Zum 100. Mal bietet #relichat Austausch für Religionspädagogen

Sprachspiele auf 280 Zeichen

Politik wie Donald Trump machen sie auf Twitter nicht. Stattdessen geht es um Verschwörungstheorien, gendersensiblen Unterricht oder die Frage, was Fußball und Religion gemeinsam haben: Der Relichat feiert Jubiläum.

Autor/in:
Annika Schmitz
Symbolbild Twitter / © BigTunaOnline (shutterstock)

Wie verstehe ich mich als Religionslehrerin in der Schule Mit dieser simplen Frage startete am 1. März 2017 ein Twitterchat für den Religionsunterricht. Dreieinhalb Jahre später lassen sich etwa 22.000 Tweets unter dem Hashtag #relichat ausmachen, rund 850 Menschen folgen dem offiziellen Account (https://twitter.com/relichat) der Initiative. Am Mittwochabend findet die moderierte Diskussion auf der Plattform des Mikroblogging-Diensts zum 100. Mal statt.

Nun sind diese Zahlen verglichen mit großen Accounts natürlich überschaubar. Alleine am Montagmorgen trendet beispielsweise #SurvivorSeries (https://twitter.com/search?q=%23SurvivorSeries&src=typed_query) mit der zehnfachen Tweet-Zahl, #AMAsTNT (https://twitter.com/search?q=%23AMAsTNT&src=typed_query) zu den American Music Awards konnte über viereinhalb Millionen Tweets verzeichnen. Doch der Vergleich hinkt auf vielen Ebenen. Der Relichat spielt keiner berühmten Persönlichkeit in die Hand, sondern ist Ausdruck dafür, wie die Plattform für Lern- und Diskursprozesse genutzt werden kann.

Diskussionen seit 2017

Rund 250 Menschen aus dem deutschsprachigen Raum haben sich seit 2017 an den Diskussionen beteiligt. Verschwörungsideologien als Herausforderung für den Religionsunterricht, digitales Erinnern, gendersensible Unterrichtsgestaltung oder Fußball und Religion - die Themen, die besprochen werden, orientieren sich an aktuellen Fragestellungen. Angeleitet von zwei Moderatoren widmen sich die Teilnehmer eine Stunde lang dem Thema der Woche.

Die Idee leitet sich vom Account EDchatDE (https://twitter.com/EdchatDE) ab, erklärt der österreichische Hochschullehrer Karl Peböck. Hier starteten schon im September 2013 nach dem Vorbild des us-amerikanischen #edchat (https://twitter.com/hashtag/edchat) wöchentliche Unterhaltungen auf Twitter zum Thema Bildung (englisch: education) unter dem Hashtag #EDchatDE. Mitmachen kann jeder, der interessiert ist und einen Twitter-Account hat. Peböck und der Religionspädagoge Jörg Löhrer griffen das Konzept auf. Gemeinsam entwickelten sie daraus ein Format für Religionslehrer. Seit vergangenem Jahr wird der Relichat von einem Kernteam aus fünf Personen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz koordiniert.

Peböck betont die soziale Komponente der Initiative. Sie treffe auf eine Leerstelle. Es gebe ein Bedürfnis nach Vernetzung. Religionspädagogen an Schulen seien oft einsame Menschen, schließt sich die Lehrerin und Referentin für Digitalisierung, Friederike Wenisch, an. An den meisten Schulen gebe es nur wenige Religionslehrer, umso wichtiger seien Möglichkeiten des Austauschs.

"Ein lebendiges ökumenisches Netzwerk"

Mittlerweile haben sich Formate wie ein Barcamp und ein digitales Relichat-Cafe aus der ursprünglichen Initiative entwickelt. Der Austausch findet zudem im Wochenrhythmus statt. Das geschieht in einer Zeit, in der gerade der konfessionelle Religionsunterricht vor immer größeren Herausforderungen steht.

Denn der Religionsunterricht sei einem großen Rechtfertigungsdruck ausgesetzt, sagt Wenisch. Lehrer müssten die Gratwanderung gehen, seine Relevanz zu erschließen ohne dabei missionarisch zu sein. Formate wie der Relichat können dabei unterstützen.

Im Relichat können Lehrkräfte ihre Professionalität kontinuierlich weiterentwickeln, erklärt die Lehrstuhlinhaberin für Religionspädagogik und Mediendidaktik an der Universität Frankfurt, Viera Pirker. "Sie lernen voneinander und miteinander, tauschen Ideen aus und fragen auch nach Unterstützung."

Die Teilnehmer bildeten zudem "ein lebendiges ökumenisches Netzwerk, das vor Landes-, Bistums und landeskirchlichen Grenzen nicht haltmacht", so die Professorin. In dieser "Community of Practice" habe sich eine Form öffentlicher Theologie entwickelt.

Öffentliche Theologie

Diese öffentliche Theologie, diese inhaltliche Auseinandersetzung mit relevanten Themen des Religionsunterrichts ist neben der Vernetzung die tragende Komponente. Peböck bezeichnet den Relichat daher als offenes Fortbildungsformat, in dem die Teilnehmer Lehrende und Lernende zugleich sind. Als "Drehscheibe für Expertinnen und Experten religiöser Bildung" bezeichnet ihn Pirker.

Natürlich kommen Diskussionen auf Twitter an ihre Grenzen. Das Medium gebe das Format vor, sagt Peböck. Lange Einzelvorträge gibt es hier nicht. Der Relichat sei eben "ein Sprachspiel auf 280 Zeichen".


Quelle:
KNA