Kritik an Fokus der Kirche auf Kirchenaustrittszahlen

Wie können Christen Glauben bezeugen?

Dreht sich die Debatte um Kirchenaustrittszahlen nur um die Sorge, dass die Institution Kirche in Gefahr sein könnte? Der Leiter der Pastoral des Bistums Hildesheim befürchtet genau das. Doch eine Frage dahinter sei viel wichtiger.

Ein Mann steht vor einer Kirche / © Jurgis Rudaks (shutterstock)
Ein Mann steht vor einer Kirche / © Jurgis Rudaks ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Sie sagen, wir sollen uns nicht mehr so sehr auf die Austrittszahlen fokussieren. Ist das denn aber der richtige Ansatz, wenn bald der Großteil der Gläubigen verloren geht?

Christian Hennecke (Leiter der Abteilung Pastoral im Bistum Hildesheim): Natürlich ist das Austrittsthema ein wichtiges Thema in unserer Kirche, aber es ist ein Indikator für etwas Tieferes. Denn eine bestimmte Form von Kirche oder eine bestimmte Gestalt der Kirche ist nicht erst seit gestern und auch nicht erst seit den Missbrauchsdramen in Köln und anderswo virulent, sondern schon seit 40 bis 50 Jahren.

Nach meiner Empfindung, verwundert es mich jedes Jahr aufs Neue, dass wir jedes Jahr über diese Zahlen überrascht sind, wenn wir doch gleichzeitig wissen, dass dieser Prozess der Loslösung einer bestimmten Gestalt von Kirche schon seit mindestens 60 Jahren im Gange ist. Wie jeder Klimawandel spitzt er sich aber dann irgendwann auch zu. Und so empfinde ich das auch in unserer Kirche.

Zweitens hängt die Frage, warum wir uns durch diese Zahlen so stark euphorisieren lassen und auch apokalyptische Szenarien entfalten, vielleicht mit dem Gedanken zusammen, dass wir, wenn es nicht so wäre, diese Gestalt von Kirche unbedingt erhalten wollen. Das ist aber nicht meine Idee.

DOMRADIO.DE: Wenn man nochmal auf die Zahlen in der Diaspora schaut. Dort sind die Gemeinden oft viel kleiner, aber haben trotzdem ein lebendiges Glaubensleben. Kann man argumentieren, dass Zahlen nicht so wichtig sind?

Hennecke: Zahlen sind immer kritisch, weil sie interpretiert werden müssen. Ich glaube ehrlich gesagt, dass Diaspora unsere Grundsituation ist. Das empfinde ich nicht nur hier bei uns im Bistum Hildesheim so.

Ab dem Moment, wo Glaube nicht mehr eine selbstverständliche, ererbte Geschichte ist, sondern eine Frage, wie ich persönlich einen Zugang zum Geheimnis Gottes finde, ist Diaspora die Grundsituation. Und in dieser Grundsituation würde ich sagen: Es gibt in der Diaspora sehr lebendige Gemeinden, aber es gibt eben auch in der Diaspora sterbende Gemeinden. Da, wo dann in der Diaspora eine Gemeinde stirbt, heißt das auch, dass schon ganz sichtbar ist, dass mit unseren klassischen Parametern, mit unseren klassischen Architekturen von Kirche, wie wir sie uns denken, die Zukunft nichts zu tun haben wird. 

DOMRADIO.DE: Papst Franziskus sieht die Reformbestrebungen der deutschen Kirche kritisch. Das ist kein Geheimnis. Ganz vereinfacht gesprochen sagt der Papst und der Vatikan immer wieder: Wir sollen nicht den Mangel verwalten, sondern lieber die Leute, die es gibt, vom Glauben begeistern. Hat er da recht? Finden Sie das?

Hennecke: Ich finde jede Rede von Mangel verdächtig, weil sie immer eine Vergangenheit normiert. Die Frage ist, ob diese Vergangenheit erstens wirklich so gläubig und zweitens wirklich so ideal war und ob es ein Qualitätsmerkmal ist, wenn die Hälfte aller Katholiken in Deutschland glauben oder nicht glauben. Ich finde, das ist ein sehr schwieriges Thema.

Deswegen würde ich den Blick echt nicht auf die Frage nach einem Selbsterhalt der Kirche stellen. Darum geht es nämlich auch nicht. Sonst sind wir gefangen in bestimmten Formen. Es geht meiner Meinung nach vielmehr darum, dass wir wie Franziskus fragen: Wie können wir heute aus dem Evangelium leben? Wie können wir heute Gott entdecken, der reichlich vorhanden ist und nah?

Und Drittens: Wie können wir das bezeugen und mit den Menschen Leben teilen? Wie sich das dann als Kirchengestalt zeigt, darauf bin ich selber gespannt. Aber ganz sicher nicht als ungebrochene Fortführung dessen, was wir bisher haben. 

DOMRADIO.DE: Es gibt ja sogar Stimmen, die sagen, der richtige Weg ist nicht die Verweltlichung der Kirche. Leute würden gerade von der Kirche angezogen fühlen, wenn sie was anderes bietet wie Mystik, Spiritualität, zum Beispiel. Stimmen Sie da zu? Oder geht das zu sehr in die andere Richtung?

Hennecke: Schon von Ihrer Frage her bin ich skeptisch, weil dann geht es immer um die Frage: Wie können wir als Kirche sein? Ich glaube eher, die Grundfrage müsste sein: Wie können wir als Christen, wenn wir Christen sind und glauben, diesen Glauben bezeugen?

Kirche ist das, was dann danach vielleicht rauskommt, in sehr unterschiedlichen Gestalten. Und das ist auch schon jetzt so. Aber ich finde die Frage einer Institution, die sich fragt, wie wir sein müssen, damit in Zukunft Menschen zu uns kommen, nicht gelungen. Das ist nicht meine Frage. 

Das Interview führte Julia Reck.


Christian Hennecke / © Angela Krumpen (ak)
Christian Hennecke / © Angela Krumpen ( ak )
Quelle:
DR
Mehr zum Thema