Wortlaut des Textes der deutschsprachigen Synodenarbeitsgruppe

"Anwendung des Wortes Jesu"

Die 13 Arbeitsgruppen der Bischofssynode haben am Mittwoch ihre Zwischenberichte zum zweiten Teil des Arbeitspapiers veröffentlicht. Die theologisch ausgefeilte, von den Synodalen vielgelobte Stellungnahme des deutschsprachigen Debattenzirkels behandelt die Frage: Wie verhalten sich Barmherzigkeit und Gerechtigkeit, Seelsorge und kirchliche Lehre, konkrete Situation und allgemeine Norm zueinander. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) dokumentiert den Text in der vom Vatikan veröffentlichten Fassung:

Deutschprachige Synodenteilnehmer: Kardinal Kurt Koch, Bischof Franz-Josef Bode und Kardinal Reinhard Marx (v.l.) / © Andrea Krogmann (KNA)
Deutschprachige Synodenteilnehmer: Kardinal Kurt Koch, Bischof Franz-Josef Bode und Kardinal Reinhard Marx (v.l.) / © Andrea Krogmann ( KNA )

Ausführlich haben wir die immer wieder als Gegensatz aufgefassten Begriffe Barmherzigkeit und Wahrheit, Gnade und Gerechtigkeit und ihre theologische Beziehung zueinander diskutiert. Sie sind in Gott keine sich gegenüber stehenden Gegensätze: Weil Gott Liebe ist, fallen in Gott Gerechtigkeit und Barmherzigkeit in eins. Die Barmherzigkeit Gottes ist die grundlegende Offenbarungswahrheit, die nicht im Gegensatz steht zu anderen Offenbarungswahrheiten. Sie erschließt uns vielmehr deren tiefsten Grund, da sie uns sagt, warum Gott sich in seinem Sohn selbst entäußert hat und weshalb Jesus Christus durch sein Wort und seine Sakramente bleibend zu unserem Heil in seiner Kirche gegenwärtig ist. Die Barmherzigkeit Gottes erschließt uns damit den Grund und das Ziel des gesamten Heilswerkes.

Die Gerechtigkeit Gottes ist seine Barmherzigkeit, mit der er uns gerecht macht.

Wir haben auch überlegt, welche Konsequenzen dieses Ineinander für unsere Begleitung von Ehen und Familien hat. Es schließt eine einseitig deduktive Hermeneutik aus, welche konkrete Situationen unter ein allgemeines Prinzip subsumiert. Im Sinne des Thomas von Aquin und auch des Konzils von Trient steht die Anwendung der Grundprinzipien mit Klugheit und Weisheit auf die jeweilige, oft komplexe Situation an. Dabei geht es nicht um Ausnahmen, in denen Gottes Wort nicht gültig sein soll, sondern um die Frage der gerechten und billigen Anwendung des Wortes Jesu - etwa des Wortes der Unauflösbarkeit der Ehe - in Klugheit und Weisheit. Thomas von Aquin hat diese Notwendigkeit der konkretisierenden Applikation deutlich gemacht, etwa wenn er sagt: "Zur Klugheit gehört nicht nur die Überlegung der Vernunft, sondern auch die Applikation auf die Handlung, welche das Ziel der praktischen Vernunft ist" (Summa Theologica II-II-47,3) (...)

Ein anderer Aspekt unserer Diskussion war die vor allem in Kapitel 3 des II. Teils öfters angesprochene stufenweise Hinführung der Menschen zum Sakrament der Ehe, angefangen von unverbindlichen Beziehungen über unverheiratet zusammenlebende Paare und nur standesamtlich Verheiratete bis hin zur kirchlich gültigen und sakramentalen Ehe. Diese Menschen auf den unterschiedlichen Stufen seelsorgerisch zu begleiten, ist eine große pastorale Aufgabe, aber auch Freude.

Deutlich wurde uns auch, dass wir in vielen Diskussionen und Wahrnehmungen zu statisch und zu wenig biographisch-geschichtlich denken. Die kirchliche Ehelehre hat sich geschichtlich entwickelt und vertieft. Zunächst ging es um die Humanisierung der Ehe, die sich in der Überzeugung der Monogamie verdichtet hat. Im Licht des christlichen Glaubens wurde die personale Würde der Ehepartner tiefer erkannt und die Gottebenbildlichkeit des Menschen in der Beziehung von Mann und Frau wahrgenommen. In einem weiteren Schritt wurde die Kirchlichkeit der Ehe vertieft und sie als Hauskirche verstanden.

Schließlich wurde der Kirche die Sakramentalität der Ehe ausdrücklich bewusst. Dieser geschichtliche Weg der Vertiefung zeichnet sich heute auch in der Biographie vieler Menschen ab. Sie sind zunächst berührt von der humanen Dimension der Ehe, sie lassen sich von der christlichen Sicht der Ehe im Lebensraum der Kirche überzeugen und finden von daher den Weg zur Feier der sakramentalen Ehe.

Wie die geschichtliche Entwicklung der kirchlichen Lehre Zeit beansprucht hat, so muss die kirchliche Pastoral auch den Menschen heute auf ihrem Weg hin zur sakramentalen Ehe Zeit der Reifung gewähren und nicht nach dem Prinzip "Alles oder Nichts" handeln. Hier ist der Gedanke eines "Prozesses von Stufe zu Stufe" (Familiaris consortio 9) auf die Gegenwart hin weiter zu entfalten, den Johannes Paul II. bereits in Familiaris consortio grundgelegt hat: "Das pastorale Bemühen der Kirche beschränkt sich nicht nur auf die christlichen Familien in der Nähe, sondern kümmert sich, indem es den eigenen Horizont nach dem Maßstab des Herzens Jesu ausweitet, noch intensiver um alle Familien in ihrer Gesamtheit und vor allem um jene, die sich in einer schwierigen oder irregulären Lage befinden." (Familiaris consortio 65)

Die Kirche steht dabei unausweichlich in dem Spannungsfeld zwischen einer notwendigen Klarheit der Lehre von Ehe und Familie einerseits und der konkreten pastoralen Aufgabe andererseits, auch diejenigen Menschen zu begleiten und zu überzeugen, die in ihrer Lebensführung nur teilweise mit den Grundsätzen der Kirche übereinstimmen. Mit ihnen gilt es Schritte auf dem Weg zur Fülle eines Lebens in Ehe und Familie zu gehen, wie es das Evangelium von der Familie verheißt.

Notwendig ist dabei eine personal ausgerichtete Seelsorge, die die Normativität der Lehre und die Personalität des Menschen in gleicher Weise einbezieht, seine Gewissensfähigkeit im Blick behält und seine Verantwortung stärkt. "Denn der Mensch hat ein Gesetz, das von Gott seinem Herzen eingeschrieben ist, dem zu gehorchen eben seine Würde ist und gemäß dem er gerichtet werden wird. Das Gewissen ist die verborgenste Mitte und das Heiligtum im Menschen, wo er allein ist mit Gott, dessen Stimme in diesem seinem Innersten zu hören ist." (Gaudium et spes 16)

Wir bitten für die Endfassung des Textes noch zwei Aspekte zu bedenken:

Es sollte jeder Eindruck vermieden werden, dass die Heilige Schrift nur als Zitationsquelle für dogmatische, juristische oder ethische Überzeugungen gebraucht wird. Das Gesetz des Neuen Bundes ist das Werk des Heiligen Geistes im Herzen der Gläubigen (vgl. Katechismus der katholischen Kirche Nr. 1965-1966). Das geschriebene Wort ist zu integrieren in das lebendige Wort, das im Heiligen Geist in den Herzen der Menschen wohnt. Das gibt der Heiligen Schrift eine weite geistliche Kraft.

Schließlich haben wir uns schwergetan mit dem Begriff Naturehe. In der Geschichte der Menschheit ist die natürliche Ehe immer auch kulturell geprägt. Der Begriff Naturehe kann unterstellen, dass es eine natürliche Lebensform des Menschen gäbe ohne kulturelle Prägung.

Wir schlagen deshalb vor zu formulieren: "Die in der Schöpfung begründete Ehe".


Quelle:
KNA