Jesiden warnen vor Völkermord im Nordirak

"Unsere Geschichte geht zu Ende"

Die jesidische Gemeinde in Deutschland warnt vor einem Völkermord an ihren Glaubensangehörigen im Irak. Jesiden werden wie Christen von den IS-Terroristen stark bedroht. Freiwillige rücken im Kampf gegen die IS aus.

Freiwillige im Kampf gegen IS (KNA)
Freiwillige im Kampf gegen IS / ( KNA )

"Unsere Geschichte geht zu Ende, wenn wir nicht gerettet werden", sagte Ali Rasho von der "Ezidischen Akademie" in einem öffentlichen Appell am Dienstag in Hannover. Am Wochenende hatten Islamisten der Terrorgruppe "Islamischer Staat" (IS) das Hauptsiedlungsgebiet der Jesiden im Nordirak erobert. Sie machten nun gezielt Jagd auf die Angehörigen der religiösen Minderheit, sagte Rasho.

Rund 200.000 Jesiden sind nach seinen Angaben derzeit auf der Flucht - fast die Hälfte der jesidischen Bewohner in der Region.

Zerstörte Pilgerstätte im Irak (dpa)
Zerstörte Pilgerstätte im Irak / ( dpa )

Kirche in Not zur Lage der christlichen Flüchtlinge

Die Kämpfer der Terrororganisation Islamischer Staat hatten am Wochenende nach heftigen Kämpfen kurdische Peschmerga-Kämpfer aus großen Gebieten nördlich und westlich von Mossul vertrieben und weitere Gebiete besetzt. Die Extremisten sollen 67 junge Männer mit Schüssen hingerichtet haben. Bei den Opfern aus der Stadt Sindschar habe es sich um Angehörige der religiösen Minderheit der Jesiden gehandelt, berichteten Augenzeugen am Montag. Sie hätten sich geweigert, zum Islam überzutreten.

Jesiden

Jesiden sind eine religiöse Minderheit. Weltweit hat die monotheistische Religionsgemeinschaft mehrere hunderttausend Mitglieder. Erstmals erwähnt werden die Jesiden in nahöstlichen Quellen aus dem 12. Jahrhundert. Ihr Name geht vermutlich auf den frühislamischen Kalifen Yazid I. ibn Muawiya (680-683) zurück.

Irak, Lalish: Eine Frau entzündet ein Feuer im Shekadi-Schrein während der Feierlichkeiten des Sommer-Arbaeen-Eids / © Ismael Adnan (dpa)
Irak, Lalish: Eine Frau entzündet ein Feuer im Shekadi-Schrein während der Feierlichkeiten des Sommer-Arbaeen-Eids / © Ismael Adnan ( dpa )

"Ich kann mir gut vorstellen, dass die Berichte über diese Massaker der Wahrheit entsprechen", so Kirche in Not-Sprecher André Stiefenhofer. Im domradio.de-Interview sprach der Vertreter des katholischen Hilfswerks am Dienstag über die Lage der Christen im Irak. Sie stünden "unter Schock und unter Angst". Die meisten von ihnen seien in die Kurdenregion im Nordosten des Iraks geflüchtet.

Die Flüchtlingsdörfer trennten teils nur 20 Kilometer vom besetzen Gebiet der Terrorgruppe Islamischer Staat. "Die einzige Schutzlinie, die zwischen dem Islamischen Staat und den Christen steht, das ist die Kurden-Miliz", beschrieb Stiefenhofer.

Jesiden bitten internationale Gemeinschaft um Hilfe

"Wir fordern einen humanitären Korridor", sagte Rasho. "Die Menschen müssen herausgebracht werden, oder Lebensmittel und Schutztruppen müssen hineingebracht werden." Rasho forderte die Bundesregierung auf, ihren Einfluss auf die Vereinten Nationen und die irakische Regierung geltend zu machen. Per Telefon stünden viele Jesiden in Deutschland in Kontakt zu ihren Angehörigen im Irak.

Die Terrorgruppe zwinge die Menschen, zum Islam überzutreten, sagte Kamal Sido von der Menschenrechtsorganisation "Gesellschaft für bedrohte Völker". Jesiden müssten dabei oftmals vor laufenden Kameras Koransuren vorlesen und ihren jetzigen Glauben verleugnen, erläuterte der Historiker und Nahostreferent. Wer sich weigere, werde von den Islamisten hingerichtet. Zudem sprenge die Terrorgruppe jesidische Heiligtümer wie etwa alte Grabanlagen.

Auch die christlichen Minderheiten der Region sind Sido zufolge in Gefahr. In der bedrohten Region nördlich von Mossul leben auch viele aramäische, chaldäische oder assyrische Christen. Sie müssten beim Vormarsch der Terrorgruppe ebenfalls fliehen oder konvertieren.

Einziger Ausweg sei eine Kopfsteuer von rund 450 Euro, die regelmäßig an die Islamisten gezahlt werden müsse. Soviel Geld hätten die wenigsten, sagte Sido. Und ob sich die Islamisten dann an die Abmachung hielten, sei auch unklar.

Quelle:
epd