Thüringen bearbeitet Unrecht an Christen in der DDR

Opfer der SED?

Inwieweit Christen in der DDR Opfer des SED-Regimes waren – darüber gab es in Thüringen 2016 Streit. Inzwischen nimmt die Landesregierung das Thema ernster, ebenso die Aufarbeitung.

Standen Christen im SED-Regime besonders im Fokus? (dpa)
Standen Christen im SED-Regime besonders im Fokus? / ( dpa )

Es ist der dritte Bericht, den Thüringens Landesregierung nun zur Aufarbeitung der SED-Diktatur vorgelegt hat – und erstmals kommen auch die Christen als Opfergruppe ausführlich vor. Auf Intervention der Kirchen konstituierte sich vor einem Jahr die sogenannte AG Christen.

Sie soll Handlungsempfehlungen geben zur Aufarbeitung und Erforschung der religionsbedingten Diskriminierung und Verfolgung in Thüringen während der DDR-Zeit.

Welche Folgen hatte in der DDR vermittelte Weltanschauung?

Vor allem in der Forschung scheint sich nun einiges zu tun: Laut Bericht ist auf Grundlage von drei Fachexpertisen ein Projekt auf den Weg gebracht, das historische und soziologische Aspekte in den Blick nimmt. Wesentlich soll es hierbei um "vertiefende Antworten zu der Frage gehen, ob und welche bis heute wirkenden gesellschaftlichen Folgen die in der DDR vermittelte 'wissenschaftliche Weltanschauung' verbunden mit den Maßnahmen der Alltagsdiskriminierung, der Infiltration und der Zersetzung hatte".

Auch stellte die AG fest, dass etwa ab dem Jahr 2000 nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in den Religionsgemeinschaften das Interesse an Veranstaltungen zum Themenbereich "Christen in der DDR" merklich abnahm. Auf die Frage nach dem Warum gebe es jedoch bislang noch keine abschließende Antwort.Fast drei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung bestehe aber ein erkennbares Bedürfnis von Betroffenen und Opfern, "über Erlebtes und Erlittenes zu sprechen, dem gesellschaftlich Rechnung zu tragen".

Betroffene sollen bestärkt werden 

"Uns ist es wichtig, dass die Aufarbeitung zwei Stoßrichtungen hat", erläutert der Leiter des Katholischen Büros Erfurt, Claudio Kullmannm, der in der AG mitarbeitet. "Es geht um biographische Aufarbeitung und den Blick zurück, ebenso um den Blick nach vorn: Welche Repressalien und Prägungen von damals wirken bis heute nach?" Der Bericht führt aus, Betroffene sollten verstärkt zu einem offenen Umgang mit ihren Lebensbiographien und vor allem zum Gespräch über ihre Erfahrungen mit Alltagsdiskriminierung ermutigt werden.

Vorsitzende der AG ist die für DDR-Aufarbeitung zuständige Staatssekretärin Babette Winter (SPD). Sie hatte 2016 für massive öffentliche Empörung von Seiten der Kirchen gesorgt, als sie in einem Interview sagte, Christen seien in der DDR keine besondere Opfergruppe gewesen, und sie selbst wisse "von sieben Fällen, in denen die Aktivität in der Kirche zu einem Eingriff seitens des Staates in die Lebensbiografie geführt hat".

Christen als Opfergruppe in der DDR

Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke), der zu Beginn der rot-rot-grünen Regierungsbildung 2014 zugesagt hatte, DDR-Unrecht verstärkt aufzuarbeiten, bemühte sich, die Wogen zu glätten: "Für mich gibt es die Opfergruppe der Christen in der DDR." Die Debatte führte nicht zur Gründung der AG Christen. Der Bericht der Landesregierung hält auch fest, dass durch die mediale Berichterstattung das Thema generell neu ins gesellschaftliche Interesse geriet.

Als ein Ziel der AG Christen hält der Bericht fest: "Es wird erwartet, dass die Nachfolgepartei der SED die Berichte der Betroffenen entsprechend den Festlegungen im Koalitionsvertrag mit mehr Aufmerksamkeit zur Kenntnis nimmt." Das freilich ist ein sensibles Thema, bei dem es innerhalb der Linken keineswegs Einigkeit gibt.

Prozess zur Aufarbeitung läuft

Umso interessierter nahmen die Kirchen die Aussage von Staatskanzlei-Chef Benjamin Hoff auf: "Auch wir als Partei 'Die Linke' haben zur Diskriminierung von Christen unter der SED-Diktatur noch nicht laut genug gesprochen. Es ist Zeit, dies zu tun. Ich bin froh, dass meine römisch-katholisch getauften Kinder heute im weltanschaulich besten Sinne des Wortes nach ihrer Fasson ihr Leben eigenständig gestalten können."

Kullmann als Verbindungsmann der katholischen Kirche zur Politik in Thüringen ist erst einmal froh, dass der Prozess zur Aufarbeitung gesellschaftlich und wissenschaftlich angelaufen ist: "Der spezifische Fokus auf die Christen ist ein guter Aspekt, der sicherlich zum Gesamtbild wesentlich beiträgt."

Karin Wollschläger


Quelle:
KNA