Die Koalitions-Pläne zum Betreuungsgeld stoßen in Fachkreisen auf Unverständnis

Caritas wurde nicht gefragt

Der Plan der Koalition, Hartz-IV-Empfänger vom Betreuungsgeld auszuschließen, stößt auf weitere Kritik. Der Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes beklagt, das Vorhaben habe mit dem christlichen Menschenbild, jeden einzelnen Menschen wertzuschätzen und zu fördern, wenig zu tun. Auch Prof. Dr. Georg Cremer, Generalsekretär des Caritasverbandes, kann im domradio.de-Interview in den Plänen keinen Sinn entdecken.

 (DR)

domradio.de: Ist das denn ihrer Ansicht nach der richtige Weg, die Anrechnung des Betreuungsgeldes, auf Hartz IV Leistungen?

Prof. Cremer: Die Ziele des Betreuungsgeldes sind völlig unklar. Einerseits geht es um Anerkennung der Erziehungsleistungen, sagt die Regierung. Dann müssen es aber auch Eltern im Transferbezug bekommen, denn die erziehen schließlich auch. Man darf schließlich nicht allen, die auf Hilfe angewiesen sind, einfach unterstellen, sie würden sich um ihre Kinder nicht kümmern. Oder geht es um eine soziale Entspannung von den Familien, dann müsste man gerade unten ansetzen, dann ist diese Anrechnung des Betreuungsgeldes auch falsch. Oder geht es um die bessere Vereinbarkeit oder die Wahlrechte zwischen Familie und Beruf? Dann sieht die Sache wieder anders aus. Wir haben eine politische Festlegung durch ein Machtwort und durch Machtkämpfe in der Koalition auf eine neue sozialpolitische Maßnahme, die wir aber erst mal grundsätzlich diskutieren müssten.



domradio.de: Man kann in dieser ganzen Diskussion fast den Eindruck bekommen, dass man sich heute sogar fast schämen muss, wenn man sagt, ich erziehe meine Kinder zu Hause. Haben sie auch diesen Eindruck?

Prof. Cremer: Was absolut unakzeptabel ist, ist eine Bezeichnung wie die Herdprämie. Die Herdprämie suggeriert, dass, wer sich entscheidet, eine gewisse Zeit lang nicht zu arbeiten und die eigenen Kinder oder das eigene Kleinkind zu betreuen, ein Heimchen am Herd sei. Das ist eine ideologische Debatte. Eltern wollen heute Wahlentscheidungen treffen, was das für sie gute Leben mit Kindern ist. Dazu kann ein relativ früher Wiedereinstieg in den Beruf gehören. Dazu kann auch gehören, eben eine gewisse Zeit lang nicht zu arbeiten. Wahlfreiheit haben wir aber nur, wenn wir auch ausreichend Betreuungsplätze haben und zwar Betreuungsplätze guter Qualität. Da hapert es sehr deutlich und Wahlfreiheit haben wir auch nur faktisch dann, wenn die Bestrafung nach einer gewissen Unterbrechung am Arbeitsmarkt und bei der Rente nicht so dramatisch ist wie heute. Also braucht es auch mehr Einsteigerprogramme, Hilfen in der Wirtschaft, damit die zeitweise Unterbrechung nicht zur Falle wird. Und daran müssen sich auch die Väter beteiligen.



domradio.de: Kommen wir noch mal zu der Anrechnung des Betreuungsgeldes auf Hartz IV Leistungen. Also sollte man wirklich die bestrafen, die es sowieso schon schwer haben?

Prof. Cremer: Wenn man uns gefragt als Caritas gefragt hätte, was man mit zwei, drei oder fünf Milliarden Euro sozialpolitisch erreichen könnte, kein Betreuungsgeld vorgeschlagen. Wir hätten vorgeschlagen, Familien im unteren Bereich zu unterstützen. Wir haben ein Konzept zur Bekämpfung der Kinderarmut. Wir hätten eine einkommensabhängige Kindergrundsicherung vorgeschlagen. Die Anrechnung lässt Familien im Transferbezug leer ausgehen. Sie lässt, und das geht in der öffentlichen Debatte unter, aber auch die Familien leer ausgehen, in denen ein Elternteil im niedrigen Einkommensbereich arbeitet. Die also gar nicht arbeitslos sind, aber niedrige Löhne haben. Die erhalten jetzt einen Kinderzuschlag, auch bei der Berechnung des Kinderzuschlags findet eine solche Anrechnung statt. Und es kann ja nicht sein, das wir jetzt allen Eltern, die ihre Kinder zu Hause betreuen, Geld geben, aber den Beziehern niedriger Einkommen nicht.



domradio.de: Ein Vorwurf lautet, das Betreuungsgeld würde ärmere und bildungsferne Eltern und Migrantenfamilien davon abhalten, ihre Kinder in eine Kita zu schicken.

Prof. Cremer: Natürlich muss man überlegen, welche Anreize das Betreuungsgeld hat. Wenn jetzt jemand, der sehr wenig Geld hat, 150 € bekommt, wenn er zu Hause das Kind betreut oder sie nicht bekommt, wenn er eine Einrichtung nutzt, dann wirkt das natürlich als Anreiz. Nicht weil diese Familien nichts Gutes für ihre Kinder tun wollten, sondern weil der Verzicht auf 150 € für sie halt besonders hart ist. Aber was mich stört in der Debatte ist eine generelle Unterstellung armer Familien oder Familien mit Migrationshintergrund, sie würden ihre Kinder nicht erziehen. Wir haben prekäre Familien, aber da brauchen wir dann andere Hilfen. Frühe Hilfen, Familienhebammen, Haushaltsorganisationstraining, wie es die Caritas anbietet, Mehrgenerationenhäuser, die Kontakt zu den Familien halten. Auch die Vereine können da einiges leisten. Hilfe für Familien in ganz speziellen prekären Lagen muss man auch gesondert organisieren. Das kann man nicht über so ein Transfer-System tun, wie mit einem Betreuungsgeld.



domradio.de: Sie sind zwar gegen das Betreuungsgeld aber es wird wohl Voraussichtlich im nächsten Jahr kommen, voraussichtlich im Juli, für diejenigen Eltern die ihre Kinder also von ein bis drei Jahren nicht in Einrichtungen betreuen lassen. Was würden sie der Regierung noch mit auf den Weg geben? Was sollte man bedenken?

Prof. Cremer: Ich glaube, dass die Diskussion noch nicht abgeschlossen ist. Jetzt gibt es einen neuen Vorschlag, möglicherweise statt des Betreuungsgeldes, das Elterngeld in das zweite Jahr vorzuführen. Das ist sicherlich eine sehr Überlegenswerte Idee. Und es gibt ja jetzt auch noch die Diskussion, die Rentenabsicherung von Frauen zu verbessern. Auch das ist positiv. Wir sprechen dann aber mittlerweile über ein Finanzpaket von 5 Milliarden Euro und ich würde mir noch mal eine Ergebnis offene Debatte wünschen, wie wir mit einem solchen Geld Familien und denjenigen, die Erziehungsleistungen erbringen, die unserer Gesellschaft am besten hilft.  



Das Interview führte Aurelia Plieschke.



Hintergrund

Die Kritik am geplanten Betreuungsgeld geht unvermindert weiter. Vor allem die mögliche Verrechnung der umstrittenen Leistung mit Hartz IV sorgt für Widerspruch. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, plädierte dafür, mit dem Geld lieber Krippen und Kindertagesstätten auszubauen. Der Deutsche Kinderschutzbund warf der Bundesregierung vor, sie schiebe mit ihren Plänen arme Kinder bewusst ins Abseits.



Schneider sagte den "Ruhr Nachrichten" (Donnerstagsausgabe), Geld dürfe "nicht an Einzelne ausgezahlt werden", sondern sollte in den Kita-Ausbau fließen. "Damit kämen wir auf dem Weg zur Bildungsgerechtigkeit und zu verbesserten Lebenschancen für benachteiligte Kinder einen guten Schritt weiter", erklärte der rheinische Präses. Die Debatte über eine mögliche Anrechenbarkeit des geplanten Betreuungsgeldes auf Hartz IV verstärke "das Störgefühl, das ich bei dem Thema habe", sagte Schneider weiter: "Wir müssen doch vor allem fragen: Was dient benachteiligten Kindern?"



Kinderschutzbund-Präsident Heinz Hilgers warf Union und FDP in der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Donnerstagsausgabe) eine "Ausgrenzungspolitik" vor. Das Betreuungsgeld setze falsche Anreize. Der Plan der Koalition, dass nun Hartz-IV-Empfänger vom Betreuungsgeld ausgeschlossen werden sollten, mache das Geschacher um diese familienpolitische Leistung endgültig "abstoßend und unwürdig".



Ähnlich äußerte sich die Präsidentin des Familienbundes der Katholiken, Elisabeth Bußmann. Wenn das Betreuungsgeld bei ärmeren Familien mit Hartz-IV-Leistungen verrechnet werde, benachteilige dies Familien, die das Geld am dringendsten benötigten, sagte sie den "Ruhr Nachrichten": "Wir sehen die Gefahr einer sozialen Schieflage."



Umstritten ist auch der Vorschlag des Unions-Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder (CDU), den Streit um das Betreuungsgeld durch zusätzliche Rentenleistungen für Eltern zu lösen. Nach Berechnungen des Bundesfinanzministeriums würde dies 13 Milliarden Euro jährlich kosten, wie die "Mitteldeutsche Zeitung" (Donnerstagsausgabe) berichtet. Aus dem Umfeld von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hieß es der Zeitung zufolge, eine solche Maßnahme wäre damit "kaum realisierbar".



Das Betreuungsgeld soll nach den Plänen der Bundesregierung an Eltern ausgezahlt werden, die ihr Kleinkind nicht in eine öffentlich geförderte Kindertagesstätte schicken. Ab Mitte 2013 sollen sie zunächst 100 Euro für einjährige Kinder und ab 2014 dann 150 Euro im Monat für ihre ein- und zweijährigen Kinder bekommen.

Hartz-IV-Empfänger sollen nach Medienberichten von den Zahlungen nicht profitieren. Ihnen solle die neue Leistung zwar ausgezahlt, anschließend aber in voller Höhe vom Arbeitslosengeld II abgezogen werden.