Alltagserfahrungen im Priestergewand

In der Soutane durch die Stadt

Was passiert Priestern auf der Straße, die eine Soutane tragen? Ein Journalist ist in den USA in diese Rolle geschlüpft und berichtet von erstaunlichen Erfahrungen. Ähnlich ist es auch in Deutschland, wie der Berliner Propst Gerald Goesche erzählt.

In der Soutane durch die Stadt / © Francisco Osorio via Flickr (CC BY-SA 2.0) (privat)
In der Soutane durch die Stadt / © Francisco Osorio via Flickr (CC BY-SA 2.0) ( privat )

domradio.de: Sie haben den Artikel des Kollegen aus Chicago gelesen. Können Sie das denn nachvollziehen - weinende Menschen und aufgeregte Touristen?

Propst Gerald Goesche (Gründungspropst des Instituts St. Philipp Neri in Berlin): Vor ein paar Jahren hatten wir Besuch aus Chicago, der gesagt hat, Berlin sei Chicago sehr ähnlich. Das kann ich für den Artikel jedenfalls bestätigen. Die Schilderung ist schon sehr nah dran. Vielleicht sind die Menschen hier in Deutschland nicht ganz so aufgeregt. Aber in diese Richtung geht es schon. Mir ist auch schon auf offener Straße die Hand geküsst worden und Obdachlose haben mir erzählt, was sie beten. Sie haben mich dann immer gebeten, nichts davon den Kollegen zu sagen, denn sie befürchten, sich sonst lächerlich zu machen. Es passieren auf der Straße tolle und ganz spannende Geschichten und zu 98 Prozent sind diese positiv. Das ist vielleicht auch überraschend.

domradio.de: Woran liegt das? Warum hat die Soutane so eine Wirkung?

Goesche: Schwarz macht bunt. Der Kontrast ist halt unheimlich stark zu allen anderen Bekleidungen, die man in Berlin so liebt - gerade im Sommer. Das wird schon gesehen und es hat ja etwas mit der Kirche zu tun. Es gibt offenbar eine große Sehnsucht nach dem Glauben, nach Gott, nach Geborgenheit, nach der Kirche und manchmal nach der Jugend. Und gleichzeitig gibt es eine riesige Ahnungslosigkeit, von der man nicht weiß, wie man mit ihr umgehen soll. In Berlin ist man aber in der Regel recht neugierig und bei aller Schnoddrigkeit auch recht freundlich. Ich kann mich in zehn Jahren an nur drei negative Reaktionen erinnern - das war es dann aber auch.

domradio.de: Was ist Ihnen denn bei den negativen Erlebnissen widerfahren?

Goesche: Einmal war es richtig bühnenreif. Ich fuhr an der S-Bahn-Station Friedrichstraße mit der Rolltreppe runter und mir kam ein großer Herr mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung im Arm entgegen, der mich von der Seite anschaute und sagte: "Mein Gott, ein Lügner." Das ist eine Sache, an die ich mich erinnern kann. In einer Bäckerei habe ich einmal eine Dame getroffen, die mich fragte, wie man denn so gekleidet rumlaufen könnte. Das käme doch ganz schlecht an. Ich dachte bei mir, es sei doch eher umgekehrt. Ich fürchte nur, dass sie sogar katholisch war.

domradio.de: Ist die Soutane für Sie eine besondere Aussage? Sie könnten ja auch einfach im Anzug oder im Hemd mit Römerkragen rumlaufen?

Goesche: Das ist ein wahnsinniger Unterschied. Hemd und Römerkragen ist schon aussagekräftig und die Mitbrüder werden auch angesprochen. Aber es sieht halt so aus, als könnte man das ganz leicht auch wieder ausziehen. Bei der Soutane ist das anders. Überspitzt formuliert ist man da mit einem Quadratmeter Kreuzgang unterwegs. Es ist eine andere Welt. Der Römerkragen lässt sich doch leichter einordnen, aber die Mitbrüder, die so sichtbar sind, werden auch angesprochen. Die können auch tolle Geschichten erzählen. Und wenn man sie danach fragt, dann können sie auch solche Geschichten erzählen, als würden sie eine Soutane tragen.

Das Interview führte Verena Tröster.


Quelle:
DR