Wenn Laien zu Unterstützern von Missbrauchstätern werden

Die Pfarrfamilie als Problemfall

Unterschriften für einen wegen Missbrauchs verurteilten Priester: Ein Fall aus Franken macht Schlagzeilen und wirft die Frage auf, warum sich auch Laien manchmal schwer tun, sexualisierte Gewalt anzuerkennen.

Autor/in:
Christian Wölfel
Spitzen des Kiliansdoms in Würzburg / © Richi McWallace (shutterstock)
Spitzen des Kiliansdoms in Würzburg / © Richi McWallace ( shutterstock )

Deutlicher kann eine Stellungnahme eines Bischofs nicht ausfallen: "Die Organisatoren und Unterzeichner der Aktionen fordere ich auf, das Urteil und das Leid der Betroffenen zu akzeptieren und Tatsachen nicht zu verdrehen", erklärte Würzburgs Oberhirte Franz Jung

Grund dafür sind Solidaritätserklärungen von Katholiken in Bad Bocklet für ihren wegen Missbrauchs verurteilten ehemaligen Pfarrer. Der Fall macht Schlagzeilen, ist aber nicht singulär. Immer wieder tun sich auch einfache Kirchenmitglieder schwer mit dem Thema Missbrauch.

Rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts

Gegen den Priester liegt immerhin ein rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts Bad Kissingen vom August 2020 vor: ein Jahr und vier Monate auf Bewährung, dazu eine Geldstrafe von 1.200 Euro. Das Missbrauchsopfer war eine Messdienerin, die zur Tatzeit zwölf Jahre alt war.

Ein Teil der Gemeinde hält es für ein Fehlurteil und will den Pfarrer zurück. Schließlich habe das Mädchen für den Priester geschwärmt. Vor Gericht sagte sie, sie fühle sich nicht missbraucht. Andere fordern zumindest mildernde Umstände für den Kleriker, beide Gruppen haben schon lautstark auf sich aufmerksam gemacht.

Es gibt aber offenbar auch Gemeindemitglieder, die bisher nicht in der Öffentlichkeit zu vernehmen war. Sie akzeptieren das Urteil, wie es aus Kirchenkreisen heißt. Doch allein die Notwendigkeit einer Stellungnahme des Bischofs zeigt, wie sehr Druck auf das Bistum ausgeübt wird. Denn der Geistliche war bei vielen sehr beliebt.

Das treffe auf viele Täter zu, sagt Wunibald Müller. Der Theologe und Psychotherapeut beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit sexualisierter Gewalt durch Geistliche und hatte immer wieder mit Tätern zu tun.

"Sie sind ja keine Ungeheuer. Es sind stinknormale Menschen, die Eindruck machen, im bürgerlichen Leben überzeugen können." Aber sie hätten eben auch eine dunkle Seite. Diese zu sehen, falle vielen Laien schwer. Wird dann eine Tat öffentlich, löst das einen Schock aus, ein Trauma.

Manche Experten vergleichen es mit einer plötzlichen Todesnachricht, die erst verarbeitet werden muss. Das heißt auch, den Menschen Zeit zu geben. Müller warnt davor, die Menschen, etwa jene in Bad Bocklet, zu verteufeln. "Das ist nicht nur so, dass sie blind darüber hinweggehen, dass der Priester ein Verbrechen begangen hat."

Eigene Interventionsordnung

Darauf reagiert auch die Kirche selbst. Im Bistum Würzburg etwa gibt es eine eigene Interventionsordnung. Darin ist geregelt, wie die Verantwortlichen vor Ort wie auch die Gläubigen über den begründeten Verdacht gegen einen Priester informiert werden. Dazu gibt es eine Begleitung, teils mit Experten für Supervision.

Von einem "irritierten System" ist da die Rede, ebenso von Trauerarbeit und Trauma. In Zeiten von Corona ist die Herausforderung für die eigens ausgebildeten Theologen noch einmal höher, sind doch persönliche Gespräche in Gruppen nahezu unmöglich - auch in Bad Bocklet.

Daneben gibt es systemische Gründe, die manchem Gläubigen die Akzeptanz solcher Taten erschweren, wie Theologie-Professor Michael Schüßler berichtet. Er lehrt Praktische Theologie in Tübingen.

Schüßler verweist auf die Pfarrfamilie als lange Zeit gültiges Idealbild gemeindlichen Lebens. "Die Kirchengemeinde entwickelte sich zu einer religiös-sakramental begleiteten Verlängerung familiärer Vertrauens- und Nahbeziehungen." Und ähnlich wie in Familien falle es eben manchmal schwer, auch das Schlechte in dem nahen Menschen zu sehen.

Schüßler spricht von Co-Klerikalismus, analog zur Co-Abhängigkeit im nahen Umfeld eines Suchtkranken, das die Normalität aufrecht erhält.

Rückkehr des Pfarrers ist ausgeschlossen

Ähnlich drückt es auch Müller aus: "Ein Klerikersystem kann nur dann bestehen, wenn es unterstützt wird von Menschen, die klerikal denken und dem Priester die Vorrangstellung zugestehen." Umso wichtiger sei es, dass die Bistumsleitung wie im konkreten Fall in Bad Bocklet deutliche Worte finde.

Eine Rückkehr des Pfarrers hat der Bischof definitiv ausgeschlossen.

In einem kirchlichen Verfahren wird derzeit geklärt, ob er überhaupt als Priester weiter arbeiten kann. Die Vorgänge ließen "mit Erschrecken erkennen, dass offensichtlich in Teilen der innerkirchlichen Öffentlichkeit noch immer nicht angekommen ist, dass sexueller Missbrauch ein Verbrechen ist, das nicht geduldet werden kann", sagt Jung.


Franz Jung, Bischof von Würzburg / © Harald Oppitz (KNA)
Franz Jung, Bischof von Würzburg / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
KNA