Gedenkgottesdienst für Völkermord an den Armeniern

"Ein Menschlichkeitsverbrechen"

Mit einem ökumenischen Gottesdienst im Berliner Dom haben die Kirchen an die Vertreibung und Vernichtung der Armenier vor 100 Jahren erinnert. Kardinal Marx sprach von einem Menschheitsverbrechen, Bundespräsident Gauck von Völkermord.

Bundespräsident Gauck beim Ökumenischen Gottesdienst (dpa)
Bundespräsident Gauck beim Ökumenischen Gottesdienst / ( dpa )

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, sprach in seiner Predigt von einem "Menschheitsverbrechen". Solche Gewalttaten konfrontierten die ganze Menschheit und jeden Einzelnen "mit den moralischen Abgründen, die wir alle als Möglichkeit in uns tragen". Immer mehr Staaten sowie politische und religiöse Führer in aller Welt bezeichneten diese Ereignisse inzwischen als Völkermord, so der Kardinal. Auch Papst Franziskus habe dies getan.

"Verdrängte Vergangenheit darf uns nicht gefangen nehmen"

Marx hob hervor, dass nicht an die Grausamkeiten der Geschichte erinnert werde, um die Vergangenheit nicht vergehen zu lassen. Vielmehr gehe es darum, dass "eine verdrängte Vergangenheit uns nicht gefangen nimmt und uns innerlich vergiftet". Der Münchner Erzbischof erinnerte daran, dass die Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg eine "unverdiente Chance der Aussöhnung" erhalten hätten. "Wir haben Vergebung erfahren. Aber der Preis ist der Mut zur Ehrlichkeit gegenüber der eigenen Geschichte und die wirkliche Bereitschaft, auf die Opfer und ihre Nachkommen zu hören", betonte der Kardinal. Anders gebe es auch heute keine Wege in eine gemeinsame Zukunft der durch geschichtliche Schuld getrennten Völker.

Bedford-Strohm sieht Verantwortung Deutschlands

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, sprach auch die Verantwortung Deutschlands bei dem Genozid an. Auch dürfe nicht verschwiegen werden, dass evangelische Kirchenleitungen und Missionsgesellschaften vor 100 Jahren genau Bescheid gewusst hätten, aber "dennoch wegschauten und untätig blieben", fügte er hinzu. "Nur wenn wir diese eigene Mitschuld deutlich und klar aussprechen und anerkennen, können wir auch andere dazu ermutigen, sich aufrichtig und objektiv mit dem Verbrechen des Genozid auseinanderzusetzen." Nach Schätzungen wurden bis zu 1,5 Millionen Armenier und andere Christen zwischen 1915 und 1922 im Osmanischen Reich ermordet. Zu dem Gottesdienst eingeladen hatten die EKD, die Deutsche Bischofskonferenz, die Armenische Apostolische Kirche und die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK).

Gauck: Mörderische Tat

Bundespräsident Joachim Gauck hat die Massaker an den christlichen Armeniern im Osmanischen Reich eindeutig als "Völkermord" bezeichnet. "Das Schicksal der Armenier steht beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen, ja der Völkermorde, von der das 20. Jahrhundert auf so schreckliche Weise gezeichnet ist", sagte Gauck im Berliner Dom im Anschluss an den ökumenischen Gottesdienst.

Und noch deutlicher fügte er hinzu: "Einheits- und Reinheitsideologien enden nicht selten in Ausschluss und Vertreibung und in letzter Konsequenz in mörderischer Tat. Im Osmanischen Reich entwickelte sich daraus eine genozidale Dynamik, der das armenische Volk zum Opfer fiel." Auch die Deutschen trügen Mitverantwortung, "unter Umständen sogar Mitschuld", wenn es um den "Völkermord an den Armeniern" geht.

Zugleich betonte das Staatsoberhaupt mit Blick auf mögliche Reaktionen aus der Türkei, es gehe nicht darum, heute lebende Personen auf die Anklagebank zu setzen. Die Täter von einst lebten nicht mehr, und ihren Kindern und Kindeskindern sei jene Schuld nicht anzulasten. "Was die Nachfahren der Opfer aber zu recht erwarten dürfen, ist die Anerkennung historischer Tatsachen und damit auch einer historischen Schuld", sagte Gauck.

Auch die Deutschen müssten sich mit ihrer Verantwortung am Schicksal der christlichen Armenier auseinandersetzen, so der Bundespräsident. Deutsche Militärs seien an der Planung und zum Teil auch an der Durchführung der Deportationen beteiligt gewesen. Gauck erinnerte auch daran, dass Adolf Hitler in seinem Einsatzbefehl vom 22. August 1939 zum Überfall auf Polen seine Pläne erläuterte, "mitleidlos Mann, Weib und Kind polnischer Abstammung und Sprache in den Tod zu schicken". In Erwartung eines kollektiven Desinteresses habe er mit der rhetorisch gemeinten Frage: "Wer redet heute noch von der Vernichtung der Armenier?" geschlossen. "Wir reden davon! Noch heute, 100 Jahre später, reden wir ganz bewusst davon - davon und von anderen Verbrechen gegen Menschlichkeit und Menschenwürde", unterstrich der Bundespräsident. "Wir tun dies, damit Hitler nicht Recht behält."

Bischof Fürst: Anerkennung des Völkermordes als Brücke

Der Bischof von Rottenburg-Stuttgart, Gebhard Fürst, appellierte an die Türkei, die Vertreibung von Armeniern als Völkermord anzuerkennen. Damit würde eine Brücke für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit für den Frieden und den Minderheitenschutz gebaut, schreibt Fürst in einer Stellungnahme.

Bischof Fürst wies darauf hin, dass der Genozid an den christlichen Armeniern den Auftakt zu einer langen Geschichte der Vertreibung der christlichen Ursprungskirchen aus dem Vorderen Orient gebildet habe, die bis heute andauere. Ein bedrückendes Beispiel für aktuelle Gewaltexzesse gegen Minderheiten sei der Völkermord an den Jesiden im Irak durch den "Islamischen Staat" (IS).

Zwischen 1915 und 1918 wurden im damaligen Osmanischen Reich zwischen bis zu 1,5 Millionen christliche Armenier, Pontos-Griechen, Assyrer und Aramäer ermordet. Während Historiker vom "ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts" sprechen und der türkischen Regierung die Verantwortung zuweisen, räumt die Türkei bislang lediglich ein, dass es Massenvertreibungen und gewalttätige Auseinandersetzungen gegeben habe. In deren Folge seien Hunderttausende gestorben.


Quelle:
KNA , epd