Fünf Jahre nach dem Kölner Archiveinsturz

"Das Vertrauen ist weg"

Noch immer klafft der Krater in der Kölner Südstadt - fünf Jahre nach dem Einsturz des Stadtarchivs. Zwei junge Männer starben. Kostbares Archivgut wurde verschüttet. Ein Trauma für die Anwohner, besonders im nahen Caritas-Heim.

Autor/in:
Barbara Driessen
Die Baugrube an der Severinstraße (dpa)
Die Baugrube an der Severinstraße / ( dpa )

Susanne Liesenfeld lehnte sich gerade in ihrem Büro gegen einen Schrank, als plötzlich alles zu wackeln begann. "Ein Erdbeben!", dachte sie im ersten Moment. Dann sah sie eine riesige Staubwolke vor dem Fenster aufsteigen. Sie rannte nach draußen und war fassungslos: "Eine ganze Häuserzeile war komplett verschwunden, die Straßendecke aufgerissen." Ihr war sofort klar, dass es Tote geben musste.

So erlebte Liesenfeld, Leiterin eines Caritas-Pflegeheims an der Kölner Severinstraße, vor fünf Jahren den Einsturz des Historischen Stadtarchivs mit. Von ihrem Bürofenster aus blickt sie bis heute direkt in den Abgrund: "Bis zum Loch sind es gerade einmal 20 Meter."

Bis heute gibt es Verängstigte im benachbarten Caritas-Heim

Für die Bewohner des Heims war der Einsturz traumatisierend. "Wir haben viele Demenz-Kranke, denen wir nur schwierig verständlich machen konnten, was passiert war", sagt sie. Einige hätten beim Anblick des Kraters geglaubt, dass der Krieg wieder ausgebrochen sei.

Eine Woche lang musste das Heim aus Sicherheitsgründen evakuiert werden, bis klar war, dass das Gebäude nicht gefährdet war. "Für unsere Bewohner war das mehr als schwierig."

Eine klaffende Wunde im Kölner Süden

Bis heute sieht die Einsturzstelle noch ähnlich aus wie damals, nur die Trümmer sind weggeräumt. Ein paar verwelkte Blumen erinnern an die beiden jungen Anwohner, die damals ums Leben kamen. Immer noch ist alles abgesperrt, und immer noch tut sich ein Abgrund auf. Die Wunden liegen offen. Es ist geradezu ein Symbol dafür, dass Köln mit dem Unglück noch keineswegs abgeschlossen hat.

Weder hat bis heute jemand die Verantwortung für den Einsturz übernommen, noch ist jemand dafür zur Verantwortung gezogen worden. Noch nicht einmal die genaue Ursache wurde ermittelt. Um der nach fünf Jahren einsetzenden Verjährung vorzubeugen, hat die Staatsanwaltschaft in den vergangenen Wochen allerdings Beschuldigte benannt, ihre Zahl liegt mittlerweile bei 106. Dabei handelt es sich um Verantwortliche der Kölner Verkehrs-Betriebe (KVB), der am U-Bahn-Bau beteiligten Baufirmen und ihrer Subunternehmen.

Dass der U-Bahn-Bau den Einsturz ausgelöst hat, gilt als sicher. Doch wie es passierte, ist noch immer so unklar wie vor fünf Jahren.

Sollte der Unfallhergang nicht genauestens nachgewiesen werden können, wird nach Meinung von Juristen auch niemand dafür haftbar gemacht werden können. Da stellt sich vielen sofort die Frage, was die Staatsanwaltschaft in den letzten fünf Jahren getan hat.

Handschriften von Albertus Magnus gerettet

Doch die Bergung der verschütteten Archivalien hatte Vorrang. Die teilweise zerschnipselten, durchnässten und verdreckten Überreste aus der Grube zu holen, dauerte zwei Jahre. Anschließend wurde eine unterirdische Konstruktion errichtet, die es Tauchern ermöglichen soll, im Laufe dieses Jahres die unter dem Grundwasserspiegel liegende Unglücksstelle zu untersuchen.

Etwa 95 Prozent der Bestände, die zum Unglückszeitpunkt in dem Archiv lagerten, konnten geborgen werden. Zu den geborgenen Dokumenten gehören auch wertvolle Handschriften des Kirchenlehrers Albertus Magnus aus dem 13. Jahrhundert.

Vermutet wird, dass der Einsturz durch Löcher in einer Wand der U-Bahn-Baustelle verursacht wurde. Dadurch sollen nach und nach so viel Kies, Sand und Wasser in die Baugrube eingedrungen sein, dass dem Archivgebäude schließlich buchstäblich der Boden unter den Füßen entzogen wurde. Es gibt aber auch eine andere Theorie, und diese wird von den am U-Bahn-Bau beteiligten Firmen favorisiert: Demnach war ein plötzlicher unterirdischer Wassereinbruch für das Unglück verantwortlich. Ein Wassereinbruch, den niemand habe vorhersehen können. Höhere Gewalt. Einen Schuldigen gäbe es dann nicht.

Sollte es zu einem Prozess kommen, dann könnte dieser Jahre dauern. Noch viel länger wird es dauern, das Archiv selbst wiederherzustellen. Die Restaurierung der Archivalien wird schätzungsweise 30 bis 40 Jahre in Anspruch nehmen, und auch das nur unter der Voraussetzung, dass die Gelder weiter fließen.

Der Gesamtschaden wird auf eine Milliarde Euro geschätzt. Der Neubau des Archivgebäudes an einem neuen Standort hat noch nicht einmal begonnen. Der Entwurf dafür wird überarbeitet, weil der Stadtrat das Archiv nun doch kleiner wünscht als ursprünglich geplant. Die Archivalien verteilen sich weiterhin auf zwölf Archivstandorte im ganzen Bundesgebiet.

Susanne Liesenfeld beschleicht noch immer ein mulmiges Gefühl, wenn sie heute im Severinsviertel unterwegs ist. "Wer weiß, wo der Boden noch instabil ist in Köln", sagt sie. "Nach allem, was hier passiert ist mit dem Archiv und dem U-Bahn-Bau, ist das Vertrauen weg."


Quelle:
epd , KNA