Präsident des Caritasverbands kritisiert im domradio den CDU-Wahlkampf scharf

"Populistische Dampfplaudereien"

Der Präsident des deutschen Caritasverbands, Prälat Dr. Peter Neher, hat dem hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch "populistische Dampfplauderei" vorgeworfen. Im domradio-Interview sagte Neher, mit der Forderung nach einem "Anstandskatalog" und einer Verschärfung des Jugendstrafrechts suggeriere der hessische Ministerpräsident Roland Koch ein Rechtsstaatsdefizit. In Wahrheit handle es sich aber um ein Defizit an Integration und Zukunftsperspektiven. Unterdessen erhält Koch immer mehr Unterstützung anderen Politikern.

 (DR)

Kochs Appelle an Einheimische und Ausländer, mehr Respekt vor traditionellen Sitten und Werten zu zeigen, seien daher "schlicht Wahlkampf". Auch Kochs Forderung "lieber drei Tage Gefängnis als eine lebenslange kriminelle Karriere" weist Neher zurück: "Alle, die mit jungen Menschen im Jugendstrafvollzug zusammen arbeiten wissen, dass gerade der Gefängnisaufenthalt oft eine kriminelle Karriere eher befördert als dass er sie verhindert."

Oberstes Ziel müsse daher die Resozialisierung sein.  Zudem sei gerade der hessische Strafvollzug nahezu beispielhaft und stehe im krassen Gegensatz zu dem, was Koch jeden Tag von sich gebe. Er gehe davon aus, dass die Menschen durchschauten, wie vordergründig Kochs Forderungen und markige Sprüche seien, so Neher.

"Wiesbadener Erklärung" beschlossen
Der Vorstand der CDU hat die "Wiesbadener Erklärung" einstimmig verabschiedet. Dies wurde am Rande der Klausurtagung am Samstag in Wiesbaden bekannt. Beschlossen wurde unter anderem die Einrichtung von Erziehungscamps, ein "Warnschuss-Arrest" bei Bewährungsstrafen sowie die Ausweitung der Höchststrafe für jugendliche Straftäter von zehn auf 15 Jahre.

Im Bereich der Steuergesetzgebung wollen die Christdemokraten im Frühjahr 2009 ein Eckpunktepapier zu einer Steuerreform vorlegen. Die Erhöhung des Kindergelds soll spätestens zum 1. Januar 2009 kommen. Ausgebaut werden soll auch die Kinderbetreuung.

Unterstützung für Koch
Bayerns Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU) sagte dem Nachrichtenmagazin "Focus", gerade gegenüber "Problemkindern" dürfe sich der Staat nicht "schwach" zeigen, sondern müsse "durch hartes Auftreten zur rechten Zeit konsequent Grenzen setzen".

Für eine deutlich härtere Justiz plädierte auch Hamburgs Innensenator Udo Nagel (parteilos). Neben Prävention seien zur Bekämpfung der Jugendkriminalität auch "Warnarreste und Haftverschärfungen" notwendig.

Stimmungsmache auf "fragwürdigem Niveau"
Aus der evangelischen Kirche gibt es Kritik Ministerpräsident Roland Koch. Bernd Schlüter, sozialpolitischer Vorstand des Diakonischen Werks, kritisierte in der "Frankfurter Rundschau" insbesondere die Passage zur Ausländerintegration, in der Koch "Hausschlachtungen in der Wohnküche" und "ungewohnte Vorstellungen zur Müllentsorgung" erwähnte, die nicht mit "unseren Sitten und Gebräuchen" vereinbar seien.

Der Diakonie-Vorstand sprach von einem "unanständigen Anstandskatalog zu Wahlkampfzwecken, der erheblichen gesellschaftlichen Schaden anrichten kann". Koch habe für seine Pauschalierungen "haarsträubende Beispiele" herangezogen. Schlüter kritisierte auch, dass sich Koch als "akzeptierter Sprecher einer schweigenden Mehrheit von Deutschen" bezeichnet hatte. Koch mache Stimmung auf "fragwürdigem Niveau", sagte Schlüter. "Stattdessen sollten wir besser schauen, wie wir mit einer vernünftigen Bildungs- und Sozialpolitik bestimmte Gruppen wieder an die Mitte der Gesellschaft heranführen."

Ausländerbeiräte werfen Koch Hetzkampagne vor
Auch die Ausländerbeiräte in Hessen haben die Debatte über straffällige jugendliche Ausländer scharf kritisiert. "Integration erreicht man nicht über mehr oder minder offene Hetze", sagte der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte (AGAH), Yilmaz Memisoglu, am Freitag in Wiesbaden. Es sei "fatal" für das Zusammenleben in Deutschland, wenn in einem Wahlkampf versucht werde, "die Schlacht mit diesen Menschen zu gewinnen", sagte Memisoglu mit Blick auf die jüngsten Äußerungen von Hessens Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU). In Deutschland gebe es "eine grundlegende ausländerfeindliche Stimmung", die durch solche Kampagnen weitere Nahrung erhalte.

Zentralrat der Muslime: Koch betreibt gefährliche Hetze
Auch der Zentralrat der Muslime in Deutschland hat die jüngsten Äußerungen von Koch heftig kritisiert. Koch betreibe eine "äußerst gefährliche Hetze", sagte der Vorsitzende des Zentralrats, Ayyub Axel Köhler, dem Berliner "Tagesspiegel". Der Politiker fische mit seinem populistischen Wahlkampf nicht nur am rechten Rand, sondern sorge auch dafür, dass der Rechtsradikalismus stärker werde. "Den Radikalen bleibt ja nichts anderes übrig, als weiter aufzusatteln, damit sie neben solchen Politikern überhaupt noch erkennbar sind", so Köhler.

Köhler betonte, dass der Hinweis auf "Missstände, die wir auch als Muslime bekämpfen", nicht in einen aufrichtigen Wahlkampf gehöre. Dadurch werde in der Bevölkerung "Islamophobie" erzeugt, so der Zentralrats-Vorsitzende.

Koch setzt auf "Moral"
Im Kampf um die Macht in Hessen hatte Ministerpräsident Roland Koch (CDU) am Donnerstag nachgelegt. Nach seinem Vorstoß für ein härteres Jugendstrafrecht forderte er nun eine Debatte über Moral und bessere Umgangsformen in der Gesellschaft. Die in Deutschland lebenden Ausländer und Zuwanderer rief Koch zugleich auf, die hiesigen "Sitten und Gebräuche" zu beachten. Das "Schlachten in der Wohnküche" oder "in unserem Land ungewohnte Vorstellungen zur Müllentsorgung" gehörten "nicht zu unserer Hausordnung", heißt es in einem via "Bild"-Zeitung veröffentlichten Thesenpapier des CDU-Bundesvizes. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) sprach sich gegen eine Verschärfung des Jugendstrafrechts aus und forderte stattdessen eine konsequente Anwendung der vorhandenen Gesetze.

Nach Ansicht Kochs braucht es in der Gesellschaft wieder mehr "Anstand, Rücksicht und Zivilcourage". Notwendig seien Respekt vor der älteren Generation, das Eintreten für Traditionen sowie Tugenden wie Disziplin, Ordnung, Höflichkeit und Fleiß. Es müsse wieder normal werden, Älteren im Bus den Platz anzubieten oder auch "ordentlich zu grüßen".

Koch solle mit Anstand und Moral bei sich selbst anfangen, hieß es von der Hessen-SPD dazu. Generalsekretär Norbert Schmitt sagte, Koch sei unter den aktiven Politikern in Deutschland derjenige, der am meisten zum Ansehensverlust der Politik beigetragen habe. "Wer für die Verleumdung des politischen Gegners, für vielfältigen Wortbruch, einen Schwarzgeldskandal mit Lügen, Betrug und Täuschung und das Verbreiten von Pogromstimmung die Verantwortung trägt, sollte sich einfach zurückhalten, wenn es um moralische Ansprüche geht", forderte Schmitt.

"Wir sind mit Herrn Koch einig, wenn es um Höflichkeit, Respekt und Zivilcourage geht. Das gilt auch gegenüber ethnischen oder religiösen Minderheiten in diesem Land. Wenn es ein Problem mit dem Schlachten in Wohnküchen gibt, dann ist das ordnungspolitisch zu lösen, nicht über die Bild-Zeitung", sagte der Vorsitzende des Landesausländerbeirats, Yilmaz Memisoglu.

Koch erneuerte in seinem Thesenpapier auch seine Forderung nach härteren Strafen für junge Gewalttäter: "Lieber drei Tage Gefängnis als Warnschuss für einen jungen Gewalttäter als eine lebenslange kriminelle Karriere".