Caritas startet neue Jahreskampagne

"Armut macht krank"

Das Krankheitsrisiko hängt auch in Deutschland von Einkommen, Bildung oder dem Aufenthaltsstatus eines Menschen ab. Auf diesen Zusammenhang will der Deutsche Caritasverband in diesem Jahr besonders aufmerksam machen. "Armut macht krank" lautet das Jahresmotto 2012. "In einem der reichsten Länder der Welt ist die Tatsache, dass Armut krank macht, ein provozierender Zustand", so Caritaspräsident Peter Neher zum Anstoss der neuen Kampagne.

 (DR)

domradio.de: Unter dem Motto "Armut macht krank" steht die diesjährige Kampagne, warum haben Sie sich für dieses Thema entschieden?

Prälat Peter Neher: Einerseits hat Deutschland sehr wohl ein gutes, solidarisch ausgerichtetes Gesundheitssystem mit einer hohen Qualität, aber mit der Botschaft möchten wir auch gleichzeitig auf Schwachstellen und ungenügende Zugänge im deutschen Gesundheitssystem aufmerksam machen.



domradio.de: Wo sind diese nicht vorhandenen Zugänge?

Prälat Neher: Was auffällt, dass langzeitarbeitslose Menschen in der Regel doppelt so häufig krank sind wie Erwerbstätige, dass sie doppelt so oft im Krankenhaus sind und zweieinhalb Mal so lang dort im Krankenhaus verbleiben und einen doppelt so hohen Verschreibungsbedarf an Psychopharmaka haben. Das ist einfach auffällig. Ein weiteres, dass obdachlose Männer in der Regel bis zu 30 Jahre weniger an Lebenserwartung haben, also in der Regel nur eine Lebenserwartung bis 46 Jahren und das ist natürlich signifikant. Es fällt auf, dass es hier offenbar wirklich einen intensiven Zusammenhang gibt zwischen einer Armutssituation und der Krankheit bzw. fehlender Gesundheit.



domradio.de: Warum gehen denn diese Menschen nicht zum Arzt?

Prälat Neher: Ich denke, was ein großes Hindernis ist, ist tatsächlich die vor Jahren eingeführte Praxisgebühr und auch dann die notwendigen Zuzahlungen. Es hat sich herausgestellt, dass diese steuernde Wirkung, die man der Praxisgebühr einmal zugesprochen hat, überhaupt nicht erfüllt wird. Deswegen fordern wir auch, dass sie dringend abgeschafft wird, weil sie eben verhindert, dass Menschen rechtzeitig zum Arzt gehen oder wenn Sie obdachlose Menschen nehmen, da fehlt es dann oft an niederschwelligen Möglichkeiten, einen Arzt aufzusuchen. Straßenambulanzen gibt es sehr wenige, es gibt in Berlin eine, es gibt in Köln die Malteser Medizin, aber es gibt insgesamt bundesweit sehr wenige solcher niederschwelligen ambulanten Dienste. Es ist dann außerdem die Finanzierung noch nicht geklärt, weil trotz Krankenversicherungspflicht, die Menschen oft einfach keinen Zugang mehr zu ihrer Kasse haben, oft jahrelang keinen Kontakt, keine Beiträge bezahlt haben, so dass im Einzelfall massive Probleme auch in der Finanzierung der Gesundheitsbetreuung auftauchen.



domradio.de: Jetzt sind natürlich die Obdachlosen sozusagen eines der krassesten Beispiele, für wen wollen Sie sich noch einsetzen?

Prälat Neher: Es geht uns ja insgesamt darum, auf Personengruppen aufmerksam zu machen, die hier besonders betroffen sind und das sind neben den wohnungslosen Menschen langzeitarbeitslose Menschen, die ja trotzdem da sind, auch wenn mittlerweile die Konjunktur sehr gut angelaufen ist und viele Menschen Arbeit haben, aber es gibt einfach einen Personenkreis - wir gehen davon aus, dass es 400.000 - 450.000 Menschen sind - die nach wie vor keine Perspektive auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt haben. Da sind dann oft die Familien, die Kinder mit betroffen und dass eben bei anhaltender Arbeitslosigkeit die physischen und psychischen Belastungen massiv zunehmen und damit auch die Gesundheitsrisiken. Eine weitere Personengruppe, das sind Menschen, die bei uns Asyl suchen und nach dem Asylbewerberleistungsgesetz hier betreut werden. Sie haben zwar einen Anspruch auf medizinische Betreuung in der Notsituation, aber es gibt Riesenprobleme, wenn wirklich gravierende Krankheiten da sind. Dann noch vielleicht  Menschen, die in Illegalität bei uns leben. Das sind die Personengruppen, die hier von unserem Gesundheitswesen massiv negativ tangiert sind und wo wir dringend eine Änderung herbeiführen wollen.     



Das Interview führte Uta Vorbrodt (domradio.de)