Deutsche Bistümer haben rund 540 Kirchen aufgegeben

Was wird aus dieser Kirche?

Ein Restaurant oder Behindertenwohnheim im Kirchenschiff? Not macht erfinderisch. Angesichts rückläufiger Mitgliederzahlen entwickeln die Bistümer Ideen, was sie mit überzähligen Kirchen machen können.

 (DR)

Das Grundstück in der Einkaufsstraße hatte sich schon ein Discounter ausgeguckt. Aber Sankt Bonifatius in Gelsenkirchen-Erle wird nun doch nicht abgerissen. Die 2008 entweihte Kirche hat einen Retter: Konditormeister Christian Zipper, früher dort Messdiener, hat den Zuschlag zum Kauf des 60er-Jahre-Baus bekommen. Er will dort eine Backstube einrichten und die Waren für seine Filialen herstellen.

Ruhrbistum besonders von Profanierung betroffen

Sankt Bonifatius ist eine von bundesweit rund 540 katholischen Kirchen, die seit dem Jahr 2000 außer Dienst gestellt wurden – also nicht mehr als Gottesdienstraum Verwendung finden. Sinkende Katholiken- und Haushaltszahlen führen dazu, dass es zu viele Kirchengebäude gibt. Besonders stark betroffen von Profanierungen, wie es im Fachjargon heißt, ist das Ruhrbistum, zu dem Sankt Bonifatius gehört.

In der vor 60 Jahren gegründeten Diözese Essen hat der erste Bischof Franz Hengsbach den Kirchbau mit großem Elan betrieben. Inzwischen hat sich die Katholikenzahl aber fast halbiert, weshalb seit der Jahrtausendwende 57 Kirchen aufgegeben wurden – und weitere schon in den Jahren davor.

Insgesamt gibt es in Deutschland weiterhin rund 22.200 katholische Kirchen und Kapellen, wie eine Umfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) unter den bundesweit 27 Diözesen ergab. Seit dem Jahr 2000 wurden demnach 160 abgerissen und 142 verkauft.

Viele Kirchenaufgaben im Erzbistum Köln

Die Bistümer sind aber sehr unterschiedlich mit dem Problem konfrontiert. So gab es in den sieben bayerischen Diözesen, wo sich immerhin 40 Prozent aller Kirchen in Deutschland befinden, gerade mal 16 Profanierungen. Auch die baden-württembergischen Bistümer Freiburg und Rottenburg-Stuttgart verzeichnen nur 16 entweihte Kirchen. Je weiter man nach Norden kommt, umso größer fallen die Zahlen aus.

Kirchen im höheren zweistelligen Bereich haben die Bistümer Hildesheim (63), Münster (60), Essen (57), Trier (33) und Aachen (25) aufgegeben. Auf 24 und 20 kommen die Erzbistümer Paderborn und Köln.

Eine relativ hohe Zahl nennt mit 80 auch das Bistum Magdeburg. Aber hier handelt es sich meist nicht um typische Kirchen, sondern um Gottesdiensträume in Gaststätten oder Baracken. Damit hatte man nach 1945 auf den Vertriebenen-Zuzug reagiert.

Pfarrheime, Begräbnisstätte, Hochzeitsstätte und "durchbetete Räume"

Über die künftige Entwicklung machen die Bistümer kaum Angaben. Nicht überall wird Handlungsbedarf gesehen. In Bamberg etwa gilt der Grundsatz, Kirchen als "durchbetete Räume" zu erhalten. Dagegen arbeitet eine Reihe anderer Bistümer intensiv an Immobilienkonzepten, um den Gebäudebestand in den Pfarreien zu reduzieren – wozu auch Pfarrhäuser und -heime gehören. Letztere schlüpfen dann mitunter unter das Dach einer früheren Kirche.

Stets suchen die Verantwortlichen erst nach soften Lösungen. So werden rund 100 Kirchen weiter liturgisch genutzt – aber anders als vorher. Etwa als Urnen-Begräbnisstätte mit kleinem Gebetsraum. In Oberhausen unterteilt eine Stahl-Glas-Konstruktion Sankt Bernardus.

Aus dem Altarraum ist eine Kapelle erwachsen, inzwischen ein beliebter Ort für Trauungen. Denn die Hochzeitsgesellschaft kann danach direkt nach nebenan wechseln – in das Kirchenschiff, wo ein Pächter ein Restaurant betreibt. Aachen und Augsburg haben ihre Bistums-Archive in Kirchen eingebaut.

Rücksicht auf den einst heiligen Ort nehmen

Wo eine solche Nutzung unmöglich ist, gibt es komplette Umnutzungen und als "ultima ratio" den Abriss. In Münster arbeitet die Kirchenzeitungsredaktion in einer Ex-Kirche. In Essen-Eiberg wurden Fenster und drei Geschosse in einen Sakralbau eingezogen, um dort ein Wohnheim für Menschen mit Behinderung einzurichten.

In jedem Fall gilt, auf den einst heiligen Ort Rücksicht zu nehmen, betont die Architektin Magdalena Twarowska. Sie leitet die neue Abteilung "ImmobilienRaum" beim Ruhrbistum. Dessen 42 Pfarreien können wegen des Sparzwangs nur noch einen Teil der rund 260 Kirchen halten. Nach inoffiziellen Berechnungen stehen bis zu 170 Gotteshäuser zur Disposition, um deren Zukunft sich Twarowska mit kümmern soll.

Ein Wellness-Tempel in einer Kirche? Für Twarowska "ein klares No Go". Mit der Backstube hat sie kein Problem – zumal Brot ein zentrales christliches Motiv darstellt. Übrigens: Die Beichtstühle will Konditormeister Zipper erhalten – "für Mitarbeitergespräche", meint er lachend.

Von Andreas Otto


Quelle:
KNA