Politikwissenschaftler sieht Wohlfahrtsverbände im Umbruch

Ein "starker Player"

Über Jahrzehnte haben sich Caritas und Diakonie immer wieder verändert. Und noch immer sind sie im Umbruch, wie Wolfgang Schroeder in seinem jüngst erschienenen Buch feststellt. Ein Faktor ist die Flüchtlingsfrage.

Autor/in:
Von Leticia Witte
Caritas-Mitarbeiterin / © Harald Oppitz (KNA)
Caritas-Mitarbeiterin / © Harald Oppitz ( KNA )

Wirtschaftlicher Druck, Konkurrenz zu privaten Anbietern, Entkoppelung von den Kirchen: Die katholischen und evangelischen Wohlfahrtsverbände Caritas und Diakonie sind aus Sicht des Kasseler Politikwissenschaftlers Wolfgang Schroeder im Umbruch. So lautet der Titel seines neuen Buches: "Konfessionelle Wohlfahrtsverbände im Umbruch".

Interviews mit Forschern und Praktikern aus Caritas und Diakonie reichern die Publikation an. Dabei wird unter anderem deutlich: Der Einsatz für Flüchtlinge verändert die Sichtweise auf die konfessionellen Verbände - und die Kirchen. "Caritas und Diakonie werden weiter wachsen, sind aber auch vom Fachkräftemangel betroffen und sollten sich neuen Engagementgruppen zuwenden", sagt etwa die Berliner Caritasdirektorin Ulrike Kostka in einem der Expertengespräche. So mache die Caritas "beste Erfahrungen mit neuen Engagierten aus unterschiedlichen Milieus", die gezielt angesprochen würden. Das geschehe auch in der Flüchtlingsarbeit.

Mit der Flüchtlingshilfe an Image und Profil gewinnen

Die Caritas expandiere auf dem Feld der Gesundheit und sei auch in der ostdeutschen Diaspora gefragt, betont Kostka: "Die Flüchtlingssituation führt zu einem Ausbau von Angeboten in diesem Bereich." In der Arbeit mit Flüchtlingen hätten zahlreiche Gemeinden "das Diakonische" neu entdeckt.

Aus Sicht des katholischen Theologen Matthias Möhring-Hesse können Verbände und Kirchen mit der Flüchtlingshilfe an Image und Profil gewinnen - "zumindest, sofern dieses Engagement gesellschaftlich auch in Zukunft wertgeschätzt wird". Er sieht aber auch Risiken, "in einem sich abzeichnenden Stimmungswandel dessen Verlierer" zu werden und "zukünftig für das Engagement für geflüchtete Menschen mit Image- und Profilverlusten bestraft zu werden". Es sei aber zu begrüßen, dass Kirchen und Verbände sich "dadurch nicht irre" machen ließen. Auf diesem Gebiet böten sie auch dem Sozialstaat "Paroli".

Wohlfahrtsverbände und der Sozialstaat

Apropos Sozialstaat: Darin spielten die Wohlfahrtsverbände eine wichtige Rolle, schreibt Schroeder. Er verweist zudem darauf, dass es in den 1990er Jahren, in denen auch die Pflegeversicherung eingeführt wurde, zu "Markt- und Wettbewerbsmechanismen" im Sozial- und Pflegebereich gekommen sei. Der Gesetzgeber habe hier das Angebot sozialer Leistungen neu aufgestellt. So hätten Wohlfahrtsverbände einige frühere Privilegien zugunsten privater Anbieter eingebüßt.

Schroeder verweist darauf, dass die konfessionellen Verbände unter wirtschaftlichen Druck geraten seien - und zum Teil auch auf Leiharbeit gesetzt hätten. Ohnehin seien sie immer wieder Veränderungen ausgesetzt: So sei etwa die Zahl der Geistlichen in Leitungspositionen zurückgegangen; "Arbeits- und Geschäftsstrukturen" seien transparenter und professioneller geworden; viele Verbände hätten sich zu Unternehmen entwickelt.

Kirchen als "wohlfahrtsstaatliche Akteure"

Ein weiteres Ergebnis Schroeders ist, dass die Kirchen als prägende Instanzen in einer zunehmend säkularen Gesellschaft zwar an Bedeutung verloren, sich als "wohlfahrtsstaatliche Akteure" aber stabilisiert hätten. "Während sich der politische Einfluss der Kirchen reduziert, verzeichnen die konfessionellen Wohlfahrtsverbände ein deutliches Wachstum." Sie hätten "gute Chancen, weiterhin als starker Player im Bereich der sozialen Daseinsvorsorge aktiv zu sein".

Schroeder nennt Zahlen: In der Verantwortung der beiden größten Wohlfahrtsverbände Caritas und Diakonie stehen demnach etwa 54.000 Einrichtungen. Die Mitarbeiterzahl sei deutlich gestiegen: Bei der Caritas habe sie sich von 1970 bis 2014 auf 617.193 verdoppelt, bei der Diakonie sogar verfünffacht auf 464.828. Kirchen und Verbände haben sich aus Schroeders Sicht zwar "lose entkoppelt" - seien aber weiter aufeinander angewiesen.

Kostka bilanziert, Caritas könne wesentlich zur Kirchenentwicklung beitragen - "weil sie mit Menschen zu tun hat, die sonst wenig Berührung mit Glauben und Kirche haben". Sie warnt aber auch: "Ist Kirche caritativ ausgerichtet, spricht sie Menschen an. Wenn sie sich nur auf Liturgie und Verkündigung für den heiligen Rest zurückzieht, wird sie eine Insel der Seligen mit wenig Bodenhaftung und schwindender gesellschaftlicher Relevanz."


Quelle:
KNA