Propst Vierhock zum rasanten Wachstum der Leipziger Gemeinde

"Sprachfähigkeit des Glaubens einüben"

In Leipzig entsteht derzeit mit der Propsteikirche der größte Kirchenneubau Ostdeutschlands. Die Sankt Trinitatis Pfarrei ist die größte Gemeinde im Bistum Dresden-Meißen - und sie wächst rasant. Propst Lothar Vierhock über das Phänomen.

Bischof Koch bei Grundsteinlegung der Propsteikirche (dpa)
Bischof Koch bei Grundsteinlegung der Propsteikirche / ( dpa )

KNA: Herr Propst, wie entwickelt sich - in Zahlen ausgedrückt - die Propsteigemeinde?

Vierhock: In den vergangenen sechs Jahren zeichnet sich der Trend ab, dass wir jährlich um etwa 150 Gemeindemitglieder wachsen. Im vergangenen Jahr waren es sogar knapp 200 Neuzugänge. Davon sind etwa 80 bis 90 Zuzügler, vor allem aus den westlichen Bundesländern. Darüber hinaus haben wir jährlich rund 50 Kinder- und knapp zehn Erwachsenentaufen.

KNA: Gibt es ein "Integrationsprogramm" für die Neuzugezogenen?

Vierhock: Zwei Mal im Jahr laden wir eigens für diese Gruppe zu einem Begrüßungsnachmittag ein. Wer dorthin kommt, dockt in der Regel schnell und leicht beim Gemeindeleben an. Im Januar haben wir unseren Willkommenstreff mit dem Neujahrsempfang des Pfarrgemeinderates für die Gemeinde kombiniert. Und es hat sich erwiesen, dass auf diese Weise der Kontakt der "Neuen" in die Propstei noch unkomplizierter und schneller erfolgen kann. Viele wohnen auch in den Studentenwohnheimen und WGs auf unserem Pfarrgebiet. Diese Gruppe verankert sich jedoch spirituell eher in der sehr aktiven katholischen Studentengemeinde.

KNA: Nun wächst die Propstei nicht nur auf dem Papier, es schlägt sich auch in einem sehr lebendigen Gemeindeleben nieder. Wie ist dieses heute eher seltene Phänomen zu erklären?

Vierhock: Es gibt ein recht vielfältiges Angebot, um sich in die Gemeinde einzuklinken. Das gilt vor allem für die Angebote für Kinder und Familien, den Kirchenchor, Spirituelles. Auch die Angebote für Rentner und Senioren finden große Resonanz. Insgesamt bringen viele hier ihre Fähigkeiten ein.

KNA: Woher kommt denn diese hohe Bereitschaft zum kirchlichen Engagement? Ist das ein Phänomen des Ostens oder der Diaspora? Im Westen suchen viele Gemeinden händeringend nach Ehrenamtlichen.

Vierhock: Ich will keine Vergleiche anstellen. Hier leben wir als Christen natürlich in der Minderheit und damit verbunden ist eine permanente Anfrage an unseren persönlichen Lebensstil und unseren Glauben. Und da reift eben eine Glaubensentscheidung und damit auch ein Engagement, für das Evangelium und eine glaubwürdige Gemeinde zu stehen.

KNA: Mit welcher "Strategie" lassen sich Ehrenamtliche denn am besten einbinden?

Vierhock: Wir haben sowohl langfristiges Engagement, etwa bei den Lektoren oder Kommunionhelfern, als auch kurzfristiges, projektbezogenes. Da muss man auf den unterschiedlichen Bereitschaftsgrad der Menschen, sich in der Gemeinde zu sozialisieren und engagieren, eingehen. Bei befristeten Projekten lassen sich auf jeden Fall schneller viele Mitstreiter finden. Solche Aktionen kommen gerade auch jungen Leuten und Familien entgegen, die nur begrenzte, zeitliche Kapazitäten haben. Wichtig ist bei alledem eine gute Begleitung der Ehrenamtlichen durch die hauptamtlichen Seelsorger.

KNA: Wie wirkt sich der in etwa einem Jahr bevorstehende Umzug in die neue Propsteikirche auf das Gemeindeleben aus?

Vierhock: Insgesamt ist es positiv besetzt. Natürlich gibt es welche, die sich sehr schwer tun, weil der alte Kirchenraum für sie über Jahre Heimat war. Ich glaube aber, dass auch im neuen Raum etwas von der "alten Heimat" bleibt, da die Grund- und Raumstruktur gleich bleibt. Das hat die Gemeinde sehr begrüßt. Natürlich ist es ein Schnitt, aber die Beheimatung zieht schon mit.

KNA: Die Propstei zieht vom Rand direkt ins Stadtzentrum. Wachsen ihr damit neue Aufgaben zu?

Vierhock: In der Tat. Nicht zuletzt, weil wir selbst viel stärker im Fokus stehen. Deswegen gibt es schon eine gewisse Verunsicherung. Wir müssen uns stärker fragen, was sind wir für andere, was können wir für andere tun. Diese missionarische Sichtweise muss weiter eingeübt werden; auch eine Sprachfähigkeit des Glaubens.

KNA: Was bedeutet das?

Vierhock: Um ein Beispiel zu nennen: Wir haben einen Info-Container auf der Baustelle. Dort tun an den Wochenenden Ehrenamtliche Dienst und stehen Interessierten Rede und Antwort. Da kommen nicht nur Fragen zur Architektur, sondern häufig wird ganz grundsätzlich gefragt: Was macht ihr als Kirche da, was ist christlicher Glaube, wie wollt ihr diesen riesigen Bau mit Leben füllen, wollt ihr uns missionieren? Das ist eine gute Einübung, über seinen Glauben zu sprechen, seine Überzeugungen darzulegen und nicht zuletzt auch Zeugnis abzulegen.

KNA: Die Propstei ist das größte Kirchenneubauprojekt in Ostdeutschland seit der Wende. Im Westen zweifeln manche angesichts der kleinen Gläubigenzahl an der Notwendigkeit.

Vierhock: Ich höre so oft: "Ist das denn nötig, ihr seid doch bloß Diaspora". Aus solchen Stimmen höre ich Frustration, manchmal auch eine Überheblichkeit, die uns als Kirche in der Diaspora nicht so richtig wahrnehmen will. Wir sind jedoch genauso Kirche wie überall in Deutschland. Mehr jedoch erlebe ich Interesse an uns. Ja, auch eine gewisse Bewunderung, in dieser Diaspora "eine gute Figur" zu machen. Unser Neubau findet gerade auch im ökumenischen Miteinander Unterstützung. Er wird nicht nur als architektonisches Denkmal, sondern vor allem als Hoffnungszeichen für unseren christlichen Glauben verstanden.

Das Interview führte Karin Wollschläger.