Militärbischof Overbeck zur Herausforderung der Heimkehr von Soldaten

"Riss durch die gesamte Persönlichkeit"

Wenn Soldaten aus dem Ausland wiederkehren - etwa aus Afghanistan - stehen sie zu Hause vor enormen Herausforderungen. Militärbischof Franz-Josef Overbeck fordert im Interview mit domradio.de mehr Akzeptanz in der Gesellschaft.

Bischof Franz-Josef Overbeck / © Lödige (DR)
Bischof Franz-Josef Overbeck / © Lödige ( DR )

domradio.de: Begegnung zweier Welten - Heimkehrer in eine Friedensgesellschaft – so lautet die Überschrift einer Diskussionsrunde im Domforum. Was bedeutet es für einen Menschen, wenn er aus einem Krisengebiet zurückkommt?

Militärbischof Franz-Josef Overbeck: Die Erfahrung in Afghanistan zu sein, so habe ich immer wieder von Soldatinnen und Soldaten gehört, ist eine ganz besondere. Eine dieser Erfahrungen, die damit verbunden sind, ist die Trennung von Familie, von Partnerin und Partner und von Menschen, die normalen Alltag miteinander leben. Das wieder miteinander in Einklang zu bringen ist eine riesige Herausforderung auf vielen, vielen Ebenen. Sie betreffen das alltägliche Miteinander aber auch das einander Mitteilen, aus verschiedenen Welten zu kommen und nun wieder in eine neue gemeinsame Welt einzusteigen. Die einen bleiben zu Hause, die anderen sind im Einsatz. Beides ist schwer zusammenzubringen.

domradio.de: Es gibt den geflügelten Begriff: "In Afghanistan ist jeder Tag ein Mittwoch", soll heißen, die Routinen des Tages sind immer gleich und der Soldat arbeitet sieben Tage die Woche durch, dann kommt er zurück und muss plötzlich wieder viele Entscheidungen treffen, wie kann man die Heimkehr der Soldaten denn unterstützen?

Overbeck: Das eine ist, neu wieder zur lernen: Es gibt natürlich eine Routine im Alltag – in Afghanistan wie auch hier in Deutschland, aber eben eine andere Form von Routine. Und die bedeutet, wenn man zurück in die Heimat gekehrt ist, sie zusammenzubinden mit den alltäglichen Erfahrungen des Miteinanders mit den Familienangehörigen, mit den Freunden. Sie zusammenzubinden mit Menschen, die diese Erfahrung, in Afghanistan gewesen zu sein, nicht teilen können. Und von daher gilt es dann eben nicht mehr, dass Jeder Tag ein Mittwoch ist, weil die Unterschiede der alltäglichen Erfahrungen, die zu bewältigen sind, immer größer werden.

domradio.de: Kann das denn auch sein, dass die Soldaten Schwierigkeiten damit haben, ganz kleine Entscheidungen zu treffen, was sie vorher vielleicht tun mussten, im Einsatz?

Overbeck: Es ist eine unterschiedliche Qualität von Erfahrungen, die mit Entscheidungen zusammenhängen, die zu treffen sind. Die eine Erfahrung sagt, ich muss natürlich meinen Alltag bewältigen, das tue ich auch persönlich und eigenverantwortlich. Die andere Erfahrung sagt aber, hier, im alltäglichen Leben zu Hause gibt es die anderen, die in diesem Alltag auch eine Rolle spielen. Und dann kommen die alltäglichen Konflikte. Das betrifft das alltägliche Leben zum Beispiel in der Familie: Wer macht was, wer ist für was verantwortlich? Das betrifft aber auch den beruflichen Alltag,  in dem es diese Routine in dieser Form nicht gibt, weil jeder normale alltägliche Einsatz der Soldaten vielfältiger ist.

domradio.de: Wenn Soldaten auch traumatisiert zurückkommen, was ja durchaus geschieht. Was tut dann die Kirche?

Overbeck: Wir – die evangelische und katholische Kirche – waren die ersten, die deutlich gesagt haben: Es gibt sie, die Soldatinnen und Soldaten, die mit dem was heute „postttraumatische Belastungsstörung“ genannt wird, nach Hause zurückkehren. Wir haben von Anfang an darauf hingewiesen: Es gibt viele Perspektiven, die dabei zu bedenken sind. Das ist die private, persönliche, das ist oft die psychologische, manchmal auch die psychiatrische und medizinische Indikation. Das sind vielfach Fragen des Umgangs mit dem eigenen Körper. Das sind Erfahrungen der Reflexion auf die gemachten Erfahrungen von Gewalteinwirkung oder der Möglichkeit, im Blick auf andere Gewalt ausgeübt zu haben. Hier sind wir in der Seelsorge vor allen Dingen tätig in dem, was das ursprüngliche ist, nämlich bei der Seele der Menschen zu sein, ihnen geistig zu helfen. Wir laden sie ein zu Einkehrtagen, zu stillen Tagen – die evangelische Kirche nennt das Rüsttage. Und wir sehen auf diese Weise zu, dass Menschen Hilfe bekommen, um mit diesen Erfahrungen neu leben zu lernen. Ganz wichtig sind natürlich die psychosozialen Netzwerken, in denen all diese verschiedenen Funktionen, zu denen auch noch die soziale hinzukommt, beieinander gehalten werden.

domradio.de: "Krieg verändert die Seele", das haben Sie mal gesagt. Inwiefern?

Overbeck: Krieg verändert die Seele weil auf einmal das Gewaltpotential das eigene Innere zu zerreißen droht und der Riss durch die gesamte eigene Persönlichkeit geh: Eigentlich doch ein Mensch zu sein, der für den Frieden da ist und auch für den Frieden einsteht und plötzlich, um ihn zu wahren, das tun muss, was immer ein Übel ist, nämlich Gewalt anwenden, aber auch zu erleiden. Da gibt es dann zwei Möglichkeiten, die helfen, damit umzugehen. Das eine ist die Verteidigung der eigenen Persönlichkeit und das andere ist, sie als Ultima Ratio einzusetzen, wenn es nichts anderes mehr gibt. Um sowohl sich selbst zu schützen als auch andere. Wenn das zu einer Realität wird, ist das eine völlige Neuaufstellung der Person und Persönlichkeit. Es ist wie eine – höflich gesprochen – Einladung – die Persönlichkeit neu zu gestalten.

domradio.de: Gibt es etwas, was Sie sich von der Gesellschaft wünschen, wie die Gesellschaft die Soldaten unterstützen könnte?

Overbeck: Seitdem ich katholischer Militärbischof für die Bundeswehr bin, fält mir zweierlei auf: Das eine ist der immense Einsatz der Soldatinnen und Soldaten die über das normale Maß hinaus sich für andere einsetzen. Und das andere ist, wenn sie nach Hause zurückkehren auf eine Gesellschaft zu treffen, die oft kritisch auf die Soldaten schaut. Mir wäre es ein großer Wunsch, dass diese Form der Akzeptanz des Dienstes der Soldatinnen und Soldaten wüchse, um sie so moralisch zu unterstützen und zu zeigen: Wir sitzen im selben Boot, um für den Frieden in einer so komplexen und komplizierten Welt das wichtige und nötige zu tun.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


Quelle:
DR