Die Caritas drängt zu einem anderen Blick auf das Alter

Experten mit Erfahrung

Der Deutsche Caritasverband hat Gesellschaft und Medien zu einer positiveren Sicht auf das Alter aufgerufen. Aktuelle Debatten zum Leben im Alter seien "verkürzt und oft mit negativen Vorzeichen behaftet", sagte Caritas-Präsident Peter Neher am Dienstag in Berlin. Dabei biete sich angesichts der demografischen Entwicklung noch eine Fülle an Möglichkeiten, Potenziale alter Menschen zu nutzen. Kommunen und auch Kirchengemeinden müssten auf die Bedürfnisse älterer Menschen eingehen.

 (DR)

Nun macht Oskar Jura noch einmal Karriere. «Ich bin schon ein bisschen stolz, dass ich mit 85 noch einmal für Fotografen vor die Kamera gehen durfte», sagt er. Nach bald einem halben Jahrhundert steht der in einem Berliner Caritas-Altersheim lebende gebürtige Schlesier noch einmal als Model vor der Kamera. Damals, als junger Mann, posierte er für seinen Arbeitgeber Gillette bei einer bundesweiten Werbekampagne, künftig lächelt er bundesweit für die Caritas von Plakatwänden. Sie illustriert damit ihr Jahresthema «Experten fürs Leben» und möchte die Gesellschaft zu einem neuen Blick auf ältere Menschen ermuntern.

Debatten um das Leben liefen derzeit «verkürzt und oft mit negativen Vorzeichen behaftet», meint Caritas-Präsident Peter Neher. Berichte gäben die Lebenswirklichkeit alter Menschen meist nur unzureichend wieder. Deshalb solle die Jahreskampagne, ein weiterer Schritt im größeren Caritas-Werben für mehr «selbstbestimmte Teilhabe» - den Blick auf Frauen und Männer im Alter «weiten». Den Begriff «Senior» verwendet Neher bei der Vorstellung der neuen Kampagne nicht. Eher spricht er vom dritten und vierten Lebensabschnitt - und macht damit deutlich, dass der Abschnitt des rüstigen Rentnerlebens von einer weiteren Lebensphase, in der Hilfe und Zuwendung unabdingbar sind, zu trennen ist.

In den kommenden Monaten will der katholische Wohlfahrtsverband auch für eine stärkere Einbindung älterer Menschen in die Gesellschaft werben. Ältere, so Neher, seien «Experten für vielfältige Lebenssituationen, einschließlich kritischer Lebensereignisse, die sie gemeistert haben oder an denen sie vielleicht gescheitert sind». Der Prälat schildert sein eigenes Erleben älterer Menschen, die ihm als junger Priester begegnet seien. Und auf den neuen Plakaten präsentieren sich rüstige ältere Damen und Herren als Expertinnen für Sonntagsbraten oder Liebeskummer, Lebensfreude oder - Oskar Jura - Lebenskrisen.

Begleitend zu der Experten-Kampagne, die das Jahr über auf Plakatwänden, in Kinos, Fernseh- oder Radiospots auftauchen wird, verbindet der Verband sein Plädoyer für einen neuen Blick auf das Alter mit konkreten politischen Zielen. Da ist zunächst die Forderung nach einer finanziellen Absicherung von pflegenden Angehörigen. Mit einem entsprechenden Plädoyer war die Caritas bei der Ausarbeitung des Pflegeweiterentwicklungsgesetzes von 2008 gescheitert. Derzeit könne sich eine solche Freistellung «nur jemand leisten, der über ein entsprechendes Einkommen verfügt», bemängelt Neher. Er verweist auf die Bereitschaft vieler Angehöriger oder auch Freunde, sich um Pflegebedürftige zu kümmern. Doch solle die Politik dazu auch finanzielle Regelungen schaffen - vergleichbar mit Erziehungszeiten bei Kindern.

Zudem weitet der Verband seinen Blick auch auf Fragen des Städtebaus und der Infrastrukturpolitik. Franz Fink, Leiter des Caritas-Referats Altenhilfe, verweist auf Modellprojekte, bei denen es eben auf das Leben im vertrauten Umfeld, auf das Funktionieren des dörflichen Lebens oder der Nachbarschaft im großstädtischen Hochhaus ankommt.

Und zu den Projekten, die die Caritas zum Leben im Alter modellhaft vorstellt, gehören betont Engagements im Wohnumfeld. Gemeinsame Wohnformen von Familien und Älteren der Stiftung Liebenau in Meckenbeuren, ein Service «Hilfe aus einer Hand» der Wuppertaler Caritas, der beim Waschen oder Bügeln hilft oder bei Einkäufen begleitet, ein Frankfurter Modell «Gesund altern im Quartier» oder auch «Leihgroßeltern» in Greifswald. All diese Angebote setzen letztlich darauf, die Menschen im Alter möglichst lange daheim zu lassen, sie nicht in Heimen zu isolieren, stattdessen Familie oder Nachbarschaften einzubeziehen.