Wie aus 29 Gemeinden Deutschlands größte Pfarrei werden soll

"Ich habe keine Angst vor dem, was da kommt"

Das Bistum Trier will seine Kirchengemeinden radikal zusammenlegen. Läuft es nach Plan, wird Saarbrücken in drei Jahren Deutschlands nach Gläubigen größte Pfarrei sein. Kritiker fragen: Kann das funktionieren - bei 100.000 Schäflein?

Autor/in:
Michael Merten
Trierer Dom mit der Figur des Maternus / © Vassil
Trierer Dom mit der Figur des Maternus / © Vassil

Von weit her weist der lila beleuchtete Turm der Saarbrücker Jugendkirche Besuchern den Weg. Auch im Innenraum tauchen mehrfarbige Strahler den 50er-Jahre-Bau in stimmungsvolles Licht. Eine Chillout-Lounge, Konzerte, Filmvorführungen, eine lockere, doch besinnliche Atmosphäre - dieses Konzept lockt jugendliche und junge Erwachsene aus der ganzen Region Saarbrücken an. Jugendpfarrer Christian Heinz ist offen für neue Wege. So etwa im Advent: "Wir gehen raus und feiern die Mittwochsmessen im Schülerzentrum, in einem Kirchenladen und im Stall eines Bauernhofs", kündigt er an.

Jugendkirche als ein Weg für die Zukunft

"Eli.ja", die Kirche der Jugend am Saarbrücker Ostbahnhof, ist ein Ort, der jenem Zukunftsbild von Kirche recht nahe kommt, das die 2016 beendete Synode im Bistum Trier gezeichnet hat: nicht mehr so kirchturmbezogen wie bisher, netzwerkartig, offen nach außen. An einem Mittwochabend Mitte November setzt sich ein gutes Dutzend Jugendliche nach dem Gottesdienst zusammen, um die Adventsaktivitäten zu besprechen. Philipp, 17 Jahre, erklärt, warum er sich gerne bei "eli.ja" einbringt: "Es gibt mehr Events, und es sind immer coole Leute hier."

Philipp ist in der Runde die große Ausnahme: Er ist Obermessdiener in seiner Saarbrücker Heimatpfarrei Christkönig. Die meisten anderen jungen Gläubigen haben kaum noch einen Bezug zu ihrer lokalen Kirchengemeinde. Anders als Tausende Christen im Bistum Trier regen sie sich deshalb auch nicht über die radikalen Reformvorhaben der Diözese auf. Seit Bischof Stephan Ackermann im Frühjahr konkrete Pläne zur Bildung von Großpfarreien vorgelegt hat, gab es Tausende Rückmeldungen von Gläubigen, Proteste von kirchlichen Räten und Politikern, Unterschriftenlisten, Gebetsmahnwachen. "Warum macht man die gut funktionierenden Strukturen vor Ort kaputt?", hieß es, oder: "Unsere Arbeit wird mit Füßen getreten!"

"Pfarreien der Zukunft"

Die Pläne wurden daraufhin mehrfach überarbeitet. Nach dem 22. November vorgestellten letzten Raumgliederungsentwurf soll es ab 2020 nur noch 35 sogenannte Pfarreien der Zukunft - statt der bislang 887 Pfarreien - in der Diözese geben. An der Spitze Saarbrücken, ein Zusammenschluss aus 29 bisherigen Pfarreien in der Landeshauptstadt und ihrem Umland mit derzeit 98.838 Gläubigen und 201 Quadratkilometern Fläche. Dort tun derzeit 18 Priester vom Pfarrer bis zum Gefängnisseelsorger, mehrere Ruhestandsgeistliche, rund 30 Pfarrsekretärinnen und 15 Pastoralreferenten ihren Dienst.

Saarbrücken wäre nach Zahl der Gläubigen die größte Pfarrei Deutschlands. Eine Kirchengemeinde, die dreimal mehr Katholiken umfasst als das gesamte Bistum Görlitz - kann das in der Praxis gut gehen? Wird das gewohnte kirchliche Leben diese Radikalkur überstehen? Es kann - da ist sich jemand sicher, der zunächst einmal etwas zu verlieren hat: Dechant Benedikt Welter, Leiter des Dekanats Saarbrücken, das es wohl ab 2020 nicht mehr geben wird, und Pfarrer der Alt-Saarbrücker Pfarrei Sankt Jakob, die ebenfalls ein Auslaufmodell ist. Der 52-Jährige, bekannt als Sprecher beim ARD-Wort zum Sonntag, hat die Synode aktiv mit gestaltet. Aus seiner Sicht kommt die Kirche nicht umhin, auf die veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu reagieren.

"Mischung aus zentral und dezentral"

"Wir müssen kirchliches Leben differenzierter betrachten", fordert Welter. In der "Pfarrei der Zukunft" werde es nicht mehr an jedem Ort alle Angebote des kirchlichen Lebens geben können. Die Christen müssten sich vielmehr fragen, was vor Ort gebraucht werde, wo man neue Wege gehen, wo man aber auch Bewährtes weiterführen könne. Noch sei nicht über die konkreten kirchlichen Strukturen vor Ort entschieden. Es werde Veränderungen geben müssen, aber die Gläubigen bräuchten nicht zu befürchten, dass es nur noch eine große Anlaufstelle geben werde: "Wir werden eine Mischung aus zentral und dezentral brauchen. Nur ein Pfarrbüro wäre zu wenig für Saarbrücken. Wir wollen auch, dass viele Kirchen bespielt werden", skizziert Welter.

Der Dechant sieht die Chance, im kirchlichen Leben eine neue Leichtigkeit fernab bestehender Gremien- und Sachzwänge zu ermöglichen: "Menschen, die sich vor Ort engagieren wollen, werden merken: Ich kann das jetzt auch, ich brauche nicht immer die oberhoheitliche Genehmigung des Pfarrers." Wo das etwa in den ländlichen Regionen gewollt sei, werde sich das kirchliche Leben auch weiterhin um den Kirchturm herum konzentrieren können. Die Priester, da ist sich Welter sicher, werden mehr Zeit für Seelsorge und weniger Einfluss, die Ehrenamtlichen dafür mehr Kompetenzen haben.

Nur verhaltene Proteste

Verglichen mit anderen Regionen des Bistums gab es nur verhaltene Proteste gegen die Bildung der Großpfarrei Saarbrücken. Doch längst nicht alle Gläubigen sind mit dem neuen Kurs einverstanden. "Diese Reform wird schiefgehen", ist sich Harald Cronauer sicher. Der Rechtsanwalt ist ehrenamtlicher Pfarreienratsvorsitzender in der ländlichen Seelsorgeeinheit Quierscheid, zu der vier ehemals selbstständige Pfarrgemeinden 2011 zusammengeschlossen wurden.

Cronauer kritisiert, dass nun schon wieder Strukturen zerbrochen würden, obwohl die Pfarreiengemeinschaft mit rund 9.000 Gläubigen immer noch am Zusammenwachsen sei. "Ich habe mit vielen Menschen gesprochen: Da gibt es richtige Wutbürger", sagt Cronauer. "Der Glaube braucht Beziehung und Gemeinschaft", ist er überzeugt. Das werde es in der anonymen Großpfarrei aber nicht geben.

"Ängste ernst nehmen"

Die Sorgen, auch die Wut vieler Gläubiger könne sie verstehen, entgegnet die Saarbrücker Dekanatsreferentin Beate Barg. "Wir müssen nach den Leuten schauen und versuchen, möglichst viele mitzunehmen, sie aufzuklären, ihre Ängste ernst zu nehmen", sagt Barg. Dass auch auf die 58-Jährige ein neues Arbeitsumfeld zukommen wird, sieht sie gelassen: "Ich habe keine Angst vor dem, was da kommt. Wir Pastoralreferenten sind in den großen Räumen ausgebildet".

So optimistisch wie Barg ist Obermessdiener Philipp mit Blick auf seine Heimatpfarrei nicht. Die Zahl der Gottesdienste habe dort in den vergangenen Jahren zwar immer mehr abgenommen, doch das Gemeindeleben seiner Pfarrei funktioniere derzeit noch. Wenn die Pfarrei aber aufgelöst werde und in Groß-Saarbrücken aufgehen solle, "dann wird das totale Chaos kommen. Dann wird das Gemeindeleben komplett untergehen", befürchtet der Jugendliche.

Weg mit Hindernissen

Auch Jugendpfarrer Christian Heinz weiß um die möglichen Stolpersteine der Radikalreform. "Das ist eine sehr riskante Sache: Wir zerschlagen diese Pfarreien jetzt, weil wir sagen: Es geht nicht mehr. Es braucht etwas Neues", sagt der 36-Jährige.

Dennoch rät er den Gläubigen: Lasst euch auf das Wagnis der Großpfarreien ein - auch wenn noch nicht alles perfekt organisiert ist. Mit der Kirche der Jugend habe er gelernt, mutig zu sein, erzählt Heinz. Und denkt an das Jahr 2009 zurück, als "eli.ja" gegründet wurde: "Wenn wir alles vorher durchdacht hätten, wären wir heute wohl noch in der Phase, in der wir uns fragen: Machen wir das hier jetzt oder nicht?"


Bischof Ackermann im Gespräch bei der Diözesansynode in Trier 2013  / © Harald Oppitz (KNA)
Bischof Ackermann im Gespräch bei der Diözesansynode in Trier 2013 / © Harald Oppitz ( KNA )

Jugendliche treffen sich zum Austausch in Wittenberg (Symbolbild) / © Markus Nowak (KNA)
Jugendliche treffen sich zum Austausch in Wittenberg (Symbolbild) / © Markus Nowak ( KNA )
Quelle:
KNA