Pfarrgemeinderatswahlen in den NRW-Bistümern

Zwischen Verstaubung und Innovation

An diesem Samstag und Sonntag werden in den Bistümern Aachen, Essen, Köln, Münster und Paderborn die Pfarrgemeinderäte neu gewählt. Mit einem besonderen Slogan wurde dabei im Vorfeld kräftig die Wahlaufrufstrommel gerührt.

Autor/in:
Jan Hendrik Stens
Abgabe des Wahlscheins in einer Wahlurne / © Frank Rumpenhorst (dpa)
Abgabe des Wahlscheins in einer Wahlurne / © Frank Rumpenhorst ( dpa )

Verstaubte Kirche oder mal ordentlich den Putzlappen schwingen? Seit geraumer Zeit lassen es Plakate in Kirchen, Schaukästen und Gemeindehäusern im wörtlichen Sinne stauben und weisen auf die anstehende Pfarrgemeinderatswahl in den fünf Bistümern Nordrhein-Westfalens hin. Die zu erwartende Wahlbeteiligung ist zwar mit 6-7 Prozent verhältnismäßig niedrig. Sieht man diese aber im Verhältnis zum sonntäglichen Kirchbesuch, aus dem sich die Wähler vorwiegend rekrutieren lassen, dann sieht es danach aus, dass fast jeder aktive Katholik von seinem Wahlrecht auch Gebrauch macht.

Allgemeine Briefwahl auf der Wunschliste

"Wir können sehr stolz darauf sein, dass wir in Deutschland Pfarrgemeinderäte wählen", sagt Dr. Stephan Engels vom Diözesanrat der Katholiken im Erzbistum Köln. In gesellschaftspolitischen Fragen seien Pfarrgemeinderäte unabhängig und könnten dort selbstbestimmt arbeiten. Dies sei neben der Beratung in der Pastoral die zweite wichtige Säule der Arbeit dieses Gremiums. Engels ist beteiligt an der Entwicklung der diesjährigen Kampagne zur Pfarrgemeinderatswahl "Jetzt staubt’s! Kirche vor Ort ist im Umbruch."

Bei den Überlegungen dazu war die Situation in den Pfarreien der Ausgangspunkt. "Das erleben wir in allen Bistümern. Es ändert sich viel, die Gemeinden werden größer, wir müssen anders arbeiten, wir erleben, dass sich weniger Ehrenamtliche bei uns engagieren wollen", erklärt Stephan Engels das Motto. Um hier neue Wege zu gehen, müsse man Staub aufwirbeln, aber auch Staub beseitigen. Auf diversen Plakaten der Kampagne sind daher Werkzeuge für das eine wie auch Putzutensilien für das andere abgebildet. Mit diesen ungewöhnlichen Symbolen sollen auch Außenstehende angesprochen werden, die vielleicht nicht so aktiv am Leben in der Pfarrgemeinde beteiligt sind.

Allerdings orientieren sich die Wahllokale mit ihren Öffnungszeiten meist an den Gottesdiensten, so dass hier wieder die Kerngemeinde angesprochen wird. Briefwahl sei zwar nach entsprechendem Antrag möglich, eine allgemeine Briefwahl, wie sie in den süddeutschen Diözesen stärker beworben wird, gibt es in allen fünf NRW-Bistümern leider noch nicht, bedauert Engels. Lediglich das Bistum Münster versuche dies als Pilotprojekt.

Verschlankung auch der Gremienstruktur notwendig

Der Umbruch, in dem sich die Kirche in Deutschland momentan befindet, ist ganz besonders im Bistum Essen zu spüren. 96 Kirchen werden dort geschlossen und aus ehemals 270 eigenständigen Pfarrgemeinden wurden 2008 43 Großpfarreien mit bis zu 40.000 Gemeindemitgliedern. Genau dieser Strukturwandel hat dazu geführt, dass einige Gemeinden um eine Verschiebung der Pfarrgemeinderatswahl gebeten haben. Denn innerhalb der 43 Großpfarreien müsse noch einmal finanziell und personaltechnisch reduziert werden, erklärt Hiltrud Verweyen-Frank vom Pfarrgemeinderat der Katholischen Kirchengemeinde St. Mariä Himmelfahrt in Mülheim an der Ruhr im Stadtteil Saarn. "Unsere Großpfarrei mit 18.000 Mitgliedern besteht aus drei Gemeinden und zwei so genannten Filialkirchen. Dort müssen wir sehen, dass wir jetzt zukünftig nur noch mit zwei Priestern zurechtkommen."

Daher sei es ganz besonders wichtig, dass viele Ehrenamtliche die Arbeit vor Ort unterstützen. Eine Aufgabe sei es aber auch ein Konzept zu entwickeln, das bis 2030 die Kosten für Gebäude und andere Dinge um die Hälfte reduziert. Aber auch eine Verschlankung der Rätestruktur hat es gegeben. Bislang war es in Saarn so, dass in jeder Gemeinde ein eigener Gemeinderat gewählt und dann gemäß der Größe der jeweiligen Gemeinde in den Pfarrgemeinderat entsandt wurde. Diese mittlere Struktur wird nun aufgelöst und der Pfarrgemeinderat in der Pfarrei direkt gewählt. "Die Aktiven, die dort tätig sind, hätten sonst Sitzungen ohne Ende, in denen immer wieder das Gleiche erzählt würde", erklärt Verweyen-Frank diesen Schritt.

Gremienarbeit und Spiritualität

Gremienkatholizismus und Strukturfragen nimmt Lothar Zenetti in einem Gedicht aufs Korn, in dem ein Pfarrgemeinderat mit Programmen, Tagesordnungspunkten, Aktionen, Modellen und Maßnahmen beschäftigt ist, dabei aber ganz vergisst, über Jesus Christus zu sprechen. "Wir bemühen uns natürlich immer, unsere Sitzungen mit einem Gebet zu beginnen, um zu verdeutlichen, unter welchem Segen und Schutz wir stehen und was eigentlich unsere Aufgabe ist. Aber die eigentliche Gremienarbeit steht ganz klar im Vordergrund", räumt Hiltrud Verweyen-Frank ein.

Daher gebe es jedes Jahr einen Einkehrtag, an dem man sich nur dem Spirituellen widme und um Kraft für die weitere Arbeit zu tanken. Wichtig sei dabei, dass dieser Einkehrtag nicht vom Pfarrer sondern von einer außenstehenden Person begleitet werde. Auch im Erzbistum Köln ist das Hören auf das Wort Gottes inzwischen in der Satzung für die Pfarrgemeinderäte verankert worden. Der Erzbischof, Rainer Maria Kardinal Woelki, hat in seinen Hirtenworten zum Pastoralen Zukunftsweg einen starken spirituellen Akzent gesetzt, indem er die Gründung von Gebetsgemeinschaften oder Bibelkreisen anregte. Mit dem Bibelteilen in den Pfarrgemeinderäten sei man bereits seit 25 Jahren im Erzbistum unterwegs, ergänzt Stephan Engel. "Für uns ist das nichts Neues. Und auch für viele Pfarrgemeinderäte, die wir beraten haben, ist es eigentlich Standard mit einem spirituellen Impuls zu starten."

Mehr Bereitschaft zu Innovation

Spiritualität als Anreiz für Engagement in der Gremienarbeit einer Pfarrei sieht hingegen Andrea Schlösser weniger. Die 34-jährige war zwölf Jahre Mitglied im Pfarrgemeinderat in Bedburg an der Erft. Sie vermisst gerade bei den Älteren die Bereitschaft, in der Gremienarbeit den Jüngeren mehr Mitverantwortung zuzugestehen. "Jeder Mensch möchte ab einem gewissen Alter eine gewisse Verantwortung tragen. Und das ist das Problem, weil immer wieder Alteingesessene kommen und sagen: Nein, so nicht! Und das ist sehr frustrierend." Jugendliche seien in erster Linie dazu da, Mobiliar für Festivitäten aufzubauen oder auf Pfarrfesten Waffeln und Reibekuchen zu backen. Hier wünscht sich Schlösser mehr Verständnis und Entgegenkommen für die Social-Media-Generation.

Mehr Bereitschaft zu Innovation wünscht sich auch Thomas Frings, der nach einer Auszeit, die ihn im vergangenen Jahr bekannt gemacht hat, wieder Priester im Bistum Münster ist. Die traditionelle Gremienarbeit ist jedoch nicht so sein Ding. Vor allem Schlagworte und Parolen wie "offene Gemeinde" oder "den Glauben leben" empfindet Frings als abgegriffen und wenig innovativ, um Kirche vor Ort zu erneuern. "Da packe ich mir schon an den Kopf. Was heißt das denn, wir wollen offene Gemeinde sein?! Nennt mal ein paar konkrete Beispiele! Schwule, Lesben … Könnte so jemand bei uns Pfarrgemeinderatsvorsitzender werden, der offen schwul lebt?"  Der Begriff "offene Gemeinde" sei so schillernd, dass man damit gar nichts anfangen könne, so Frings. Beim Setzen von Schwerpunkten in der Pastoral müssten auch so genannte Leichtpunkte gesetzt werden. "Ein Schwerpunkt heißt, andere Dinge nicht schwerpunktmäßig zu behandeln. Das kann in einer Gemeinde am Stadtrand vermutlich eher Familie sein und in der Innenstadt, wo die Leute auch flexibler sind, kann das eben auch ein anderer Schwerpunkt sein. Und das wäre gut", wünscht sich der Geistliche.

Erfolgreiches Projekt im Sauerland

Einen besonderen Schwerpunkt setzte im Erzbistum Paderborn das kleine 1.400 Einwohner zählende Dorf Gleidorf, das zur Stadt Schmallenberg im Sauerland gehört. Mittendrin liegt die Bruchsteinkirche Herz-Jesu und weil auch hier die Gottesdienstbesucher weniger werden, hat sich der Pfarrgemeinderat gedacht: Leute, wir müssen was tun! Daraus entstand die Installation "Lichter- und Zuspruchkirche". Ein Touchscreen am Eingang des Gotteshauses lädt dazu ein, ein Thema wie Trauer, Freude und Dankbarkeit auszuwählen.

Hat sich der Besucher entschieden, läuft nach einer kurzen Begrüßung eine Andacht mit Texten und Musik, zu der die Kirche in ein entsprechendes Licht getaucht wird. Inzwischen ist die Gleidorfer "Lichter- und Zuspruchkirche" für ihre Installation bekannt. Pilger vom nahe gelegenen Jakobsweg, aber auch Radfahrer, die eine Tour durch das Sauerland machen, und Gläubige aus der Umgebung besuchen regelmäßig das Gotteshaus. Stefan Beckmann, Vorsitzender des Pfarrgemeinderats, ist stolz auf diese Idee und dass so etwas in seiner Gemeinde möglich ist: "Es waren alle begeistert, auch von der Gemeinde her, weil die sehen: Paderborn hat keinen Grund diese Kirche abzuschließen, weil hier etwas stattfindet." – Und dass die Idee angenommen wird, zeigen auch die vielen Kerzen, die täglich in der Kirche angezündet werden.


Quelle:
DR