Caritas zieht negative Bildungspaket-Bilanz

"Zum Teil würdelos und absurd"

Ein Jahr nach dem Start des Bildungspaketes für Kinder aus einkommensschwachen Familien ziehen Opposition und Verbände eine negative Bilanz. Im domradio.de-Interview kritisiert Frank Johannes Hensel, Caritasdirektor im Erzbistum Köln, vor allem das Antragsverfahren und fordert eine Neuausrichtung der Gelder. Außerdem: eine Einschätzung des Kölner Pfarrers Franz Meurer.

 (DR)

domradio.de: Warum muss das Bildungspaket als "gefloppt" bezeichnet werden?

Hensel: Zumindest kann man sagen: Bis jetzt kommt es nicht so auf die Beine, wie gedacht. Die Leistungen können gar nicht ausgekehrt werden, tatsächlich wird nur ein Viertel der Mittel abgerufen. Das liegt auch daran, wie an sie ranzukommen ist: nämlich sehr schwer. Und nur die Hälfte der Leistungsberechtigten versucht das überhaupt. Man hat von Bundesseite aus fast eine Milliarde dafür aufgewendet. Dass dabei 20 Prozent für die Verwaltung verbraucht würden, stand von Anfang an fest - von der ganzen Idee her ist das schon sehr, sehr traurig. Und tatsächlich funktioniert es jetzt auch nicht gut.



domradio.de: Woran liegt das, dass die betroffenen Eltern das Bildungspaket kaum in Anspruch nehmen und bisher viel zu wenige Anträge eingegangen sind?

Hensel: Ein Beispiel: Wenn die Nachhilfe bezahlt werden soll, muss eine nachgewiesene, unmittelbare Versetzungsgefährdung vorliegen. In einem Fach schwach zu sein und Hilfe zu benötigen, reicht nicht, sondern Sie brauchen sogar ein Gutachten, das das nachweist. Dann können Sie die Nachhilfe in Anspruch nehmen. Sie müssen allerdings als Eltern in finanzielle Vorleistung gehen, und es kann dann sein, dass Ihnen das nachher refinanziert wird. Der ganze Vorgang dauert mehrere Monate - und ist damit so schwerfällig aufgesetzt, dass er kaum gegangen wird. Tatsächlich geht nur ein kleiner Teil - in einigen Regionen sind es nur zwei Prozent - in Lernförderung, das meiste wird für das Mittagessen bezahlt.



domradio.de: Welche Leistungen sind das denn, die Eltern außerdem beantragen und für ihre Kinder bekommen können?

Hensel: Mittagessen, Tagesausflüge in der Schule, Klassenfahrten, Lernförderung und eben jene ominösen zehn Euro, die man pro Monat bekommen kann, um z.B. im Musikunterricht oder im Sportverein mitmachen zu können. Das ist das Geld, das zumindest beim Musikunterricht nicht reicht. Die Idee war, den Kindern eine unmittelbare Kaufkraft für diese Dinge zu geben. Dann hat man sie aber nicht richtig damit ausgestattet bzw. die bürokratischen Hürden zu hoch errichtet.



domradio.de: Welche Möglichkeiten würden Sie sehen, diese Zustände zu ändern - damit auch Kinder aus ärmeren Verhältnissen eine wirkliche Chance auf Bildung bekommen und nicht nur auf dem Papier?

Hensel: Das Geld muss anders angelegt werden. Offenbar ist der Weg, den man hier beschritten hat, nicht richtig. Wenngleich auch die Ideen, in die man investieren wollte, nicht schlecht gedacht sind. Aber so geht es nicht. Die Caritas plädiert dafür, das Verwaltungsgeld, das teilweise in sehr effiziente, teilweise auch absurde und würdelose Antrags- und Prüfverfahren geht, nicht mehr dafür aufzuwenden, sondern dieses enorme Geld, das von Bundesseite dafür auch eingeplant ist und nur zu einem Viertel abgerufen ist, z.B. in das flächendeckende kostenlose Mittagessen in Schulen zu investieren, in niedrigschwellige Zugänge vor Ort in den Kommunen für Kultur-, Sport und Freizeitangebote. Damit könnte man einen wesentlich leichteren Zugang für die jungen Menschen in unserem Land schaffen. Da muss nicht mehr der Einzelne ein Bedürftigkeitsverfahren durchlaufen. Das wäre eine gesellschaftliche Entscheidung, die wir treffen können, zu sagen:  In unseren zunehmend den ganzen Tag dauernden Bildungseinrichtungen, z.B. Schulen und Kindergärten, ist das Mittagessen mit drin.



Das Gespräch führte Monika Weiß.