Caritas zu verhinderten Familienzusammenführungen

"Trauertag für alle, denen die Familieneinheit am Herzen liegt"

Beim Familiennachzug will es die Große Koalition sowohl Zuwanderungsgegnern als auch Befürwortern recht machen: Für Kai Diekelmann von der Kölner Caritas ist der gefundene Kompromiss ein Trauerspiel.

Flüchtlingsrat in Berlin demonstriert mit Schild in den Händen / © Sophia Kembowski (dpa)
Flüchtlingsrat in Berlin demonstriert mit Schild in den Händen / © Sophia Kembowski ( dpa )

DOMRADIO.DE: Der neue Gesetzentwurf sieht vor, dass ab August 1.000 Flüchtlinge pro Monat nachziehen dürfen. In der Anfangsphase – für fünf Monate – soll ein nicht ausgeschöpftes Kontingent auf den Folgemonat übertragen werden können. Was halten Sie von dieser Einigung?

Kai Diekelmann (Leiter Integration und Migration beim Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln): Das ist wohl der Kompromiss zwischen den ursprünglichen Absichten von SPD, die auch subsidiär Geschützten das Recht zum Familiennachzug wieder gewähren wollte, und der Union, die grundsätzlich gar keinen Nachzug zu subsidiär Geschützten wollte. Betrachte ich es aus Sicht der betroffenen Familien, ist die Begrenzung auf maximal 1.000 pro Monat eine Katastrophe, und für mich als katholischer Christ ist es unbegreiflich, dass der Schutz der Familie und das Recht auf Einheit der Familie bei uns so kleinmütig quotiert wird.

DOMRADIO.DE: Derzeit liegen bereits rund 26.000 Terminanfragen von subsidiär Schutzberechtigten an deutschen Auslandsvertretungen vor, um Visa-Anträge einzureichen. Es heißt, die Vertretungen sind völlig überfordert mit der Bearbeitung. Wird da nicht bewusst das Abkommen unterlaufen, so dass noch nicht einmal die 1.000  Familiennachzüge im Monat zustande kommen werden?

Diekelmann: Seriöse Schätzungen gehen davon aus, dass zwischen 50.000 und 60.000 Angehörige von in Deutschland subsidiär geschützten Ehepartnern, Eltern oder allein eingereisten Kindern nachziehen wollen. Bei bereits jetzt vorliegenden 26.000 Terminanfragen in den deutschen Auslandsvertretungen steht schon heute fest, dass über die Hälfte davon bestenfalls ab August 2019 zu ihren hier lebenden Angehörigen kommen kann. Zu befürchten ist, dass es deutlich länger dauern wird. Denn schon der erlaubte Familiennachzug zu Asylberechtigten ist eine kaum vorstellbare Geduldsprobe für die Betroffenen, die bei Terminanfragen nicht selten erst 10 Monate später in der deutschen Botschaft vorsprechen dürfen.  

DOMRADIO.DE: Ist denn nicht die Familienzusammenführung das beste Instrument für eine gelingende Integration?

Diekelmann: Absolut. Das belegen Studien. Und das ist auch die Erfahrung der Caritas-Fachdienste, die Flüchtlinge beraten. Wer keinerlei konkrete Perspektive hat, wann er seine engsten Angehörigen zu sich holen kann, kann nicht ungezwungen Deutsch lernen und den schwierigen Weg in den Arbeitsmarkt schaffen. Vielmehr kreisen die Gedanken um die Angehörigen, die noch nicht in Sicherheit sind, die in Telefonaten ihre verzweifelte Lage schildern und dringend auf Hilfe hoffen. Es kommt sogar vor, dass Familien zerbrechen, weil dem hier lebenden Ehepartner nicht mehr geglaubt wird, dass er wirklich alles Mögliche unternimmt, damit der Nachzug gelingt.

DOMRADIO.DE: Vor allem die Union betont immer wieder, dass Familien besonderen Schutz benötigen, „unabhängig von Herkunft und Lebenssituation der Eltern", haben sie im Wahlprogramm geschrieben. Wie passt das zu den heute beschlossenen Maßnahmen? Gilt das nur für deutsche Familien?

Diekelmann: Das passt überhaupt nicht zum Parteiprogramm. Und dass passt schon gar nicht zu Parteien, die sich christlich nennen, sondern eher zur neuen Abschottungspolitik, die auf kontrollierten Zuzug auf niedrigstem Niveau gerichtet ist. Die Sorge vor dem Verlust weiterer Wähler an die AfD ist das entscheidende Motiv, eigene Grundsätze wie den besonderen Schutz der Familie bei Kriegsflüchtlingen weitgehend über Bord zu werfen.  

DOMRADIO.DE: Grundgedanke beim Familiennachzug ist auch, dass sich Familien und vor allem Kinder nicht auf lebensgefährliche Fluchtrouten begeben müssen. Treibt die Politik somit nicht die Menschen dazu, illegale Wege zu suchen oder den lebensgefährlichen Weg über das Mittelmeer zu nehmen?

Diekelmann: Genau das ist auch unsere Sorge als Caritas. Es gab bereits Fälle aus der Beratungspraxis, wo sich Mütter mit Kindern in die Hände von Schleppern begeben haben, weil sie die Warterei einfach nicht mehr aushielten, und dann auf der Überfahrt von der Türkei nach Griechenland beim Kentern im Sturm ertrunken sind. Ich fürchte, dass die heutige Entscheidung der Bundesregierung mehr solcher grauenhaften Fälle zur Folge haben wird. Heute ist ein Trauertag für alle, denen die Familieneinheit am Herzen liegt.


Quelle:
DR