domradio.de-Interview zu Christen in Syrien

Wenn geistliche Zentren zerstört werden

Die Christen im syrischen Aleppo sehen sich gezielten Angriffen ausgesetzt - wie etwa kürzlich eines Bombenangriffs auf die katholische Kirche. In der Region gehe die Zahl der Christen immer weiter zurück, erzählt Berthold Pelster von Kirche in Not.

Kreuz im syrischen Maalula / © Karin Leukefeld (KNA)
Kreuz im syrischen Maalula / © Karin Leukefeld ( KNA )

domradio.de: Aleppo liegt in Trümmern. Ist es nicht verwunderlich, dass dort überhaupt noch Christen leben?

Berthold Pelster (Hilfswerk Kirche in Not): Es ist verwunderlich, dass in dieser Stadt überhaupt noch Menschen leben. Große Teile der Stadt sind zerstört, die Menschen leben in Ruinen und müssen ihre Wohnräume notdürftig flicken, wenn wieder Bomben gefallen sind. Es ist also eine ganz dramatische Lage.

domradio.de: Wie muss man sich den Alltag der Christen in Aleppo vorstellen?

Pelster: Die Christen erleben in dem ganzen Chaos immer wieder ganz gezielte Angriffe auf ihre Einrichtungen, auf ihr Leben sozusagen. Das ist zum Beispiel am vergangenen Sonntag passiert. Wie alle Menschen in Aleppo müssen sie um das Überleben kämpfen. Das steht an erster Stelle und das ist schwierig, weil viele Menschen keine Arbeit haben. Man kann sich leicht vorstellen, dass das normale Alltagsleben nicht mehr funktioniert.   

domradio.de: Der Anschlag auf die Kirche am Sonntag ist ja noch vergleichsweise glimpflich ausgegangen. Ist es ein Trend, dass die Gewalt gegen Christen in Syrien zunimmt?

Pelster: Der Pfarrer der römisch-katholischen Gemeinde von Aleppo hat uns gesagt, dass es nicht der erste Anschlag auf seine Kirche war. Es hat wiederholt in den vergangenen Monaten Anschläge gegeben. Meistens sind die Bomben danebengegangen, haben andere Häuser in der direkten Umgebung getroffen. Diesmal hat eine Gasflasche das Kuppeldach der Kirche getroffen, ist aber wohl abgeprallt und hinuntergerollt, bevor die Bombe explodieren konnte. Die Menschen dort haben großes Glück gehabt, das Ganze ist nämlich während der sonntäglichen Eucharistiefeier passiert. Die Bombe hat die Kirche also mitten im Gottesdienst getroffen. Wenn die Bombe auf dem Dach explodiert wäre, hätte es wahrscheinlich viele Tote gegeben. 

domradio.de: Die Lage in Syrien ist unübersichtlich. Es gibt das Assad-Regime, es gibt viele Rebellengruppen. Vom wem dürften denn diese Anschläge auf Christen ausgehen?

Pelster: Der Pfarrer vermutet militante Islamisten dahinter. Das können Angehörige der Rebellengruppen sein, möglicherweise auch Angehörige des IS. Allerdings sind die in Aleppo kaum vertreten. Sie haben ihr Herrschaftsgebiet aber nur wenige Kilometer von Aleppo entfernt. Es ist natürlich möglich, dass IS-Kämpfer versteckt in die Stadt geschickt werden - mit dem Ziel die christliche Gemeinde zu vernichten oder zu vertreiben.

domradio.de: Wie unterstützt Ihr Hilfswerk die Christen in der Region?

Pelster: Wie gesagt, die Menschen müssen tagtäglich um ihr Überleben kämpfen. Viele sind arbeitslos. Die, die noch da sind, sind ja diejenigen, die kein Geld haben, um zu flüchten. Das sind also die Ärmsten der Armen. Die frühere Mittelschicht ist verarmt und die, die früher schon arm waren, leben im größten Elend. Man muss diesen Menschen also helfen, dass sie etwas zu essen haben. Jetzt naht der Winter. Da finanziert Kirche in Not Erdöl, damit die Menschen ihre Heizungsanlagen betreiben können, sofern die noch funktionieren. Es müssen also auch Reparaturen finanziert werden. Humanitäre Hilfe steht an erster Stelle. 

domradio.de: Wie lange wird es in der Region noch christliches Leben geben?

Pelster: Das ist schwer zu sagen. Aber die Entwicklungen sind wirklich erschreckend. Wir beobachten das schon seit vielen Jahren. Seit der Krieg in Syrien ausgebrochen ist, hilft Kirche in Not vor Ort. Viele sind in andere Teile des Landes, in den Libanon, in die Türkei oder nach Europa geflüchtet. Die Zahl der Christen geht immer weiter zurück. Viele Kulturgüter der Christen sind bereits zerstört. Der Pfarrer hat gesagt, dass die Kirche St. Franziskus eine der letzten noch funktionierenden Kirchen in der Nachbarschaft von Aleppo ist. Wenn so eine Kirche weg ist, fehlt den Menschen natürlich auch das geistliche Zentrum, das ihnen noch Halt geben könnte. 

domradio.de: Was kann man von Deutschland aus für die Menschen in Syrien machen?

Pelster: Unbedingt notwendig ist humanitäre Hilfe. Und die Politiker müssten versuchen, die entscheidenden Kriegsparteien zu motivieren, an einen Tisch zu kommen. Aber das scheint ja ziemlich aussichtslos. Deshalb lässt sich nicht absehen, wie lange dieser Krieg noch weitergehen wird.

Das Interview führte Mathias Peter.


Quelle:
DR