Die Kritik am Armutsbericht hält an

"Jede Seite will aus dem Bericht ihren Honig ziehen"

Der Armutsbericht sorgt weiter für Diskussionen: Das Papier der Bundesregierung dürfe nicht im Wahlkampf missbraucht werden, kritisiert Caritas-Generalsekretär Georg Cremer. Man müsse vielmer über Fakten sprechen, fordert er im domradio.de-Interview.

Umstritten: der Armutsbericht der Regierung (dpa)
Umstritten: der Armutsbericht der Regierung / ( dpa )

So zeige der Bericht, "es gelingt uns weiterhin nicht, junge Menschen aus bildungsfernen Milieus angemessen zu fördern. Wir scheitern oft in der Bildung und tragen dazu bei, dass diese Menschen später arbeitslos sind."

Anlass für Cremers Kritik war eine Expertenanhörung am Montag im Bundestag. "Wenn man wirklich diskutieren will, was man tun muss, um Armut besser zu bekämpfen, kann man das nicht gerade mal in einer Stunde tun." Den Streit zwischen Arbeits- und Wirtschaftsministerium um die Streichung mehrerer Sätze bezeichnete der Generalsekretär des Deutschen Caritasverbandes als "ungeschickte Rangelei".

Am Montag war der Bericht, der in den vergangenen Monaten zu heftigen Debatten geführt hatte, Thema im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales. Dabei wurde deutlich, dass auch Experten die optimistische Einschätzung des Berichts aus dem Haus von Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) nicht teilen. Mehrere der zwölf Sachverständigen beklagten, dass die Regierung die Wissenschaft und Zivilgesellschaft nur unzureichend einbezogen habe.

Zunehmende Ungleichheit

So unterstrich der Vizedirektor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit, Ulrich Walwei, dass die Behauptung des Berichts, dass die Lohnungleichheit in Deutschland seit 2005 nicht weiter gestiegen ist, so nicht stimme. Bei sozialversicherungspflichtig in Vollzeit Beschäftigten seien die Löhne des unteren Verdienst-Zehntels zwischen 2005 und 2010 um sechs Prozent gesunken, erklärte Walwei. Beim oberen Zehntel hätten sie dagegen um rund ein Prozent zugenommen. Damit habe auch die Ungleichheit zugenommen.

Auch Markus Grabka vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung Berlin (DIW) wollte sich der Sichtweise der Bundesregierung nicht anschließen. Richtig sei, dass die verfügbaren Einkommen zwischen 2005 und 2010 auf sehr hohem Niveau stagnierten. Bei den individuellen Erwerbseinkommen nehme die Ungleichheit aber eher zu, sagte Grabka.

Experten vom Deutschen Gewerkschaftsbund und der Arbeiterwohlfahrt regten in der Anhörung an, die Bildungschancen besser im Blick zu haben, um Chancengerechtigkeit und Vermeidung von Armut im Lebenslauf zu gewährleisten. Caritas-Präsident Peter Neher mahnte anlässlich der Anhörung den Fortbestand der Förderung der Schulsozialarbeit an.

Forderung nach unabhängiger Kommission

DIW-Experte Grabka mahnte jedoch, mit Bildungspolitik allein lasse sich Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen nicht lösen. "Hier bedarf es Antworten beispielsweise aus dem Bereich der Steuerpolitik", sagte er.

Angesichts des erneuten Vorwurfs, der Armutsbericht aus dem Ministerium von Ursula von der Leyen (CDU) sei geschönt, verlangte die Nationale Armutskonferenz (nak) eine unabhängige Kommission zur Erarbeitung des Armuts- und Reichtumsberichts. "Wir brauchen einen ehrlichen Armutsbericht", erklärte der stellvertretende nak-Sprecher Michael David. Auch Grabka regte an, bereits in der nächsten Wahlperiode eine unabhängige Kommission einzusetzen.


Quelle:
DR , KNA , epd