Experten diskutieren Folgen europäischer Pflegemigration

Raus aus der Illegalität

Geschätzte 150.000 bis 200.000 Frauen aus Osteuropa betreuen und versorgen in deutschen Haushalten pflegebedürftige, alte Menschen. Viele davon immer noch ohne legalen Arbeitsvertrag. Die Caritas will diese Frau nun aus der Illegalität holen.

Autor/in:
Volker Hasenauer
 (DR)

Rund um die Uhr im Einsatz leisten die Frauen meist aufopferungsvoll jene Arbeit, ohne die viele alte Menschen nicht mehr in den eigenen vier Wänden und in ihren gewohnten sozialen Bezügen leben könnten. Legale Pflegestrukturen, unter Achtung von Tariflöhnen und Höchstarbeitszeiten, kann oder will sich hierzulande dagegen kaum jemand leisten.



Eine Tagung des internationalen Caritas-Netwerks geht in dieser Woche in Freiburg nun den Folgen, Problemen und Herausforderungen dieser Grauzone der osteuropäischen Pflegemigration nach. Expertinnen aus 17 Ländern wie Mitarbeiterinnen von Pflegediensten, Caritasverbänden und Pflegewissenschaftlerinnen versuchen, das Phänomen der Arbeitsmigration der Pflege aus möglichst internationaler Perspektive in den Blick zu bekommen. Ihr Anliegen: die pflegenden Frauen aus der Illegalität herausholen und ihnen angemessene Bezahlung und Arbeitsbedingungen sichern.



Notstand in den Heimatländern

"Uns in Deutschland muss stärker bewusst werden, dass die Entscheidung, wie ich Pflege organisiere, Folgen für die Situation in den Herkunftsländern der Pflegerinnen hat", sagte Anna Waldhausen von Caritas international zum Tagungsbeginn am Montag. Beispielsweise fänden Pflegedienste in osteuropäischen Staaten immer weniger Pflegefachkräfte, weil diese in den Westen abwanderten.



Längst ist ein europäischer Wettbewerb um die Pflegerinnen aus Polen, Rumänien, Moldawien oder der Ukraine entbrannt, die, so die Analyse der Caritas-Expertin, immer häufiger ihre eigenen Kinder in ihrer Heimat vernachlässigen, um in Deutschland das ökonomische Überleben ihrer Familie zu sichern. Auffällig sei in osteuropäischen Staaten die Zunahme von Straßenkindern.



Auch gute Erfahrungen

Larissa Dauer vom Bundesverband Europäischer Betreuungs- und Pflegekräfte wandte sich am Rand der Tagung jedoch gegen eine einseitig negative Einordnung der Pflegemigration. Ihre Erfahrung aus Beratung und Betreuung von Osteuropäerinnen zeige, dass die meisten warmherzig sehr gute Pflege leisteten und damit die deutschen Pflegebedürftigen in sehr guten Händen seien. Zumeist würden die Frauen in Deutschland anständig behandelt und erhielten mit durchschnittlich rund 1.000 Euro monatlichem Nettoeinkommen einen ausreichenden Lohn. Auch die Beobachtung, wonach die Frauen ihre eigenen kleinen Kinder in ihrer Heimat zurückließen, kann Dauer nicht bestätigen: "Meist sind die eigenen Kinder längst aus dem Haus."



Kritik übte Dauer dagegen am deutschen Gesetzgeber, der sich in Sachen Realität der Pflegeschwarzarbeit von osteuropäischen Frauen "taub und blind" stelle und das Problem der illegalen Beschäftigung nicht angehe. Nötig sei es endlich, Frauen aus Osteuropa in Deutschland unbürokratisch den Status der Selbstständigkeit zu ermöglichen. "Dann würde es keine kriminellen Vermittlungsagenturen mehr geben, die die rechtliche Unsicherheit für ihre Machenschaften nutzen und Frauen aus Osteuropa ausbeuten."



Bedarf wird steigen

Einig sind sich die Experten, dass die Zahl pflegebedürftiger Menschen in Deutschland in den kommenden Jahren stark ansteigen wird. Denkbar ist eine Verdoppelung von aktuell 2,3 Millionen auf 4,5 Millionen auf Pflege angewiesene im Jahr 2050.



Schon aus diesen demografischen Gründen forderte Elke Tießler-Marenda vom Deutschen Caritasverband daher neue Konzepte der Pflege. Nach skandinavischem Vorbild könnten in den Städten Wohnviertel entstehen, in denen Betreuung und Pflege nicht individuell, sondern Häuserweise organisiert werde. "Wir brauchen ein kreatives Ausprobieren innovativer Konzepte. Das Organisieren der Pflege muss ein gesellschaftliches Zukunftsthema werden." Dazu soll die Fachtagung bis Mittwoch ein Forum für Austausch und das Knüpfen von Netzwerken bieten.