Erzbischof Koch zur Gründung von Groß-Berlin vor 100 Jahren

"Wir müssen weiter zusammenwachsen"

Mit zahlreichen Nachbargemeinden schloss sich Berlin vor 100 Jahren zur neuen Stadtgemeinde Groß-Berlin zusammen - zu einer der größten Städte der Welt. Das "Zusammenwachsen" ist seitdem die große Herausforderung, sagt der Berliner Erzbischof.

Brandenburger Tor in Berlin / © S.Borisov (shutterstock)
Brandenburger Tor in Berlin / © S.Borisov ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Es wächst ja bekanntlich zusammen, was zusammen gehört. Galt das auch für das Jahr 1920 - also vor hundert Jahren - als aus Berlin Groß-Berlin wurde?

Erzbischof Heiner Koch (Erzbischof von Berlin): Zusammen gehört vieles, was vorher schon zusammen war und doch Probleme machte, etwa die Trinkwasserversorgung, die Infrastruktur. Da waren die eng beieinander liegenden Städte jeweils Einheiten für sich. So konnte weder eine große Planung noch ein Zusammenwachsen geschehen.

Das Thema Zusammenwachsen ist seitdem ein Problem geblieben in dieser Stadt. Bis heute wächst die Stadt ja immer mehr. Das ist eine Aufgabe, die sich schon damals stark stellte und die ich heute noch genauso so sehe.

Die Bedingungen für Zusammenwachsen sind halt hier auch schwierig, alleine wenn Sie die Geschichte dieser hundert Jahre einfach einmal sehen: Die Weimarer Republik - das war sicherlich nicht die Zeit des großen Zusammenwachsens. Die Zeit der nationalsozialistischen Diktatur, die Zeit der Sowjet- und anderer Zonen, in die Berlin aufgeteilt wurden, dann die Zeit der DDR und West-Berlins. Jetzt ist wieder eine ganz andere Zeit des Zusammenwachsens unter neuen Bedingungen das Thema. Die Aufgabe ist geblieben.

DOMRADIO.DE: Die Goldenen Zwanziger Jahre begannen vor hundert Jahren, es war eine Zeit des großen Aufschwungs. Hatte das denn auch mit dem Beschluss zu tun, Groß-Berlin zu gründen?

Koch: Es war sicherlich eine Aufbruchzeit. Der Wille, auch groß zu sein, stark zu sein, zusammenzuwachsen, war zweifelsohne da. Und es gab auch eine Wachstumsbegeisterung. Die wurde allerdings schnell ernüchtert. Der Beschluss wurde damals nur mit ganz knapper Mehrheit gefasst, und immer wieder wurden Zweifel an der Richtigkeit laut, die heute allerdings so keiner in Zweifel zieht.

DOMRADIO.DE: Was hieß das denn damals für die Kirchen? Welche Herausforderungen kamen auf die katholische Kirche zu?

Koch: Zunächst mal war Berlin eine evangelische Stadt. Erst im Laufe der Zeit ist es eine säkulare Stadt geworden, in der mit Abstand die Konfessionslosen den größten Teil dieser Stadt bilden.

Als katholische Kirche waren wir damals eine absolute Minderheit, nicht nur zahlenmäßig, sondern auch im Bewusstsein der Menschen. Kirche bedeutete: evangelische Kirche. Das hat sich im Laufe der Jahre deutlich verändert, natürlich auch durch den Zuzug, durch die verschiedenen Zentralisierungen in den verschiedenen Epochen, auch durch den Zuzug aus dem Ausland.

Wir müssen jetzt tatsächlich immer wieder neu das Zusammenwachsen, auch als katholische Kirche, lernen. Wir sind hier einerseits die Katholiken der ehemaligen DDR, die eine ganz eigene Prägung haben als die Katholiken in West-Berlin. Dann die vielen Ausländer, die hier in Berlin sind: Über 25 Prozent der Katholiken im Ezbistum Berlin sind nicht deutschstämmig und haben ihre ganz eigenen Kirchenbilder.

Wir mussten damals zusammenwachsen und unseren Stand hier in Berlin finden und wirklich mutig vertreten. Und dieser Anspruch des Zusammenwachsens ist bis heute geblieben.

DOMRADIO.DE: Aufbruch ist ein Stichwort, das auch für heute gelten könnte, das haben Sie schon angedeutet. Nach der Coruna-Krise braucht Berlin auch einen neuen Aufbruch?

Koch: Auf jeden Fall. Ich habe die Stadt in den vier Jahren, in denen ich hier in Berlin bin, noch nie so erlebt wie in diesen letzten Wochen. Es ist eine ruhige Stadt geworden, auch wenn es natürlich manchmal Auswüchse gibt, etwa im Freizeitverhalten. Gestern, bei dem schönen Wetter, hat man es wieder erlebt.

Vor allen Dingen ist es eine sehr disziplinierte Stadt. Hier sind viele, die wissen, dass sie gerade in dieser Anballung von Menschen sehr diszipliniert leben und miteinander umgehen müssen. Ich bin froh, dass wir in diesem Prozess als Kirche gut einbezogen sind und auch mitgehört werden.

DOMRADIO.DE: Auch in Berlin werden jetzt Mund-Nasen-Schutze angezogen. Noch nicht überall, aber wo müssen Sie schon einen tragen?

Koch: Ich trag den schon demonstrativ sehr gern, weil ich ja auch damit ein Zeichen setzen will, dass ich das für sehr notwendig halte. Er muss jetzt in öffentlichen Verkehrsmitteln getragen werden. Ich bin sicher, dass in wenigen Tagen die Anordnung kommt, den Schutz in Geschäften, im Einzelhandel zu tragen. Das ist doch das kleinste Übel. Damit müssen wir leben. Wir sind gemeinsam solidarisch verantwortlich, dass es hier relativ gut geht. Mit Abstand sind wir die Besten!

DOMRADIO.DE: Heute vor hundert Jahren wurde der Beschluss gefasst, Groß-Berlin zu gründen. Die Großstadt Berlin feiert heute den hundertsten Geburtstag. Was wünschen Sie der Großstadt zum Geburtstag?

Koch: Schlicht und ergreifend, dass sie auch in der Corona-Krise, auch in den Anspannungen, auch in den Unsicherheiten, die diese Stadt hat, weiter zusammenwächst. Ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass das auch einen Ausdruck in einem gemeinsamen Fest findet, das es in dieser Stadt noch nicht gibt. Dass sie aber zur gleichen Zeit ihre Diversität und ihre Vielfältigkeit und Buntheit behält. Zusammenwachsen heißt nicht, dass alles einheitlich wird, zusammenwachsen heißt aber, dass man miteinander und füreinander Verantwortung trägt.

Das Interview führte Dagmar Peters.


Erzbischof Heiner Koch mit Mundschutz (Erzbistum Berlin)

Groß-Berlin: Zusammenwachsen ist seit den 1920er Jahren eine Herausforderung / © Lois GoBe (shutterstock)
Groß-Berlin: Zusammenwachsen ist seit den 1920er Jahren eine Herausforderung / © Lois GoBe ( shutterstock )

Berliner Mauer (shutterstock)

Berlin wirkt wie leergefegt / © Annette Riedl (dpa)
Berlin wirkt wie leergefegt / © Annette Riedl ( dpa )
Quelle:
DR