Caritas kritisiert Arbeitsmarktreform

"An der Realität vorbei"

Der Deutsche Caritasverband und die katholische Bundesarbeitsgemeinschaft Integration durch Arbeit (BAG IDA) haben die Pläne der Bundesregierung zur Arbeitsmarktreform scharf kritisiert. Der vorliegende Kabinettsentwurf zur Änderungen bei der öffentlich geförderten Beschäftigung gehe "an der Realität vorbei". Der Vorsitzende der Sozialkommission der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, betont "Kein Mensch ist überflüssig, jeder wird gebraucht".

 (DR)

Menschen, die seit Jahren arbeitslos seien, unter starken gesundheitlichen Einschränkungen oder psychischen Erkrankungen litten, hätten ohne intensive Förderung nahezu keine Chance, einen Arbeitsplatz auf dem ersten Arbeitsmarkt zu finden, beklagte Caritas-Generalsekretär Georg Cremer am Mittwoch gegenüber domradio.de.  



Beide Organisationen veranstalteten am Mittwoch in 30 Beschäftigungsbetrieben der BAG IDA die Aktion "Bin langzeitarbeitslos - will arbeiten", um auf das Anliegen aufmerksam zu machen. Dazu luden sie Betroffene und Politiker zum Gespräch ein. Nach Cremers Angaben sind derzeit mehr als eine Million Menschen länger als zwei Jahre arbeitslos. Rund 500.000 seien sogar seit der Einführung des Arbeitslosengeldes II im Jahr 2005 ohne Beschäftigung.



"Nur mit einer aktiven Arbeitsmarktpolitik erhalten diese Menschen wieder eine Perspektive", betonte Cremer. Er warnte vor den beabsichtigten Einschränkungen bei Ein-Euro-Jobs und der so genannten JobPerspektive. Die Gesetzesvorlage führe dazu, dass nur noch arbeitsmarktferne Tätigkeiten gefördert werden könnten. Die Fördermöglichkeiten müssten statt dessen weitergeführt und in ihrer Wirkung verbessert werden. "In realitätsfernen Scheinwelten und ohne sozialpädagogische Begleitung ist es nicht möglich, Menschen, die lange arbeitslos waren, für den ersten Arbeitsmarkt fit zu machen", so Cremer. Es gehe aber nicht nur um Arbeit, sondern auch um "die Teilhabe am sozialen und gesellschaftlichen Leben".



Gravierende Folgen

Hans-Jürgen Marcus, Vorsitzender der BAG IDA, befürchtet bei weitgehender Abschaffung der öffentlich geförderten Beschäftigung gravierenden Folgen. "Langzeitarbeitslose Menschen und ihre Familien bleiben dann sich selbst überlassen und haben keine Perspektive mehr. Auch arbeitsmarktferne junge Menschen erhalten keine zweite Chance." Gerade für Langzeitarbeitslose seien soziale Kontakte und eine klare Tagesstruktur durch eine Fördermaßnahme wichtige Hilfen zum Wiedereinstieg in Arbeit.



Cremer und Marcus unterstrichen, dass die Entscheidungen über öffentlich geförderte Beschäftigung nicht an praxisfernen Kriterien festgemacht, sondern vor Ort getroffen werden müssten. Die Bundesregierung wolle mit dem Gesetz erreichen, dass passgenaue Förderung vor Ort möglich werde. Dafür bräuchten die Jobcenter aber mehr Gestaltungsspielraum und Entscheidungsfreiheit statt engerer Vorgaben.



Der Vorsitzende der Sozialkommission der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, sagte am Mittwoch in München, die Vorschläge führten im Effekt dazu, rund 500.000 der 1,4 Millionen langzeitarbeitslosen Menschen "schlicht abzuschreiben".  Dies sei mit dem christlichen Menschenbild nicht vereinbar. Nach Ansicht von Marx droht vielen Integrationsbetrieben und Beschäftigungsprojekten bei den neuen Regelungen das Aus. "Wer hier einspart, wer Förderung reduziert und damit Vermittlungschancen unnötig einschränkt und so Teilhabe verhindert, der handelt sozial ungerecht und volkswirtschaftlich unvernünftig", so der Erzbischof.  "Kein Mensch ist überflüssig, jeder wird gebraucht", betonte Marx. Auch jene, deren Arbeit aus Sicht des Marktes vielleicht nicht "produktiv" sei, hätten ein Recht auf eine sinnvolle, öffentlich geförderte Beschäftigung. Die Reform sehe statt dessen eine "bloße Alimentierung" vor.