Missio fordert mehr Diversität in der Kirche

Ist die deutsche Kirche eine weiße Kirche?

Der Blick durch die Kirchenbänke in Deutschland eröffnet ein einheitliches Bild: alle weiß, die meisten im gesetzten Alter. Marita Wagner vom katholischen Hilfswerk Missio erläutert, welche Wege zu einer diverseren Kirche führen könnten.

Gottesdienstteilnehmer tragen Mundschutz / © Harald Oppitz (KNA)
Gottesdienstteilnehmer tragen Mundschutz / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO: Was würden Sie sagen, ist die deutsche Kirche wirklich eine rein weiße Kirche?

Marita Wagner (Weltkirche-Referentin des katholischen Hilfswerks Missio Aachen): In Anbetracht der Tatsache, dass jeder Katholik einen weltkirchlichen Lebenshintergrund hat, können wir eigentlich nicht davon ausgehen, dass wir eine weiße Kirche sind. Die Frage ist, wie wir diese Vielfalt auch in den Strukturen unserer Kirche sichtbar machen können.

DOMRADIO: Haben sie Gründe dafür, warum man diese Diversität nicht sehen kann in der Kirche?

Wagner: Ich glaube, Rassismus ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, und das macht eben auch vor der Kirchentüre nicht halt. Die Frage ist also: Wie besetzen wir auch unsere offiziellen Kirchenämter und Organisationen mit diversen Personen? Und da ist die Frage, ob wir da vielleicht noch Nachholbedarf haben.

DOMRADIO: Jetzt haben Sie den Rassismus gleich angesprochen, also Ausgrenzung gegenüber denjenigen, die im ersten Moment vielleicht nicht diesem doch sehr homogenen Bild entsprechen. Erleben Sie das denn?

Wagner: Ja, dabei gibt es einen bewussten und unbewussten Rassismus. Letzterer ist viel subtiler, und darüber müssen wir nachdenken: Wie subversiv und unbewusst auch rassistische Denkmuster uns prägen, weil wir so sozialisiert wurden.

DOMRADIO: Haben Sie Beispiele dafür?

Wagner: Ja, da gibt es eine gewisse Unsicherheit, auch gerade jetzt im Zuge dieser Rassismusdebatte: Die Angst, etwas falsches zu sagen. Ganz oft erlebe ich dann auch andere weiße Mitmenschen, die unsicher sind. Darf ich das jetzt noch sagen? Ist das jetzt rassistisch? Und diese Angst vor Fehlern, das ist keine Schande.

Es geht hier gar nicht darum, jetzt generell alle weißen Menschen zu tribunalisiseren, sondern dass wir darüber ins Gespräch kommen, über unsere gemeinsame Geschichte, über unser koloniales Erbe nachdenken und dadurch dann auch innerhalb unserer Kirche neue Lern- und Reflexionsräume aufzumachen,

DOMRADIO: Reflexionsräume, Lernräume. Was heißt das konkret?

Wagner: In meiner Tätigkeit bei Missio bin ich zuständig für das Fachmagazin "Forum Weltkirche". Und da hatten wir jetzt auch eine Ausgabe zum Thema "Rassismus bekämpfen". Unsere Redaktion erreichen viele Anfragen sowohl von weißen Menschen als auch von BIPOC (Black Indigenous), die entsprechende Erfahrungen gemacht haben. Es geht darum, mit einer emanzipatorischen Widerstandshaltung anhaltende Machtgefälle abzubauen. Beide Seiten signalisieren uns hier das Bedürfnis, miteinander ins Gespräch zu kommen und sich auch selbstkritisch jeweils in den Blick zu nehmen. Gerade auch weiße Menschen sind bereit, die eigenen Privilegien, die sie vielleicht unbewusst genießen, jetzt zu reflektieren.

DOMRADIO: Vor Gott sind alle gleich. Besonders Christen müssten das doch verinnerlicht haben.

Wagner: Wir sind alle gleichwertig, aber eben nicht gleich. Ich glaube, das verwechseln wir manchmal ganz gerne. Also ja, wir sollten die gleichen Rechte und Privilegien alle genießen dürfen. Die Realität sieht aber oft anders aus und wir machen nicht die gleichen Erfahrungen. Das war auch so ein bisschen die Gefahr mit der All Lives Matter-Bewegung als Reaktion auf die Black Lives Matter-Bewegung. Dass dann auch schnell wieder diese Bewegung vereinnahmt wurde, indem man sagte: Na ja, aber wir sind doch alle gleich. Das ist das, was wir hier nochmal unterstreichen wollen.

Das Interview führte Verena Tröster.


Quelle:
DR