Gutachter fordern anderen Umgang mit Missbrauchsfällen

"Beschämend und mahnend"

Mit Betroffenheit haben die Deutsche Bischofskonferenz und das Bistum Hildesheim auf ein unabhängiges Gutachten zum Umgang mit Missbrauchsfällen in der norddeutschen Diözese reagiert. Die Experten werfen dem Bistum Versäumnisse vor.

Symbolbild Missbrauch in der Kirche / © Andreas Gebert (dpa)
Symbolbild Missbrauch in der Kirche / © Andreas Gebert ( dpa )

Als am Montag ein wissenschaftliches Gutachten zu Missbrauchsfällen im Bistum Hildesheim vorgestellt wird, ist Weihbischof Heinz-Günter Bongartz den Tränen nahe. Der ehemalige Missbrauchsbeauftragte der Diözese muss mit sich ringen, damit ihm nicht die Stimme versagt. "Ich bitte von ganzem Herzen um Entschuldigung", bringt er sichtlich bewegt über die Lippen.

Gutachten zeigt falsche EInschätzung

Das vom Bistum in Auftrag gegebene Gutachten des Münchener Instituts für Praxisforschung und Projektberatung (IPP) erhebt schwere Vorwürfe gegen die Diözese, einige richten sich gegen Bongartz persönlich. So hatte er den Fall eines damals 14-jährigen Mädchens, das sich mit Missbrauchsvorwürfen gegen den pensionierten Priester Peter R. im Jahr 2010 an die Diözese wandte, zunächst falsch eingeschätzt und erst mit einiger Verzögerung an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet.

Das Gutachten habe ihm eindeutig seine falschen Einschätzungen vor Augen gehalten, sagt Bongartz, der als Ständiger Vertreter des Diözesanadministrators aktuell zweiter Mann an der Spitze des Bistum ist und sogar seinen Rücktritt angeboten hatte. 

Die IPP-Gutachter nehmen ihm seine Reue ab: "Das Bemühen, die eigenen Fehler einzugestehen, das Leid der Opfer wiedergutzumachen und sexuellen Missbrauch in den eigenen Reihen zu verhindern, kann als authentisch wahrgenommen werden", heißt es in ihrem Bericht. Mehr noch: Die Forscher bestätigen dem Bistum, dass in letzter Zeit eine veränderte Haltung im Umgang mit Missbrauchsfällen zu erkennen ist.

Widerspruch zwischen gut gemeintem und professionellem Handeln

Dennoch lautet eine wesentliche Erkenntnis: Gut gemeint ist nicht gleich gut gemacht. So zeige sich zwar in dem Fall des Mädchens das Bemühen, der Betroffenen gerecht zu werden. Anderseits offenbare sich auch, dass es mit der bloßen Einschaltung der Staatsanwaltschaft nicht getan sei. Die Bistumsleitung habe weder erkannt, dass möglicherweise eine Kindeswohlgefährdung vorliege, noch habe sie etwas unternommen, um das Mädchen vor weiterer Kontaktaufnahme durch Peter R. zu schützen.

Im Fall des verstorbenen Hildesheimer Bischofs Heinrich Maria Janssen (1907-1988) ist der Widerspruch zwischen gut gemeintem und professionellem Handeln noch eklatanter. Ein ehemaliger Ministrant hatte sich 2015 an die Diözese gewandt und behauptet, Janssen habe ihn im Alter von rund zehn Jahren zwischen 1958 und 1963 sexuell missbraucht.

Das Bistum bemühte sich, vorschriftsmäßig und im Sinne des mutmaßlichen Opfers zu handeln, zahlte dem Mann 10.000 Euro als Anerkennung seines Leids und betonte gleichzeitig, dass Bischof Janssen damit nicht automatisch schuldig gesprochen sei. Dies beurteilen die IPP-Gutachter äußerst kritisch: Die Vorgehensweise der Bistumsleitung sei zwar von einer "unübersehbaren pastoralen Haltung" durchdrungen. Allerdings habe sie gar nicht die Kompetenz gehabt, die Vorwürfe des Mannes auf Plausibilität zu prüfen, sondern hätte damit zuständige Experten betrauen müssen.

Umgang mit Missbrauchsfällen Profis überlassen

Die Gutachter legen dem Bistum nahe, den Umgang mit Missbrauchsfällen auf professionelle Beine zu stellen. Ansätze dazu seien durchaus vorhanden, wie das IPP lobend hervorhebt, allerdings fordert das Institut weitere Verbesserungen. Entsprechende Vorschläge hat die Diözese bereits parat: Unter anderem soll der Beraterstab zu Fragen des sexuellen Missbrauchs künftig durch externe Experten verstärkt werden.

An der Spitze soll ein von der Bistumsleitung unabhängiger Geschäftsführer stehen. Ob die Abläufe dadurch professioneller werden und ob die katholische Kirche somit letztlich auch an Glaubwürdigkeit zurückgewinnen kann, wird die Praxis zeigen. Fest steht: Die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle im Bistum Hildesheim ist noch nicht beendet.

Das IPP hat im Rahmen seiner Forschungen elf weitere Fälle ausfindig gemacht, in denen Vorwürfe gegen Peter R. erhoben werden. Außerdem hat sich nach Abschluss des Gutachtens ein weiterer Betroffener mit Anschuldigungen gegen Bischof Janssen gemeldet. In allen Fällen werden weitere Untersuchungen nötig sein.

"Beschämend und mahnend"

Der Missbrauchsbeauftragte der Bischofskonferenz, Bischof Stephan Ackermann, nannte das Gutachten "offen und schonungslos, beschämend und mahnend". Umso wichtiger empfinde er es, dass die Verantwortlichen im Bistum öffentlich um Entschuldigung gebeten hätten, so Ackermann in einer in Bonn veröffentlichten Mitteilung.

Diözesanadministrator Nikolaus Schwerdtfeger sagte vor Journalisten: "Die eigene Schuld und das eigene Versagen lasten auf uns. Ich bitte die Opfer und ihre Angehörigen im Namen unseres Bistums um Vergebung." Der Geistliche ist seit dem altersbedingten Rücktritt von Bischof Norbert Trelle Übergangsverwalter der Diözese. Personalchef Martin Wilk kündigte an, den Beraterstab des Bistums zu Fragen des sexuellen Missbrauchs durch externe Experten zu verstärken.


 

Bischof Stephan Ackermann im Profil / © Harald Oppitz (KNA)
Bischof Stephan Ackermann im Profil / © Harald Oppitz ( KNA )


 

Nikolaus Schwerdtfeger / © Romano Siciliani (KNA)
Nikolaus Schwerdtfeger / © Romano Siciliani ( KNA )


 

Heinz-Günter Bongartz / © Harald Oppitz (KNA)
Heinz-Günter Bongartz / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
KNA
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