Missbrauchsprävention in Berlin und Dresden wirft Fragen auf

Bistümer zwischen Anspruch und Wirklichkeit

In der Missbrauchsprävention will die katholische Kirche Vorreiter sein. Ein Fall aus der Praxis im Bistum Dresden-Meißen und dem Erzbistum Berlin zeigt, dass es immer noch Schwachstellen gibt.

Symbolbild Missbrauch / © R.Classen (shutterstock)

Die katholische Kirche bemüht sich seit 2010 verstärkt um bessere Prävention von sexuellen Missbrauch. Dennoch gibt es Nachlässigkeiten, gerade mit Blick auf nicht-geistliche Mitarbeiter, wie ein aktueller Fall zeigt. Heribert Müller (Name geändert) arbeitete seit 2000 als Kinder- und Jugendreferent in einem Begegnungshaus des Erzbistums Berlin.

Erzbistum verbot Müller Kinder- und Jugendarbeit

Im Mai 2014 eröffnete die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen ihn wegen des Verdachts auf Besitz von kinderpornografischen Bildern. Müller war auf der Kundenliste eines kanadischen Internet-Anbieters aufgetaucht. Als die Ermittler kein strafrechtlich relevantes Material fanden, wurde das Verfahren Anfang 2015 eingestellt.

Das Erzbistum Berlin hatte Müller bereits im Juli 2014 fristlos gekündigt. Schon früher hatte es aus seinem Arbeitsumfeld Hinweise auf unangemessen Annäherungen gegeben. Laut Erzbistum wurden die Vorwürfe zunächst nicht erhärtet, erschienen aber im Zuge der kinderpornografischen Ermittlungen in neuem Licht.

Zudem sprach das Erzbistum nach eigenen Angaben ein Verbot der Kinder- und Jugendarbeit für Müller aus. Doch wurde weder das Verbot an sich noch, wann es ausgesprochen wurde, schriftlich festgehalten. Es gab nur eine Aktennotiz, wonach die Absicht für solches Verbot besprochen wurde.

Es erfolgte keine Nachsorge des Vorfalls

Seit Januar 2014 sind im Erzbistum jedoch neue Vorschriften in Kraft, die das Vorgehen bei Verdacht auf sexuelle Übergriffe regeln. Sie verpflichten ausdrücklich, alle Informationen und Vorgänge zu dokumentieren und nach Abschluss des Falls eine "angemessene Nachsorge des Vorfalls" einzuleiten. Auf die Frage, welche Nachsorge im Fall Müller erfolgte, antwortete das Erzbistum: "Das Arbeitsverhältnis wurde mit Kündigung beendet."

Müller schloss sich 2016 einer ordensähnlichen Gemeinschaft in Leipzig an und engagierte sich ehrenamtlich in der Kinder- und Jugendarbeit der Pfarrei, die von der Gemeinschaft seelsorglich betreut wird. Die Gemeinschaft erfuhr im Frühjahr 2017 über Dritte vom Ermittlungsverfahren gegen Müller und wandte sich damit an das Bischöfliche Ordinariat des Bistums Dresden-Meißen.

Auf Anfrage teilte das Bistum der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) mit: "Im April 2017 hatte M. dem Bischöflichen Ordinariat gegenüber eigenständig mitgeteilt, dass gegen ihn ein Ermittlungsverfahren anhängig gewesen sei, das aber eingestellt worden sei. Auf Nachfrage zu diesem Sachverhalt bestätigte daraufhin das Erzbistum Berlin, dass die Anstellung von M. aus diesem Grund beendet worden sei."

Müller wurde katholischer Religionslehrer

Das Erzbistum Berlin seinerseits erklärte, jene Anfrage, "die das Bistum Dresden-Meißen im April 2017 (bzw. kurz darauf) gestellt haben will, können wir weder aus dem Gedächtnis noch aus Notizen bestätigen. Was aber nicht heißt, dass das Gespräch nicht stattgefunden haben mag."

In einer Aktennotiz vom Juni 2017, die der KNA vorliegt, teilte der damalige Personalchef des Bistums Dresden-Meißen der Ordensgemeinschaft mit, es gebe "keine positiven Gründe, Herrn Müller unter Verdacht zu stellen und an der Kinder- und Jugendarbeit zu hindern".

Wenige Monate später wurde Müller zum Schuljahr 2017/2018 katholischer Religionslehrer an staatlichen Schulen - als vom Bistum Dresden-Meißen gestellte Lehrkraft. Dadurch bekam er vom Bistum als "Honorarkraft im Wege eines Gestellungsvertrags" sein Gehalt. Hinzu kommt: Dem Bistum lag nach eigenen Angaben kein Arbeitszeugnis des Erzbistums für Müller vor, obwohl dieser dort 14 Jahre in der Kinder- und Jugendarbeit angestellt war. Offenbar sah man in Dresden-Meißen darin keine Merkwürdigkeit.

Trotz Anzeigen arbeitete Müller weiterhin im Bistum

Das Bistum schränkte zwei Jahre lang die Tätigkeiten von Müller nicht ein. Im November 2018 diskutierte der Beraterstab, der sich im Bistum mit Missbrauchs-Fragen befasst, Anzeigen zu "grenzüberschreitendem Verhalten" von Müller bei Kindern aus dem Erzbistum Berlin. Laut Sitzungsprotokoll stellte Bischof Heinrich Timmerevers klar, dass er keinerlei Tätigkeit von Müller mit Kindern und Jugendlichen im Namen der Kirche mehr wünsche. Doch nichts geschah.

Erst Ende Mai 2019 untersagte der Generalvikar schriftlich jegliche Arbeit Müllers mit Kindern und Jugendlichen in der betroffenen Pfarrei. Laut Bistum erfolgte dies "im Sinne einer sehr strikten Prävention" und nur auf Grundlage der älteren Vorfälle im Erzbistum Berlin.Aktenkundig sind aber auch Beobachtungen einer Gemeindehelferin, die mit Müller in Leipzig arbeitete, wonach er eine zu große körperliche Nähe zu Kindern suche. Ähnliches schilderte auch der leitende Pfarrer der Gemeinschaft.

Überdies unterrichtete Müller bis Schuljahresende im Juli weiter Religion, ohne dass das Bistum einschritt. Inzwischen ist er aus Sachsen verzogen.

Von Karin Wollschläger


Erzbischof Heiner Koch / © Christoph Busse (KNA)
Erzbischof Heiner Koch / © Christoph Busse ( KNA )

Heinrich Timmerevers, Bischof von Dresden-Meißen / © David Brandt (KNA)
Heinrich Timmerevers, Bischof von Dresden-Meißen / © David Brandt ( KNA )
Quelle:
DR
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