Generalsekretär des Bonifatiuswerks über Flüchtlingsintegration

"Nicht auf Stammtischparolen hereinfallen"

Die Themen Flüchtlinge und Willkommenskultur stehen im Zentrum der diesjährigen Diaspora-Aktion des Bonifatiuswerks der Katholiken. Sie wird am Wochenende in Paderborn eröffnet. Hintergründe erläuterte der Generalsekretär des katholischen Hilfswerks, Georg Austen.

"Willkommenstaschen" des Bonifatiuswerks / © Patrick Kleibold, Bonifatiuswerk
"Willkommenstaschen" des Bonifatiuswerks / © Patrick Kleibold, Bonifatiuswerk

KNA: Monsignore Austen, was ist mit dem Leitwort der diesjährigen Diaspora-Aktion gemeint?

Georg Austen (Generalsekretär des Bonifatiuswerkes): Wir wollen deutlich herausstellen, dass eine Frucht unseres Glaubens die Willkommenskultur für Flüchtlinge und andere neu Ankommende ist. Sie ist Chance und Herausforderung zugleich - und für uns als Hilfswerk ein Zeichen gelebter Solidarität und des gegenseitigen Respekts. Mit der Planung der diesjährigen Aktion haben wir bereits vor dem aktuellen Flüchtlingszustrom begonnen. Es ist für uns wichtig zu sagen, wir brauchen die Gemeinschaft, und zwar weltweit.

KNA: Welche Früchte trägt die Arbeit des Bonifatiuswerks konkret?

Austen: Wir unterstützen Katholiken in einer Minderheitensituation in Deutschland, Nordeuropa und dem Baltikum, damit sie eine Glaubensgemeinschaft erfahren können. Das geschieht etwa durch die Finanzierung von Bauvorhaben, von Fahrzeugen, den sogenannten BONI-Bussen, sowie durch die Förderung verschiedener Initiativen zur Förderung des Glaubens oder des personellen Angebotes. Pro Jahr sind das über 800 Projekte.

KNA: In Schweden unterstützen Sie zum Beispiel den Bau einer Kirche für syrische Christen - ein typisches Projekt?

Austen: In Södertälje gibt es viele Flüchtlinge, die der chaldäisch-katholischen Kirche angehören. Insgesamt ist es ein Kennzeichen der Kirche in Nordeuropa, dass zu den Gemeinden mitunter 100 Nationalitäten gehören. Damit ist sie eine "Migrantenkirche". Letzte Woche bei der Grundsteinlegung der neuen Kathedrale im norwegischen Trondheim habe ich erfahren, dass für die Bürgermeisterin die katholische Kirche die erste Anlaufstelle beim Thema Integration ist - obwohl nur drei Prozent der Bevölkerung katholisch sind. So zeigen uns die dortigen Erfahrungen, dass Menschen anderer Nationen und Kulturkreise nicht nur "Befremdung", sondern auch Bereicherung sind - trotz der Probleme, die nicht verschwiegen werden dürfen. Das finde ich sehr ermutigend.

KNA: Stichwort Migrantenkirche: In Hamburg zum Beispiel hat etwa jeder dritte der rund 180.000 Katholiken ausländische Wurzeln...

Austen: Das Fotomotiv der diesjährigen Diaspora-Aktion ist in der Kirche Sankt Ansgar/Kleiner Michel in Hamburg entstanden. Wir wollten keine Models, sondern eine konkrete Gemeinde, die die Vielfalt widerspiegelt. In Hamburg, Berlin und anderen Städten suchen unterschiedliche Nationalitäten gerade in der Kirche eine Beheimatung. Die Menschen haben oft vieles verloren, nicht aber ihren Glauben, der ihnen Hilfe war und nun einen neuen Anlaufpunkt bietet. Die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, in der wir unseren Part erfüllen wollen.

KNA: Was heißt das genau?

Austen: Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, dass man nicht auf Stammtischparolen hereinfällt. Natürlich bringt die hohe Zahl von neu Ankommenden auch Probleme, Fragen und Ängste mit sich. Aber wir als Kirche können zum Beispiel Rahmenbedingungen anbieten, um die Flüchtlinge und auch die Helfer zu begleiten. Das Bonifatiuswerk will ganz konkret eine Willkommenskultur gestalten. Das heißt: Wir wollen einerseits die Bürger hier über andere Nationen, Religionen und Kulturen informieren. Dazu bieten wir Materialien und fördern Initiativen und Kontakte, um den Menschen vor Ort begegnen zu können. Außerdem unterstützen wir Projektstellen in der Flüchtlingshilfe, etwa für minderjährige Asylsuchende ohne Angehörige.

KNA: Gerade in Ostdeutschland, wo die Zahl der Migranten vergleichsweise gering ist, scheinen Vorurteile und Ängste gegen Flüchtlinge besonders groß. Was ist hier zu tun?

Austen: Das macht mir Sorge. Man kann dort vor allem in den ländlichen Regionen von einer doppelten Befremdung sprechen: Hier gibt es zum einen wenig Erfahrung mit Ausländern, zum anderen gehören relativ wenige Bürger einer Konfession an. Wenn dann Menschen aus fremden Kulturkreisen kommen, die vielleicht sogar wegen ihrer Religion verfolgt wurden, kann das zusätzliche Fragen aufwerfen.

Deswegen wollen wir uns als Bonifatiuswerk genau dem Thema Flüchtlinge und Religion vor Ort stellen. Wir befassen uns in der Kirche im Moment stark mit Strukturen und Finanzen. Die Begegnung mit Flüchtlingen, denen ihr Glaube starken Halt gibt, kann aber dazu beitragen, dass wir unseren eigenen Glauben neu beleben. Es sollte aber auch mit Dankbarkeit deutlich gesagt werden, dass derzeit gerade durch die Kirchen großartige Hilfe bei der Bewältigung dieser Flüchtlingskrise geleistet wird.

KNA: Zur diesjährigen Diaspora-Aktion hat das Bonifatiuswerk "Willkommenstaschen" aufgelegt. Was ist darin?

Austen: Die Willkommenstaschen sind eigentlich als eine Art Vehikel gedacht, mit dem die Gemeinden Zugezogene oder Flüchtlinge ansprechen können. Unter anderem befinden sich darin ein Neues Testament und ein Willkommensgebet. Außerdem steht in verschiedenen Sprachen - auch etwa Arabisch - "Willkommen" darauf. Die Gemeinden können sie auch selbst gestalten und als Willkommensgeschenk befüllen. Sie werden sehr gut angenommen. Es sind bisher schon rund 2.000 Taschen bestellt worden, obwohl die Aktion zum Diasporasonntag erst angelaufen ist.

KNA: Seit dieser Woche werden zwei Schiffe in Dortmund als Flüchtlingsunterkünfte eingerichtet - unter dem Projektnamen "Arche Noah"...

Austen: Der Winter steht vor der Tür, da müssen wir dringend Räumlichkeiten finden, wo Schutzsuchende menschenwürdig untergebracht und begleitet werden können. Wenn die Schiffe als Notlösung das bieten, finde ich das wesentlich besser, als dass die Menschen in Zelten leben müssen. Und der Name "Arche Noah" ist sehr passend. Denn für Menschen, die mitunter monatelange leidvolle Fluchtwege auf sich genommen haben, ist das Ankommen in einem sicheren Hafen wie eine Rettungsplanke. Aber neben den beengten Räumen sind auch die Helfer, die sie begleiten, ganz wichtig. Und hier erleben wir im Moment eine überwältigende Hilfsbereitschaft.

Sabine Kleyboldt

 


Quelle:
KNA