Über den Gehorsam in der Kirche und andernorts

Ein kulturgeschichtlicher Streifzug

"Im Gehorsam akzeptiere ich seine Entscheidung." So kommentierte Kardinal Marx die abschlägige Reaktion des Papstes auf sein Rücktrittsgesuch. Wer gehorchte früher so und wer tut das eigentlich heute noch?

Autor/in:
Joachim Heinz
Reinhard Kardinal Marx (r.) im Gespräch (Archiv) / © Paul Haring (KNA)
Reinhard Kardinal Marx (r.) im Gespräch (Archiv) / © Paul Haring ( KNA )

Eine verstörende Form von Gehorsam begegnet Bibellesern in einer mehrere tausend Jahre alten Geschichte. Das Buch Genesis erzählt, wie Gott dem Abraham befiehlt, ihm seinen einzigen Sohn Isaak als Brandopfer darzubringen.

Abraham tut schweren Herzens, wie ihm geheißen, führt seinen Sohn zur Opferstätte und will ihn gerade mit dem Messer töten, als ihm ein Engel des Herrn vom Himmel her Einhalt gebietet: "Streck deine Hand nicht gegen den Knaben aus, und tu ihm nichts zuleide! Denn jetzt weiß ich, dass du Gott fürchtest."

Die Episode bietet Stoff für seitenlange Interpretationen. Sie zeigt aber auch: Gehorsam hat in der Welt der Religon seit jeher einen festen Platz. Schließlich sitzt am Anfang der Befehlskette eine Instanz von allerhöchster Autorität. Aber auch in weltlichen Zusammenhängen stand der Gehorsam lange hoch im Kurs. Die Untertanen hatten ihren Landesherrn zu gehorchen, die Kinder ihren Eltern.

Die Frage, wie sich weltliche und geistliche Macht zueinander verhalten, trieb die Menschen seit der Antike um.

Luther machte sich Gedanken

Einer, der sich dazu so seine Gedanken machte, war Reformator Martin Luther. Seine Schrift "Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei" erschien 1523 und kann zumindest als kleine Etappe auf dem Weg einer Entflechtung von religiöser Sphäre und weltlichen Belangen gelesen werden. Doch weit und verschlungen war der Weg zu einer Gehorsams-Skepsis a la Charles de Montesquieu.

"Unbedingter Gehorsam setzt Unwissenheit bei den Gehorchenden voraus", schrieb der französische Rechtsphilosoph seinen Zeitgenossen im 18. Jahrhundert ins Stammbuch.

Gehorsam blieb gleichwohl ein hartnäckiges Phänomen. Der Soziologe Max Weber etwa definierte Herrschaft als Chance, "für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden".

Voraussetzung für so verstandene Herrschaft allerdings sei Legitimität, die wiederum dadurch hergestellt werde, dass die Beherrschten die Herrschenden akzeptierten. Klingt knifflig, ist es auch.

Leichter machten es sich die Schergen des NS-Regimes, die blind die menschenverachtenden Befehle ihrer Vorgesetzten ausführten oder diese sogar - in vorauseilendem Gehorsam - übererfüllten. Seit dem Zweiten Weltkrieg hat Gehorsam vor allem in Deutschland deswegen ein akutes Imageproblem, und das selbst im militärischen Bereich. Die Bundeswehr bekennt sich zum Prinzip der Inneren Führung als Wertegerüst. Die Ausführung verbrecherischer Befehle müssen Soldatinnen und Soldaten demnach verweigern, heißt es auf der Homepage der Bundeswehr. "Umgekehrt sind Vorgesetzte verpflichtet, nur rechtmäßige Befehle zu erteilen."

Hätte Kardinal Marx auch ungehorsam sein dürfen?

Böse Zungen behaupten, dass für den Bürger westlicher Gesellschaften das Thema Gehorsam spätestens mit Erreichen der Volljährigkeit erledigt sei. Welchen Mehrwert hat es also, wenn ein erwachsener und mündiger Mensch, der Münchner Kardinal Reinhard Marx, einem anderen erwachsenen und mündigen Menschen, Papst Franziskus, seines Gehorsams versichert? "Natürlich sind wir als Christen letzten Endes vor Gott verantwortlich", sagt Benediktinerpater Nikodemus Schnabel. "Wir sollen nicht in einem kindischen Stadium von Gehorsam verharren."

Positiv gewendet, lasse sich Gehorsam aber als "Hörbereitschaft" definieren, sagt der Ordensmann, der selbst die Gelübde von Armut Keuschheit und - natürlich - Gehorsam abgelegt hat. "Ich lasse zu und verspreche feierlich, dass andere in mein Leben mit hineinreden. Die heilsame Konsequenz: keine Ego-Trips, kein 'Unterm Strich zähl' ich'." Pater Nikodemus räumt zugleich ein, Gehorsam sei "ein täglicher Stachel im Fleisch" und könne auch missbraucht werden.

Das Grundkonzept bleibt nach den Worten des Bonner Kirchenrechtlers Norbert Lüdecke eine Stütze des katholischen Systems. Hätte Kardinal Marx auch ungehorsam sein dürfen? Ja, aber mit unangenehmen Konsequenzen, wie Lüdecke erläutert. Es läge dann beim Papst, ihn strafweise aus dem Amt zu nehmen oder andere Rechtsbeschränkungen aufzuerlegen. Für andere Ämter käme Marx in diesem Fall jedenfalls nicht mehr in Frage. Bei Ungehorsam droht Jobverlust - zumindest dieses Phänomen dürfte auch nicht-religiösen Mitmenschen bekannt vorkommen.


Quelle:
KNA
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