Theologe über die kirchliche Beteiligung an Trauerritualen

Ein Miteinander in der Trauer

Nach Ereignissen wie dem Amoklauf in München vor einem Jahr wird von den Kirchen erwartet, dass sie Trost spenden. Der Liturgiewissenschaftler Winfried Haunerland plädiert für Feierformen, die nicht immer christliche Gottesdienste sein müssen.

Ein Holzkreuz an einer Kette hängt an einer Absperrung vor dem Olympia-Einkaufszentrum in München / © Karl-Josef Hildenbrand (dpa)
Ein Holzkreuz an einer Kette hängt an einer Absperrung vor dem Olympia-Einkaufszentrum in München / © Karl-Josef Hildenbrand ( dpa )

KNA: Herr Professor Haunerland, kurz nach dem Amoklauf gab es eine Premiere im Liebfrauendom: Erstmals sprach dort eine Muslima eine Fürbitte. Wie bewerten Sie dieses Novum?

Winfried Haunerland (Katholischer Liturgiewissenschaftler in München): Die ganze Stadtbevölkerung war von diesem furchtbaren Ereignis zutiefst betroffen und suchte Halt. Dem dienen seit langem ökumenische Gottesdienste. Neu war, dass man deutlich wahrnahm, die Verunsicherung berührt nicht nur Christen, sondern Menschen vieler Bekenntnisse. Die Opfer des Todesschützen waren Muslime. Da schien es notwendig, auch ihren Angehörigen eine Stimme zu geben. Ich verstehe das Anliegen. Aber aus guten Gründen hat die Kirche bisher interreligiöse Gebete vermieden. Ich glaube nicht, dass die Integration nichtchristlicher Gebete in einen christlichen Gottesdienst die Form der Zukunft sein darf.

KNA: Was ist die Alternative?

Haunerland: Wenn Menschen erleben, dass sie in einer solchen Situation nicht mehr allein zurechtkommen und etwas brauchen, das ihren Alltag übersteigt, sollen sich die Kirchen einer solchen Not der Gesellschaft keinesfalls verweigern. Schließlich verfügen sie über rituelle Kompetenz - und das meint mehr als die Fähigkeit zu Ritendesign und Inszenierung. Vielmehr sind die Kirchen Institutionen, von denen man zu Recht erwartet, dass sie letzte Fragen aushalten und Antworten darauf haben, unabhängig davon, ob alle Menschen diese Antworten teilen. 

KNA: Aber welche Reaktion ist angemessen?

Haunerland: Wir können bei dem ansetzen, was Papst Johannes Paul II. in Assisi gemacht hat: Wir brauchen Feierformen, bei denen wir zusammenkommen und jeder aus seiner Überzeugung heraus ein Wort des Trostes, der Hoffnung oder auch ein Gebet sprechen kann, aber so, dass keiner vereinnahmt wird und gegenseitiger Respekt zum Ausdruck kommt. Ein Miteinander ist möglich in der Trauer, in wirklicher Betroffenheit und in Solidarität, auch mit denen, die nicht glauben können, die etwas anderes glauben oder die Suchende sind. Aber um gemeinsam zu beten, unterscheiden sich die Vorstellungen von dem, was wir meinen, wenn wir Gott sagen, eben doch zu stark.

KNA: Wo verlaufen die Grenzen zwischen Staatsakt, christlichem Trauergottesdienst und multi- oder zivilreligiösem Gedenken? 

Haunerland: Auch in einem Staatsakt oder bei einer zivilen Trauerfeier kann ein Bischof um ein Wort gebeten werden. Dann ist klar, der Veranstalter ist der Staat, die Stadt oder die Gesellschaft. Aber ich denke, es wäre ein Fehler, wenn die Religionen sich selbst zu enge Grenzen stecken nach dem Motto: Wenn es nicht katholisch, evangelisch oder ökumenisch ist, dann wollen wir nicht Veranstalter sein. Das würde den Staat zwingen, selbst religionsproduktiv zu sein, und damit seine Träger überfordern. Religionen können und sollen ihren Dienst am Gemeinwohl übernehmen.

KNA: Sollte nach Gewalttaten auch des Täters gedacht werden? Beim Kölner Gottesdienst für die Opfer des Flugzeugabsturzes in Südfrankreich brannte auch eine Kerze für den Kopiloten, der die Maschine ins Verderben steuerte - in München blieb der Amokschütze außen vor.

Haunerland: Da muss man auf den jeweiligen Kontext schauen. Das Anliegen der Kölner war sicher richtig: Nicht uns, sondern nur Gott steht ein letztes Urteil über den Täter zu, deshalb schließen wir ihn in unser Gebet ein. Aber zugleich ist zu bedenken: Liegt eine Gewalttat erst kurz zurück, wie in München, ist für die Hinterbliebenen, aber auch für große Teile der Öffentlichkeit, eine Gleichbehandlung von Opfern und Verursachern kaum auszuhalten. Wir trauern um Menschen, die durch Gewalt umgekommen sind, und Aggressionen gegen den Täter können Ausdruck und Teil dieser Trauer sein. Trauer braucht Zeit zur Verarbeitung, und Trauerbegleitung braucht ein Stück Parteilichkeit. In der Regel kann auch derselbe Seelsorger nicht zugleich Angehörige von Opfern und Tätern betreuen.

Das Gespräche führte Christoph Renzikowski.


Quelle:
KNA