Brauchtumsforscher über die Geheimtipps im Rheinland

Urlaubskirchen als Reiseziele

Jeder kennt den Kölner Dom. Doch das Rheinland hat noch viel mehr zu bieten. Im domradio.de-Interview berichtet Brauchtumsforscher Prof. Dr. Manfred Becker-Huberti von den Kirchen, die weniger bekannt, dafür genauso sehenswert sind.

Nachbildung des Bassenheimer Reiters, Naumburger Meister 1. Hälfte des 13. Jahrhunderts / © Wolfgang Radtke (KNA)
Nachbildung des Bassenheimer Reiters, Naumburger Meister 1. Hälfte des 13. Jahrhunderts / © Wolfgang Radtke ( KNA )

domradio.de: Sie wohnen zwischen Köln und Aachen, welche Kirche sollte man da gesehen haben?

Prof. Dr. Manfred Becker-Huberti (Theologe und Brauchtumsforscher): Es gibt Kirchen, die so gut wie keiner bisher gesehen hat, weil sie nur sachkundigen Menschen bekannt sind, die aber so von Interesse sind, dass man sich da einmal hinbemühen sollte. Zum Beispiel in eine Gegend, die den Kölnern ziemlich fremd ist, den Rhein hinunter, die Gegend um Rommerskirchen. Dazu gehört der Ortsteil Ramrath, der in der Kölner Kornkammer liegt, also dem Gebiet, wo die Kölner Klöster und Stifte Güter besaßen, wo sie die Produkte erzeugten, die sie am Leben hielten. Dort gibt es auch den Ramrather Hof, der zu dem Stift St. Maria im Kapitol gehörte, und auf einem Hügel steht eine Kapelle, die dem Heiligen Lambertus gewidmet ist.

Diese Kapelle ist das älteste Gebäude im gesamten Rheinkreis Neuss. Nach dem, was wir heute wissen, ist sie wahrscheinlich am Ende des 9. Jahrhunderts erbaut worden. Im Kern steht sie noch wie in der damaligen Zeit da. Es ist nur ein Seitenschiff einmal angebaut, wieder abgerissen und wieder angebaut worden. Ansonsten ist es eine kleine Saalkirche und die Grundform der Eigenkirche, wie sie hier im ganzen Gebiet mal üblich gewesen ist und aus diesen Eigenkirchen haben sich viele Pfarrkirchen entwickelt. Das Interessante daran ist, wenn man dieses Gebäude untersucht, kann man feststellen, dass es zwei Eingänge zu dieser Kirche gibt: Einen ebenerdigen Eingang, der für die bediensteten der Höfe gedacht war, und im hinteren Teil gab es eine hölzerne Stiege, die heraufführte auf eine erhöhte Etage, wo der Gutsherr oder sein Vertreter beim Gottesdienst saß. Die Standesunterschiede wurden in dieser Kirche also klar hervorgehoben.

Die Kirche steht außerdem an einer Stelle, die mit großer Wahrscheinlichkeit schon zu römischer Zeit ein Heiligtum war. Es handelt sich dabei wohl um ein Quellheiligtum, an dem Wassergeister und Nixen verehrt wurden. Denn Teile dieses römischen Vorgängerbaus sind in dieser Kapelle verarbeitet. Wer also hinkommen will, guckt sich am besten auf einem Stadtplan Rommerskirchen an, dann den Ortsteil Ramrath und dann wird man diese Kapelle schon finden.

Die Lumberus Kapelle auf Google-Maps:

domradio.de: Wenn wir uns das Rheinland ansehen, gibt es da so etwas wie den ultimativen Geheimtipp - also eine Kirche, von der im Prinzip überhaupt keiner etwas weiß?

Becker-Huberti: Eine Kirche, von der in NRW kaum jemand etwas weiß, liegt kurz hinter der Grenze zu Rheinland-Pfalz in Bassenheim. Die ist eher uninteressant, es ist keine besonders alte Kirche. Aber dort gibt es eine unvergleichliche Kostbarkeit: Ein Relief, das über einen Seitenaltar eingelassen ist, und den Heiligen Martin zeigt, wie er den Mantel teilt. Und dieses Relief stammt gar nicht aus dieser Kirche, sondern aus dem Dom von Mainz. Dort war es Teil des Lettners, also der Abtrennung des Chorraums von den Gläubigen, der dann irgendwann entfernt und an diesen Ort gebracht wurde.

Der Stein ist von keinem geringeren als dem Naumburger Meister im Jahr 1240 hergestellt worden. Also, schon ein ziemlich betagtes Stück, das in einer unnachahmlichen Art zeigt, wie der Heilige Martin auf seinem Pferd den Mantel teilt, das Pferd nach vorne läuft und gleichzeitig nach hinten schaut und der Bettler gierig nach dem Mantel greift, während Martin ihm dann den Mantel überlässt. Das Ganze stellt der Künstler dar in einer für diese Zeit völlig unüblichen Form: Der Heilige wird nicht übergroß dargestellt, sondern in gleicher Höhe, er schaut den Bettler an, was auch völlig unüblich war. Es ist also für das 13. Jahrhundert ein ausgesprochen modernes Produkt, das von einer ungeheuren Dynamik zeugt und in künstlerischer Art nie übertroffen wurde.

Der Bassenheimer St. Martin auf Google-Maps:

domradio.de: In Köln gibt es ja auch einiges noch über den Kölner Dom hinaus. Gibt es in Köln einen Geheimtipp, den man unbedingt gesehen haben sollte?

Becker-Huberti: Das sind natürlich die romanischen Kirchen und alles, was dazugehört. Aber es gibt auch versteckte Kostbarkeiten. Zum Beispiel die Elendskirche, St. Gregorius im Elend. Das ist eine der letzten Eigenkirchen in Köln, die also nicht im Besitz des Bistums oder einer Gemeinde steht, sondern einer Familie. Dabei handelt es sich um die Familie von Grote, die 1580 aus dem Flämischen geflohen war, weil sie um ihres Glaubens Willen verfolgt wurde. In Köln kümmerte sich die Familie um einen Fleck Erde, an dem Fremde begraben wurden, die man Elende nannte. Das waren Pilger, die unterwegs starben, Heimatlose, Arme und Ähnliche mehr. Dort stand eine kleine Kapelle, die Michaelskapelle, um die sich die Familie gekümmert hat, aus der dann eine spätbarocke Kirche entstanden ist.

Es ist übrigens auch die letzte Kirche in Köln, die gebaut wurde, bevor die Franzosen 1794 kamen. Diese Kirche ist bis heute im Besitz der Familie von Grote, steht aber besonders den katholischen Gruppen offen, die in der Minderheit sind. Das waren früher die Spanier und andere, heute sind es die Serben und Rumänen, die dort ihre Gottesdienste feiern. Nur an einem Tag im Jahr, am 01.11., gehört die Kirche alleine der Familie von Grote, die sich dort trifft und Gottesdienst feiert. Ansonsten ist diese Kirche für jedermann zu betreten.

Man muss solche Dinge eben sehen. Das Spannende ist, wenn man vor der Kirche steht und sich das Portal anschaut, dann ist darüber ein Relief, das darstellt, wie der Tod über das Leben triumphiert. Der Tod ist stärker als die Päpste und als die Heiligen. Wenn man aber das Portal der Kirche öffnet und auf den Hochaltar schaut, sieht man, wie sich das ändert. Denn man erblickt dort den gekrönten Gottvater, der auf Christus schaut und der auf den Erlösertod am Kreuz hinweist. Das heißt also, der Tod hat nicht das letzte Wort. Das versucht diese Kirche aus diese Art und Weise zu sagen.

St. Gregorius am Elend auf Google-Maps:

Das Gespräch führte Renardo Schlegelmilch.


Prof. Dr. Manfred Becker-Huberti / © privat (DR)
Prof. Dr. Manfred Becker-Huberti / © privat ( DR )
Quelle:
DR