Ulrich Neymeyr zu seinem ersten Jahr als Bischof von Erfurt

"Ich schätze die familiäre Atmosphäre im Bistum"

Am Sonntag steht Ulrich Neymeyr genau ein Jahr an der Spitze des Bistums Erfurt. Im Interview spricht er über seine Erfahrungen und Herausforderungen.

Erfurts Bischof Ulrich Neymeyr (epd)
Erfurts Bischof Ulrich Neymeyr / ( epd )

KNA: Herr Bischof, wie ist Ihre Bilanz nach einem Jahr im Amt?

Bischof Neymeyr: Ich bin sehr freudig von den Menschen aufgenommen worden und gerne hier. Ich schätze die familiäre Atmosphäre im Bistum.

KNA: Welche Erwartungen haben sich erfüllt, welche nicht?

Neymeyr: Ein Aha-Erlebnis waren für mich die Begegnungen in der Diaspora wie auch im katholisch geprägten Eichsfeld. Dort habe ich viele lebendige Gemeinden vorgefunden, in denen Menschen Verantwortung übernehmen. Das hat mir Mut gemacht.

KNA: Was hat Sie ernüchtert?

Neymeyr: Die Erfahrung, dass es viele Menschen gibt, in deren Familien Religion seit vielen Generationen nicht vorkommt und die schwer für den christlichen Glauben zu interessieren sind.

KNA: Von Ihnen hört man nie Anekdoten über kuriose Begegnungen mit Atheisten. Wie kommt das?

Neymeyr: Ich möchte mich nicht über Menschen lustig machen, die sich in der christlichen Religion nicht auskennen. Sie machen sich auch nicht über mich lustig.

KNA: Im Osten gibt es Menschen, die ihre Kinder in kirchliche Schulen schicken, aber nicht in die Kirche eintreten. Was denken Sie darüber?

Neymeyr: Ich freue mich, dass unsere Schulen so geschätzt werden und Eltern uns ihre Kinder anvertrauen. Eine am christlichen Menschenbild orientierte Erziehung und Bildung stellt offensichtlich auch für Konfessionslose eine überzeugende Alternative zu anderen Konzepten dar. Das ist nicht wenig. Ob es dann sogar zum Kircheneintritt kommt, ist eine andere Frage.

Selbst für Menschen, die offen sind für religiöse Fragen und Erfahrungen, ist es ein weiter Weg, sich an eine Religion zu binden. Nach Untersuchungen kann es bis zu zwölf Jahre dauern. Das erfahre ich auch bei Gesprächen mit erwachsenen Taufbewerbern. Dafür haben unsere pastoralen Mitarbeiter im Bistum ein großes Gespür und gehen auch lange Wege mit den Menschen.

KNA: Was sind derzeit Ihre größten Baustellen?

Neymeyr: Es ist die laufende Strukturreform des Bistums, die zu größeren Pfarreien führt, um der geringen Zahl von Priestern und Gemeindemitgliedern gerecht zu werden. Wenn an einigen Orten kein Seelsorger mehr im Pfarrhaus wohnt, muss das nicht heißen, dass das kirchliche Leben erlischt.

KNA: Das geht offenbar weitgehend geräuschlos vor sich...

Neymeyr: Aber nicht überall zur Zufriedenheit. Dabei kann ich die Menschen auch verstehen. Wenn dieser Schritt einmal erfolgt ist, ist es die Herausforderung, deutlich zu machen, dass es weiterhin lebendige Kirchorte geben wird im Rahmen der neuen größeren Pfarrei. Ein solcher Kirchort kann auch eine katholische Einrichtung sein, etwa eine Schule oder ein Kindergarten.

KNA: Eine wichtige kirchliche Institution ist die Katholisch-Theologische Fakultät in Erfurt. Welche Rolle kann sie in Zukunft spielen?

Neymeyr: Ihre Besonderheit ist, dass sie bewusst in einem weitgehend kirchenfernen Umfeld lehrt. Das prägt unsere Fakultät in Lehre und Forschungsprojekten. Damit ist sie einzigartig in Deutschland, denn die anderen Fakultäten finden sich oft in katholischen Hochburgen.

KNA: Was leistet die Fakultät konkret?

Neymeyr: Wir verwenden in der Kirche oft eine Sprache, die andere Menschen nicht verstehen, wenn sie kaum eine Beziehung zu Glaube und Religion haben. Vor diesem Hintergrund stellen sich unsere Professoren der Herausforderung, aufmerksam zu sein für das, was diese Menschen umtreibt, um theologisch sprachfähig und verständlich zu bleiben. Und das gelingt ihnen offensichtlich auch, denn sie werden oft zu nichtkirchlichen Veranstaltungen eingeladen, bei denen die Position der katholischen Kirche gefragt ist. Das freut mich sehr.

KNA: Inwieweit müssen Sie Ihre bischöflichen Amtskollegen vom Wert der Fakultät überzeugen?

Neymeyr: Die heutigen ostdeutschen Bischöfe haben zumeist dort studiert und schätzen sie. Gleichwohl stellt sich immer wieder die Frage in der Deutschen Bischofskonferenz, wie wir mit den rückläufigen Studierendenzahlen an den katholischen Fakultäten umgehen.

KNA: Wie ist Ihr Verhältnis zur rot-rot-grünen Landesregierung?

Neymeyr: Ich treffe Ministerpräsident Ramelow immer wieder bei öffentlichen Veranstaltungen, ich habe ein sehr unkompliziertes Verhältnis zu ihm persönlich. In der Sache ist es differenzierter.

Das Ringen um die Finanzierung der freien Schulen ging mit Blick auch auf die katholischen Gymnasien zufriedenstellend aus, die gegenwärtige Regelung stellt die berufsbildenden Schulen jedoch vor große Probleme.

KNA: Das evangelische Reformationsjubiläum steht 2017 bevor, werden Sie daran teilnehmen?

Neymeyr: Ich bin gerne bereit, mich an den Veranstaltungen zu beteiligen, etwa dem geplanten Kirchentag der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland.

KNA: Haben Sie in diesem Zusammenhang ein Problem mit dem Begriff Jubiläum?

Neymeyr: Natürlich kann ich die aus der Reformation hervorgegangen Kirchenspaltung nicht gutheißen. Deshalb finde ich es gut, wenn auch die evangelische Kirche von Reformationsgedenken spricht. Dann kann ich mich sehr gut einklinken.

KNA: Zuvor findet nächstes Jahr in Leipzig der 100. Katholikentag statt. Was erwarten Sie davon?

Neymeyr: Meine Erwartungen beziehen sich auf die Dauerteilnehmer, die die katholische Kirche in einer Minderheitensituation kennenlernen wollen. Ich hoffe, dass sie viele gute Erfahrungen machen können, wie das geht. Ich selbst werde unter anderem an einem jugendpastoralen Forum und einem Pfadfindergottesdienst teilnehmen sowie ein Mittagsgebet mit dem Titel "Spurensuche" gestalten.

Das Interview führte Gregor Krumpholz.


Bischof Ulrich Neymeyr (KNA)
Bischof Ulrich Neymeyr / ( KNA )