Investition in Bildung und Prävention wichtiger

Achten statt ächten

In der Debatte um den Umgang mit kriminellen Jugendlichen haben die katholischen Gefängnisseelsorger vor härteren Strafen gewarnt. Die reflexartige Forderung nach Wegsperren und schärferer Disziplinierung bringe gar nichts, sagte der Vorsitzende der Konferenz der Katholischen Seelsorge bei den Justizvollzugsanstalten, Axel Wiesbrock, am Donnerstag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Oranienburg. Auch die Fachleute der Caritas fordern eine "Achtung" statt "Ächtung" der Jugendlichen. Stimmen, die den Wahlkämpfer Roland Koch nicht erfreuen dürften.

 (DR)

Wiesbrock forderte am Donnerstag stärkere Investitionen in Bildung und Vorbeugung sowie einen Ausbau pädagogischer Programme in den Jugendhaftanstalten. Die Forderungen nach Erziehungscamps, Warnschussarresten und schnellerem Abschieben erweckten den Eindruck, als sollten jugendliche Straftäter eher gebrochen als gefördert werden, kritisierte Wiesbrock. Er appellierte an die Politik, mehr in Schulen zu investieren und beispielsweise etwas gegen die hohe Schulabbrecher-Quote unter ausländischen Jugendlichen zu tun. Die Gewaltbereitschaft der Jugendlichen gehe immer dann zurück, wenn sie sozial und schulisch gut integriert seien.

In den Jugendhaftanstalten solle der Erziehungsgedanke noch stärker im Vordergrund stehen, forderte der Seelsorger. Dazu müssten pädagogische Konzepte entwickelt und mehr Personal eingestellt werden. Wiesbrock lobte in diesem Zusammenhang die Entwicklung in Nordrhein-Westfalen, wo nach dem Foltermord in der Haftanstalt Siegburg ein Umdenken zu beobachten sei.

Caritas Köln: Es gibt Maßnahmen
Im domradio-Interview bewertet Johannes Böhnke vom Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln die Idee eines Lagers in der Tradition der us-amerikanischen "Bootcamps" kritisch. Und stellt stattdessen positive Beispiele aus der eigenen Erziehungspraxis vor.

"Es ist nicht so, dass wir keine Maßnahmen in Deutschland hätten", so Böhnke und verweist auf das "Raphaelshaus" in Dormagen.

Die Schwierigkeit in Deutschland im Augenblick dagegen sei, dass Straftaten erst viele Monate nach der Tat wieder vor Gericht thematisiert würden. Bis dahin sei den Jugendlichen das Bewusstsein für die selber begangene Tat schon längst wieder abhanden gekommen.

Die Gruppe gewaltbereiter Jugendlicher schätzt Böhnke als eher klein ein. "Man kann verstehen, dass die Volksseele bei einem Fall wie dem in München hochkocht." Die Gruppe der gewalttätigen Jugendlichen wachse aber nicht.

Caritas in NRW fordert mehr Hilfen für Jugendliche
Auch die Caritas in Nordrhein-Westfalen hat dazu aufgerufen, Jugendliche zu achten statt zu ächten. "Jugendliche können ihr Leben bewältigen, wenn sie dazu befähigt werden", erklärte der münstersche Diözesandirektor Heinz-Josef Kessmann nach einer Mitteilung des Caritasverbandes am Mittwoch. Caritasverbände in Nordrhein-Westfalen kündigten eine Befähigungsinitiative an, mit der benachteiligte Kinder und Jugendliche gestärkt werden sollen.

Nach Auffassung Kessmanns sind besonders stabile und verlässliche Beziehungen für eine gesunde Entwicklung trotz widriger Umstände notwendig. Wichtig seien ebenso Schulen, die soziale Integration förderten und die Durchlässigkeit zwischen den Schichten vergrößerten. Helfen könnten auch Kirchengemeinden, die Jugendlichen Freiräume eröffneten, und Betriebe, die Bewerber auch mit schlechten Noten ausbildeten.
Der Münsteraner Caritasdirektor forderte auch mehr Hilfen der Jugendämter. Jugendhilfe dürfe sich nicht hinter Haushaltszwängen verschanzen, erklärte er.

BDKJ verurteilt "populistische Debatte"
Auch der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) kritisiert die Diskussion über den Umgang mit kriminellen Jugendlichen. Es handele sich um eine "populistische Scheindebatte, die von den eigentlichen Problemen ablenkt", sagte der BDKJ-Bundesvorsitzende Dirk Tänzler am Donnerstag in Düsseldorf. Junge Intensivtäter ließen sich von härteren Strafen wie Erziehungscamps oder sogenannten Warnschussarresten nicht abschrecken. Stattdessen müsse man Ausbildungs- und Rehabilitationsmaßnahmen intensivieren, um Betroffenen neue Perspektiven zu bieten.

Ein "Armutszeugnis für unsere Gesellschaft" nannte Tänzler den Vorschlag, mehrfach straffällig gewordene Jugendliche ausländischer Herkunft abzuschieben: "Solche Forderungen schüren nur die Fremdenfeindlichkeit und helfen niemandem weiter." Bei konsequenter Anwendung böten die geltenden Gesetze einen ausreichenden Handlungskatalog.

Diakonie warnt vor "Stigmatisierung junger Ausländer"
Vor der "Stigmatisierung junger Ausländer" warnt das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland. Zwar sei im Jugendstrafrecht "noch einiges an Verbesserung und Reform möglich", betonte Klaus-Dieter Kottnik am Mittwoch in Berlin. Man dürfe aber nicht in Richtung Ausgrenzung oder gar Ausweisung junger Straftäter denken, sagte er mit Blick auf umstrittene Äußerungen des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU).

Kottnik forderte dagegen eine bessere Integration ausländischer Kinder und Jugendlicher sowie eine deutlich verbesserte Resozialisierung im Strafvollzug. Notwendig seien eine verbesserte Betreuung auch für Kinder mit Migrationshintergrund, eine gleichberechtigte Förderung in den Schulen für diese Kinder und Jugendlichen sowie gute Freizeitangebote. Bei bereits straffällig Gewordenen müssten positive Potenziale geweckt und gefördert werden.

Zunehmende Unterstützung bei Parteikollegen für Koch
Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) hatte in den vergangenen Wochen für ein härteres Vorgehen gegen straffällig gewordene Jugendliche mit Migrationshintergrund plädiert. Am Mittwoch bestärkte er seine Forderungen erneut und attackierte dabei Bundesjustizministerin Brigitte Zypries.

Im Bayerischen Rundfunk warf er der SPD-Politikerin im Kampf gegen Jugendkriminalität "Unfähigkeit" vor. "Mit Härte allein kommt niemand weiter, aber ohne Härte ist alles aus der Sicht vieler junger Menschen Spielerei, und ich glaube, dass Frau Zypries unfähig ist, den zweiten Satz zu erkennen." Die Justizministerin glaube, "dass das mit gutem Zureden alleine lösbar sei."

Sachsens Justizminister Geert Mackenroth (CDU) plädierte dafür, heranwachsende Straftäter im Alter zwischen 18 und 21 Jahren nur noch in Ausnahmefällen nach dem Jugendstrafrecht zu verurteilen. Der rechtspolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Jürgen Gehb (CDU), nannte Kritik an Erziehungslagern kurzsichtig.