Situation an der syrischen Grenze

"Wirklich verzweifelte Fälle"

Der Flüchtlingsstrom aus Syrien ist enorm - an den Grenzen tut die Caritas alles, um den Menschen in Not zu helfen. Dabei geraten die Mitarbeiter zum Teil selbst in Gefahr, berichtet der Caritas-Direktor des Libanon, Monsignore Simon Faddoul.

Hunderttausende haben Syrien schon verlassen (dpa)
Hunderttausende haben Syrien schon verlassen / ( dpa )

Täglich fliehen Tausende Syrer vor dem bewaffneten Konflikt in den benachbarten Libanon. Der Caritas-Direktor des Libanon, Monsignore Simon Faddoul, kritisierte im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Berlin das Verhalten der internationalen Gemeinschaft. Es werde zu wenig getan, um den Krieg in Syrien zu beenden; er befürchte einen noch Jahre andauernden Konflikt.

KNA: Monsignore Faddoul, immer häufiger wird über Christenverfolgung in Syrien gesprochen, ist dies zutreffend?

Faddoul: Nein. Es gibt Fälle von Verfolgung, das stimmt. Aber das beschränkt sich auf Gegenden, die von Fundamentalisten beherrscht werden, die dann einige christliche Familien verfolgen oder auch Bischöfe und Priester entführt haben. Tatsächlich leben wir eigentlich sehr friedlich mit den Muslimen zusammen. Das Problem sind ausländische Fundamentalisten, die ins Land kommen, um zu kämpfen und Andersgläubige zu verfolgen.

KNA: Welche Folgen hat der Konflikt in Syrien für die Arbeit der Caritas im Libanon?

Faddoul: Wir müssen mit noch mehr Flüchtlingen rechnen, mit vielen wirklich verzweifelten Fällen. Wir merken aber auch, wie die Gewalt sich bei uns auswirkt. Es haben sich seit einiger Zeit Banden gebildet, die Menschen entführen und dann Lösegeld fordern. Das ist natürlich auch eine Gefahr für unsere Mitarbeiter. Ich bin da sehr besorgt.

KNA: Wie kümmert sich die Caritas um die syrischen Flüchtlinge?

Faddoul: Zum einen unterstützen wir sie mit verschiedenen ganz praktischen Dingen. Kleidung, Hygieneartikel, aber auch Möbel werden an die Flüchtlinge ausgegeben. Ein wichtiges Angebot ist auch die medizinische Hilfe. Wir haben Kliniken, aber auch ein mobiles Ärzteteam, das sich um die Gesundheit der Menschen kümmert. Und wir haben Sozialarbeiter, die die Menschen psychosozial betreuen.

KNA: Wollen die syrischen Flüchtlinge denn zurück in ihre Heimat?

Faddoul: Ja. Diese Menschen haben ihren Besitz, ihre Freunde und Familie zurückgelassen. Sie wollen zurückgehen. Aber wenn der Konflikt noch länger dauert, wird die junge Generation hier aufwachsen, und es wird schwierig sein, zurück nach Syrien zu gehen. Deshalb bin ich auch dafür, den Flüchtlingen eine gute Versorgung zu bieten - aber so, dass sie, wenn die Lage sich entspannt, zurückgehen können.

KNA: Von welchen Zahlen sprechen wir ?

Faddoul: Es kommen immer noch täglich 1.000 bis 2.000 syrische Flüchtlinge über die Grenze. Das UN-Flüchtlingshilfswerk ist überlastet. Wenn sich jemand registrieren will, bekommt er erst nach drei Monaten einen Termin. Deshalb haben wir auch eine zusätzliche Aufnahmestation der Caritas an der Grenze einrichten dürfen. Dort haben wir schon über 90.000 Menschen registriert - viele davon sind Christen. Von denen sind nur 30 bis 40 Prozent bei den UN registriert. Viele haben Angst, sich bei den Vereinten Nationen zu melden, weil sie befürchten, dass ihr Name an das Regime oder die Opposition gelangt. Sie haben sich auf keine Seite geschlagen und müssen nun den Preis dafür bezahlen. Deshalb kommen sie eher zu christlichen Organisationen.

KNA: Was erhoffen Sie sich von dem Treffen mit syrischen Kirchenoberhäuptern hier in Deutschland?

Faddoul: Ich persönlich wünsche mir, dass wir als Christen des Nahen Ostens zu einem Punkt gelangen, an dem wir eine gemeinsame Vision entwickeln können. Es ist natürlich, dass wir unterschiedlich arbeiten - aber wir sollten auf eine Vision hinarbeiten. Im Moment können wir uns zwar auf einige Punkte einigen, aber wir haben keine gemeinsame Vision.

KNA: Wie sehen Sie die Zukunft Syriens?

Faddoul: Optimistisch gesagt hoffe ich natürlich, dass der Konflikt noch heute endet. Realistisch muss man aber sagen, dass er noch Jahre dauern kann. Das Problem ist, dass das Regime zwar eine Einheit ist, die Opposition aber aus vielen Splittergruppen besteht. Nehmen wir an, der Krieg zwischen Regierung und Opposition endet morgen. Neue Kämpfe würden beginnen, weil es zu viele kleine Gruppen gibt, die sich teilweise gar nicht kennen. Es ist, als ob die ganze Welt auf syrischem Boden kämpft.

Ich sehe aber auch, dass die internationale Gemeinschaft nicht genug tut, um diesen Krieg zu stoppen. Er wirkt sich bereits auf die Nachbarländer aus. Rund 1,3 Millionen Flüchtlinge leben im Libanon, der 4 Millionen Einwohner hat. Das hat tiefe soziale, ökonomische und kulturelle Folgen.
 


Hunderttausende haben Syrien schon verlassen (dpa)
Hunderttausende haben Syrien schon verlassen / ( dpa )