen Herrschaft" und die Religionsfreiheit gehört.

Inzwischen liegen vier weitere Anzeigen wegen Blasphemie als auch der Missachtung der Pancasila gegen Rizieq Shihab vor - von Muslimen. "Sollte Rizieq vor Gericht kommen und gar für schuldig befunden werden, könnte die radikal-islamische Identitätswelle noch einmal gestoppt werden", glaubt Pater Magnis-Suseno." Aber damit allein sei es nicht getan. Vielmehr müsse die soziale Ungleichheit wirksam bekämpft werden, betont der Jesuit.

Die muslimischen Wähler in Jakarta scheinen unterdessen selbstbewusster zu sein, als es der FPI lieb ist. Umfragen zufolge hat der Christ Ahok derzeit gute Chancen auf eine zweite Amtszeit.


Quelle:
KNA