Viel Gewalt in Heimen nach 1945

Kirche bittet um Vergebung

Erstmals liegt eine umfassende Studie über die Betreuung von Heimkindern in katholischen Behinderteneinrichtungen vor. Diese stellte der Bundesverband Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie in Berlin vor - mit erschreckenden Ergebnissen.

Caritas-Präsident Peter Neher bittet um Vergebung / © Markus Nowak (KNA)
Caritas-Präsident Peter Neher bittet um Vergebung / © Markus Nowak ( KNA )

Die Untersuchung erfasst die Situation in katholischen Einrichtungen in Westdeutschland in der Zeit von 1949 bis 1975. In einem standardisierten Fragebogen gaben 70 Prozent von mehr als 300 Befragten an, dass sie dort körperliche Gewalt erfahren haben. 60 Prozent berichten von Erfahrungen, die die Wissenschaftler als psychische Gewalt einordnen. 30 Prozent der Befragten sprachen von sexualisierter Gewalt. Nahezu jeder vierte Befragte gab an, bis heute nicht zu wissen, warum er oder sie in das Heim gebracht wurde, so die Projektleiterin der Studie, Annerose Siebert.

Woelki und Neher bitten um Vergebung

In der Nachkriegszeit waren rund 95 Prozent der Einrichtungen in kirchlicher Hand, davon 60 Prozent in evangelischer und 40 Prozent in katholischer. Erst ab den 1970er Jahren kamen freie und staatliche Träger in größerem Maß hinzu. Schätzungen zufolge lag die Gesamtzahl der Heimkinder in katholischen Behinderteneinrichtungen bei bis zu 50.000, noch einmal so viele lebten in evangelischen Häusern. Von der evangelischen Kirche gibt es noch keine derartige Studie.

Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki erklärte, ihn schmerze jede einzelne Erzählung über erfahrenes Leid sehr. Zugleich bat er bei den Betroffenen um Entschuldung. Kirchliche Organisationen seien schuldig geworden. Aus heutiger Sicht sei es nicht nachvollziehbar, wieso eine auf dem Evangelium basierende Erziehungsarbeit Mittel einsetzte, die dem christlichen Menschenbild und christlichen Wertvorstellungen zutiefst widersprächen.

Auch Caritas-Präsident Peter Neher bat die Betroffenen um Vergebung "für das Leid, das ihnen in Einrichtungen der Caritas wiedererfahren ist". Sein Verband werde alles tun, um "aus den bedrückenden Befunden der Studie" Konsequenzen für die fachliche und politische Arbeit zu ziehen.

Die Münsteraner Ordensfrau Katharina Kluitmann erklärte, die Orden seien "beschämt über das vielfache Leid, das Menschen, die besonderen Schutz gebraucht hätten, gerade dort  - auch von Ordensleuten - angetan wurde". Neben Einzelnen, die ihre Macht eindeutig missbraucht hätten, habe es Strukturen der Überforderung gegeben, die zu Handlungen geführt hatten, "die auch den damaligen strafrechtlichen und pädagogischen Standards nicht genügt hätten", so Kluitmann, die im Vorstand der Deutschen Ordenskonferenz ist.

Befragung ehemaliger Bewohner

Für die Studie des Bundesverbands Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie (CBP) befragten Freiburger Sozialwissenschaftler in den vergangenen drei Jahren ehemalige Bewohner von katholischen Einrichtungen der Behindertenhilfe befragt. Aus der Perspektive der Betroffenen ist so ein Panorama des Alltags geistig behinderter und psychisch kranker Kinder und Jugendlicher der Jahre 1949 bis 1975 entstanden.

Bund und Länder hatten sich am Donnerstag geeinigt, gemeinsam mit den Kirchen den neuen Fonds für Betroffene aus den Einrichtungen zu finanzieren. Ehemalige Heimkinder sollen eine pauschale Anerkennungssumme von 9.000 Euro erhalten. Für Rentenleistungen werden bis zu 5.000 Euro ausgezahlt.


Quelle:
KNA