Vor 20 Jahren Hype um Marienerscheinungen in Marpingen

Bistum Trier sprach skeptisch von "Vorgängen im Härtelwald"

Es waren seltsame Tage, als vor 20 Jahren die Gottesmutter regelmäßig im Saarland vorbeischaute. Ein Pilgerstrom schwoll an - doch die Amtskirche blieb kühl. Die Geschichte des "deutschen Lourdes" blieb unvollendet.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Votivtafeln in der Marienkapelle im Wallfahrtsort Marpingen / © Alexander Brüggemann (KNA)
Votivtafeln in der Marienkapelle im Wallfahrtsort Marpingen / © Alexander Brüggemann ( KNA )

Schauer am Erscheinungstag - Regenschauer. Die glitschigen Hänge des Marpinger Härtelwaldes dicht bevölkert. Campingstühlchen, Rosenkränze, Körbe mit Proviant. "Du elfenbeinerner Turm", tönt es aus dem Lautsprecher, und "bitte für uns" als Antwort aus tausend Kehlen. "Du Bundeslade" - "bitte für uns". Von Zeit zu Zeit stören Sanitäter die Andacht. Dann plötzlich Stille. Das Glöckchen hat geschellt. Endlich Maria!

Seltsame Tage vor 20 Jahren

Es waren seltsame Tage vor 20 Jahren, als die Gottesmutter wieder regelmäßig im Saarland vorbeischaute. Ab Mai 1999, immer angekündigt, selten verspätet - und stets am Wochenende, wenn auch die Sterblichen Zeit haben. Binnen kurzem stieg die Pilgerzahl ins Riesenhafte. 1997 hatte der britische Historiker David Blackbourn die fast vergessene Geschichte des verhinderten "deutschen Lourdes" wieder aus dem Schatten der Vergangenheit geholt. Obwohl er es als erklärbares sozialgeschichtliches Phänomen der Kulturkampfzeit entzauberte, fanden sich aus der Umgegend bald drei neue "Seherinnen".

1876 hatten drei Marpinger Kinder erstmals von Marienerscheinungen berichtet und damit binnen kurzem Tausende Schaulustige in den Härtelwald gelockt. Das Phänomen zog immer weitere Kreise, bis es dem Reichskanzler zu bunt wurde: Der Protestant Otto von Bismarck ließ das preußische Heer aufmarschieren, das Dorf besetzen und den Zugang zum Wald versperren.

Sozialhistoriker sehen Marienerscheinungen heute häufig in zeitlichem Zusammenhang mit wirtschaftlichen Krisen: Hungersnöten, Cholera, Missernten. Das Saarland war damals eine arme Gegend - und die Not trieb auch manche seltsamen Blüten. Viele Menschen zogen fort, um sich anderswo eine bessere Zukunft zu suchen. Aus dem 13 Kilometer entfernten Theley siedelte etwa einer nach Brasilien über, zu dessen Nachkommen heute einer der einflussreichsten Männer der Weltkirche gehört: Kardinal Odilo Scherer, Erzbischof von Sao Paulo.

Verteilte Rollen der "Seherinnen" von 1999

Wie die Seherkinder von 1876 hatten auch die "Seherinnen" von 1999 verteilte Rollen. Hausfrau Marion, damals 30, konnte Maria sehen; die angehende Musikpädagogin Christine (24) konnte sie hören, und Judith (35), Justizgehilfin, von beidem ein bisschen. Judith referierte die "Marien-Schau" per Diktiergerät. Das Band wurde dann, nachdem die Muttergottes vermeintlich "mit dem Lichtstrahl" verschwunden war, den wartenden Gläubigen über Lautsprecher vorgespielt.

Und die Botschaften der Gottesmutter? Die seien nicht so, "dass man sie eigens dafür aus dem Himmel bemühen müsste", urteilte damals etwa der Saarbrücker Religionswissenschaftler Karl-Heinz Ohlig (80). Auch der Dogmatiker Wolfgang Beinert (86), einer der profiliertesten Marienwissenschaftler Deutschlands, nannte sie "furchtbar vage und theologisch banal". Sie klängen "sonstigen fundamentalistischen Aussagen verzweifelt ähnlich".

Marion und Judith sahen weiße Tauben und Engel. Maria, in klassischer himmelblauer Kleidung und Strahlenkranz und gelegentlich auch mit Jesuskind beschrieben, forderte auf, den Rosenkranz zu beten, die "wichtigste Waffe gegen den Widersacher". Wichtig war den Seherinnen auch Gehorsam gegenüber dem Papst. "Er ist mein Papst. Verhöhnt ihn nicht, zweifelt nicht seine Entscheidungen an; er steht im Dienst des Himmels."

Die Begeisterung über solcherlei Botschaften in Zeiten allgemeiner Verunsicherung, so Beinert, sei ein Phänomen der Massenpsychologie.

Es passiere eigentlich nichts, und doch gerieten die Leute in Ekstase. "Des Kaisers neue Kleider" sei "ein altes Muster, das man auch bei Rockkonzerten beobachten" könne. Und das Gottesbild, das hinter solchen Botschaften steht? - Gott habe es nicht nötig, so Beinert, durch ständige Eingriffe solcher Art "Reparaturen an seiner eigenen Schöpfung" vorzunehmen.

Von einer kirchlichen Anerkennung weit entfernt

Marpingen blieb - wie übrigens die meisten vergleichbaren Phänomene des 19. und 20. Jahrhunderts - von einer kirchlichen Anerkennung weit entfernt. Der zuständige Trierer Bischof Hermann-Joseph Spital kündigte damals nach langem Schweigen eine gründliche Prüfung an - und verbot, von "Erscheinungen" und "Seherinnen" zu sprechen. Er nannte sie recht kühl schlicht "Vorgänge im Härtelwald". Bei allem Respekt vor Zeichen und Wundern entspreche "ein überstarkes Verlangen nach außergewöhnlichen Bezeugungen ... nicht der gesunden kirchlichen Frömmigkeit".

Die "Vorgänge", die bis 17. Oktober andauerten, trieben auch einen Keil in die Gemeinde Marpingen selbst, die mit dem Pilgeransturm hoffnungslos überfordert war. Anwohner beklagten das Verkehrschaos und die Lärmbelästigung durch die Gebete, die per Flüstertüte an die "Unbefleckte Empfängnis" gerichtet wurden. Und für die Polizei- und Reinigungskosten fühlte sich auch so recht niemand zuständig.

Es wurde nichts mit dem "deutschen Lourdes". In dem südfranzösischen Marienwort sind seit 1858 mehr als 30.000 unerklärliche Heilungen aktenkundig. In Marpingen: null. "Zuerst müsst ihr beten, dann kann ich Wunder tun", ließ Maria dazu wissen.

Lourdes-Wasser aus der Mariengrotte ist bis heute gefragt - man sagt, es habe magische Kräfte. Im Härtelwald dagegen wurden die Hähne abgeschraubt. Die Koloniezahl der Keime war nach Angaben des Gesundheitsamtes St. Wendel zehnmal höher als der Grenzwert der Trinkwasserverordnung. Zu gefährlich.


Marienstatue in Lourdes (KNA)
Marienstatue in Lourdes / ( KNA )

Die Madonna von Fátima (dpa)
Die Madonna von Fátima / ( dpa )
Quelle:
KNA