Caritas-Präsident zur neuen Jahreskampagne

"Mehr als ein Drohszenario"

Der Deutsche Caritasverband will 2015 dazu nutzen, die Herausforderungen und Chancen der demografischen Entwicklung gesellschaftspolitisch anzupacken. Im Interview beschreibt Caritas-Präsident Peter Neher die Ziele der neuen Jahreskampagne.

Peter Neher (dpa)
Peter Neher / ( dpa )

KNA: Herr Neher, was steckt hinter der neuen Caritas-Jahreskampagne 2015 "Stadt, Land, Zukunft" zur demografischen Entwicklung?

 

Neher: Die Kampagne ist Teil einer dreijährigen Initiative zum demografischen Wandel. 2015 wollen wir auf die teils dramatischen Veränderungen im ländlichen Raum hinweisen. Können Schulen, soziale Dienste aufrechterhalten werden, wenn immer weniger junge Menschen da sind? Wie organisieren sich die verbleibenden, vor allem die älteren Menschen? Wir haben keine Patentrezepte, aber wir müssen intensiver über diese Zukunftsfragen nachdenken.

 

KNA: Wenn viele soziale oder etwa medizinische Dienste künftig nicht mehr überall vorhanden sein werden, wächst dann die Bedeutung von ehrenamtlichem Engagement?

Neher: Es ist ja gerade ein Wesen der Caritasarbeit, dass sich auch Ehrenamtliche engagieren. Auch den Kirchengemeinden tut es gut, wenn sie sich nicht nur auf Gottesdienste konzentrieren, sondern den Blick auf die sozialen Notlagen richten. Das gehört zum Wesen christlichen Glaubens. Hier befruchten sich Pfarrgemeinden und soziale Caritasdienste gegenseitig. Das könnten wir in Zukunft noch intensivieren.

KNA: Hat die Politik die Dramatik der Bevölkerungsprognosen erkannt?

Neher: Ein klares Jein, gerade wenn man bedenkt, mit welcher Vehemenz sie in den vergangenen Jahren so manches Thema behandelt hat, vom Betreuungsgeld bis hin zur PKW-Maut. Ich habe den Eindruck, dass Politik an den wirklichen Zukunftsfragen nur begrenzt dran ist. Vielleicht auch, weil klar ist, dass mit dem Thema Demografie keine Wahlen zu gewinnen sind.

KNA: Könnte die deutsche Bevölkerung durch Zuwanderung jünger werden?

Neher: Grundsätzlich durchaus, aber die Entwicklung zu einer Gesellschaft mit sehr viel mehr alten Menschen wird auch durch Migration letztlich nicht aufzufangen sein. Aber es zeigt sich, dass wir an dieser Stelle viel gelassener und positiver mit dem Thema Migranten und Flüchtlinge umgehen sollten. Schon jetzt zahlen Migranten in Deutschland sehr viel mehr in die sozialen Sicherungssysteme ein, als sie erhalten. Und gestalten damit letztlich unsere Zukunftsfähigkeit mit.

KNA: Viele empfinden die Entwicklung einer alternden Gesellschaft aber als sehr bedrohlich?

Neher: Ja, und gerade deshalb ist es wichtig, die demografische Entwicklung nicht immer nur mit einem Drohszenario zu verbinden. Ältere Menschen sind heute oft noch sehr dynamisch und fit, insbesondere im Vergleich zu früher. Viele alte Menschen haben heute überdies finanzielle Spielräume, die frühere Generationen nie hatten, und die vermutlich die kommenden alten Menschen auch so schnell nicht mehr haben werden. Damit unterstützen sie zum Beispiel ihre Familien und die Familien ihrer Kinder. Insgesamt also liegen im demografischen Wandel auch Chancen, die es zu nutzen gilt.

Das Interview führte Volker Hasenauer.