Caritasseelsorger über den Wunsch nach aktiver Sterbehilfe

Hinhören und aushalten

Viele Angehörige erschrecken oft, wenn sich Erkrankte eine aktive Sterbehilfe wünschen, berichtet Pfarrer Matthias Schnegg. Das gelte es auszuhalten und nicht sofort mit moraltheologischen Argumenten zu unterdrücken.

Sterbebegleitung (dpa)
Sterbebegleitung / ( dpa )

domradio.de: Dem Leben ein Ende setzen lassen, das ist für gläubige Christen keine Option. Warum nicht?

Matthias Schnegg (Diözesancaritaspfarrer in Köln, engagiert in der Hospiz- und Trauerarbeit): Da gibt es eine einfache Erklärung: Das Leben ist ein Geschenk Gottes und über das Geschenk kann ich nicht verfügen, wenn man das so rein theologisch betrachten will.

domradio.de: Erleben Sie in Ihrer Arbeit, dass gläubige Christen zweifeln, ob sie ihr Leben bis zum Ende durchstehen, wenn sie krank sind, wenn sie Schmerzen haben?

Schnegg: Ja, das erlebe ich immer wieder und finde es auch ganz natürlich, dass der Mensch in einer Phase seiner Krankheit auch mit solchen Gedanken spielt. Vorallem bei jüngeren Menschen besteht die Angst vor dem, wie ich meine Krankheit mit all den Folgen an Schmerzen und an körperlichen Demütigungen hinnehmen kann. Es ist ja sehr oft das Bestreben nach Autonomie bis zum allerletzten Punkt und die Ahnung, dass man das nicht durchhalten wird. Der Mensch kommt dann auch zu dem Schluss: Dann lass es doch bitte nach meiner eigenen Terminierung zu Ende gehen.

Es ist eine Frage, die durchaus immer wieder in der Praxis vorkommt.

domradio.de: Was sagen Sie solchen Leuten? Gibt es da Standardantworten?

Schnegg: Nein, es gibt keine Standardantwort, sondern es gibt erst einmal das Hinhören und es nicht sofort mit den moraltheologischen Argumenten unterdrücken. Ich sehe es wirklich als einen Moment, in dem der Mensch sich sehr intensiv mit seiner Krankheit und mit seiner Endlichkeit und mit dem Autonomieverlust auseinandersetzt. Das ist eine erst einmal ganz nachvollziehbare Anfrage. Sie fragen ja, wie gehe ich damit um: Ich kann das aushalten, dass diese Frage so im Raum steht.

Meine Erfahrung ist bisher in allen seelsorglichen Kontexten, dass die Menschen, die das sehr oft am Anfang einer Krankheit geäußert haben, es nachher nicht gemacht haben. Ich habe es noch nie erlebt, dass jemand bewusst dann zum Beispiel in die Schweiz gefahren ist.

domradio.de: Nikolaus Schneider ist ein Mann, der sagt, mir geht die Liebe zu meiner Frau über meine christliche Überzeugung. Ist das nicht auch ein Stück Caritas, wenn man die Wünsche des Partners über die eigenen stellt?

Schnegg: Es steht mir nicht zu Nikolaus Schneider zu beurteilen. Ich glaube, dass es hier in dem konkreten Fall nicht um die eigene Durchsetzung von theologischen Erkenntnissen geht, es geht immer um die Liebe in einer Partnerschaft. Ich würde das nur nicht auf diese Konfrontation bringen. Das ist jetzt ein Stadium in den Anfängen der Erkrankung mit all dem, was da zusammenhängt. Mal sehen, was sich im Laufe der Krankheitsgeschichte noch weiter ergeben wird.

domradio.de: Wie werden bei Ihnen Angehörige in die Sterbebegleitung einbezogen?

Schnegg: Die Angehörigen selber haben ja auch ihren Trauerweg im Wissen um diesen vielleicht nahenden Tod. Von daher sind sie im seelsorglichen Geschehen immer mit einbezogen. Die Angehörigen erschrecken sehr oft vor einer solchen Äußerung, dass es den Wunsch nach einer aktiven Sterbehilfe gibt, auch da gilt es, das auszuhalten.

domradio.de: Meinen Sie, es ist die Pflicht der Kirche, so eine differenzierte Haltung zur Sterbehilfe einzunehmen oder ist es Pflicht der Kirche, eine ganz klare Meinung zu vertreten?

Schnegg: Das Leben ist immer mindestens bipolar. Das heißt auf der einen Seite ist es ganz wichtig, dass es eine Norm gibt, also die "Orthodoxie", die Lehre auf die man vom Grundsatz gesetzt ist. Das andere ist die sogenannte "Orthopraxie", das, was dann im konkreten Leben geschieht, ist oft differenzierter und komplizierter als es die Lehre fassen kann. Es gibt ja schon in der Theologie des Mittelalters bei Thomas von Aquin diese Formulierung "actio cum duplici effectu", eine Handlung, die zwei Wirkungen hat. Das ist vermutlich eine Praxis, die Hausärzte schon über Jahrhunderte gehabt haben: Ich lindere Schmerzen mit dem Risiko, dass dann der Tod vielleicht durch Atemlähmung zum Beispiel bei Morphinen schneller eintritt als wenn es keine Schmerzmedikation gäbe.

Das Interview führte Christian Schlegel


Matthias Schnegg / © Caritas
Matthias Schnegg / © Caritas
Quelle:
DR