Einen Monat vor der vatikanischen Bischofssynode über Ehe und Familie hat der belgische Bischof Johan Bonny fehlende Kollegialität zwischen Bischöfen und Papst für die Spannungen in der katholischen Kirche verantwortlich gemacht. Mit dem während des Zweiten Vatikanischen Konzils praktizierten kollegialen Vorgehen sei unter den Päpsten Paul VI. und Johannes Paul II. in Fragen von Ehe, Sexualität und Familie gebrochen worden, kritisiert der Bischof von Antwerpen in einem Arbeitspapier für die Synode.
Auf der außerordentlichen Bischofssynode vom 5. bis 19. Oktober in Rom sollen die Bischöfe nach dem Wunsch von Papst Franziskus konkrete Vorschläge für einen neuen Umgang mit Familien erarbeiten. Zur Vorbereitung der Versammlung hatte der Vatikan eine Fragenliste über Glaube und Familie an alle Bischöfe und Interessenten verschickt. Die Ergebnisse diese Umfrage zeigten, dass in den westlichen Ländern bei den Themen Ehe, Familie, Partnerschaft und Sexualität eine große Kluft zwischen katholischer Lehre und den Einstellungen der Katholiken besteht.
Gerade bei den Fragen von Ehe und Familie brauche die katholische Kirche dringend eine neue und festere Grundlage kollegialer Beratung und Entscheidung, schreibt Bischof Bonny. Die Wiederherstellung der Kollegialität sei "der" Schlüssel zu einem besseren Umgang mit vielen Fragen in der Kirche. Zugleich räumt der Bischof ein, dass kollegiales Vorgehen kein einfacher Weg sei, da dabei neue Spannungen und Brüche auftreten könnten.
In dem 26 Seiten umfassenden Papier beklagt Bonny, dass nach dem Konzil der katholische Kurs beim Thema Familie und Sexualmoral der Kollegialität der Bischöfe entzogen und exklusiv mit dem Primat des Papstes verbunden worden sei. Als Beispiel für den Verzicht auf Konsenssuche verweist der Bischof auf das Lehrschreiben "Humanae vitae" aus dem Jahr 1968, das Katholiken jede künstliche Empfängnisverhütung untersagt. Dieses Dokument von Paul VI. habe inhaltlich quer zum Votum von Experten- und Bischofskommissionen, der Mehrheit der Moraltheologen, Ärzte und Wissenschaftler sowie der meisten engagierten Katholiken gestanden. Dies habe zu Spannungen, Konflikten und Brüchen geführt, die seither nicht mehr überwunden worden seien.
Dem Schreiben "Familiaris consortio" (1981) von Johannes Paul II. wirft der Bischof von Antwerpen vor, darin komme die persönliche Gewissensentscheidung im Blick auf die Methode der Familienplanung und Geburtenkontrolle kaum vor. "Alles steht darin im Zeichen der Wahrheit über Ehe und Fortpflanzung, so wie sie die Kirche lehrt, verbunden mit der Verpflichtung für die Gläubigen, sich diese Wahrheit zu eigen zu machen und ihr zu entsprechen." (epd)
04.09.2014
Statt römischer Zentralisierung braucht die Kirche mehr Kollegialität von Bischöfen und Papst - diesen Schluss zieht der belgische Bischof Bonny aus den Lehren und Einstellungen der Katholiken zu Ehe und Familie. Daniel Deckers erläutert die Hintergründe.
domradio.de: Was genau meint der belgische Bischof Bonny?
Deckers: Bischof Bonny ist weder ein Heißsporn noch ein theologisches Leichtgewicht, er ist ein besonnener und theologisch hochgebildeter Mann. Er fasst den Stand der seriösen theologischen Debatte über die Entstehung und die Wirkungsgeschichte von "Humanae Vitae" zusammen. Papst Paul VI. hatte sich damals in krasser Abkehr von dem Verfahren, in dem während des Konzils alle Synoden und Konzilsdokumente beschlossen wurden, verhalten. Er entschied sich gegen jeden Rat auch der von ihm selber eingesetzten Kommission. Er hatte sich unter Berufung auf den Primat des Bischofs von Rom dazu entschieden, etwas festzulegen gegen das Sensus Fidei der Gläubigen und das Votum, das aus der Kollegialität von Bischofskollegium und dem Bischof von Rom hätte hervorgehen müssen.
domradio.de: Aber ein Papst kann ja bei einem Lehrschreiben nicht jeden Bischof um Erlaubnis fragen?
Deckers: Das hat er ja auch nicht getan. Die Vorgeschichte von "Humanae Vitae" ist ja so, dass Paul VI. ein Votum des Konzils mit auf den Weg bekam, wie die Kirche sich zu diesen Themen verhalten müsse. Das war ein großes Thema, was auch nicht nur durch die Brille der westlichen Welt diskutiert werden durfte. Es war die Frage des Bevölkerungswachstums, denken Sie an den Club of Rome. Viele Länder der Dritten Welt fühlten sich natürlich durch jeden Versuch, das Bevölkerungswachstum einzudämmen, einem Neokolonialismus ausgesetzt. Hier ging es gar nicht darum, nur eine kleine Gruppe von Katholiken weltweit im Blick zu haben, sondern hier ging es in der Tat darum, alle Aspekte zu wägen.
Genau zu diesem Zweck hatte Paul VI. ja in Fortsetzung dessen, was im Konzil geschehen war, Gruppen von Bischöfen und Kardinälen berufen, die ein Votum abgeben sollten. Das war letztlich eine Fortsetzung der "Methode Konzil". Es ging also gar nicht darum, irgendjemandem nach dem Mund zu reden, sondern darum, das, was das Konzil in einer Ausnahmesituation drei Jahre lang praktiziert hatte, in einem verkleinerten Rahmen fortzusetzen. Auch die Bischofsynode ist ja ein Produkt des Konzils, das von Paul VI. dann verwirklicht wurde. Franziskus sagt jetzt auch, dass die Bischofssynode das eigentliche Beratungsorgan sei, in denen die Dinge entschieden werden müssen, die von weltkirchlicher Bedeutung sind.
Es ist ganz klar der Auftrag von Franziskus, die Kollegialität der Bischöfe aufzuwerten. So hat er es auch in "Evangelii Gaudium" geschrieben. Insofern ist Bonny absolut im Einklang mit der Rekonstruktion der jüngeren Kirchengeschichte, des Zweiten Vatikanums, der Bischofssynode, des Pontifikats Paul VI. und von "Humanae Vitae". Er ist auch im Einklang mit dem, was Franziskus in seiner Programmschrift "Evangelii Gaudium" seiner Kirche für sein Pontifikat mit auf den Weg gegeben hat. Es geht hier nicht um "Bischof gegen Papst" oder "Westeuropa gegen den Vatikan". Es geht hier wirklich darum, auch die Impulse aufzunehmen, die das Kardinalskollegium Franziskus mit auf den Weg gegeben hat und die Franziskus versucht, in die Kirche hineinzugeben. Und dieser Text von Bonny ist ein Echo.
domradio.de: Wie wahrscheinlich ist es denn, dass die Synode eine signifikante Abkehr von "Humanae Vitae" bringen wird?
Deckers: Das ist offen. Niemand ist in der Lage, derzeit die Dynamik der Beratungen dieser ersten außerordentlichen Vollversammlung im Oktober und der ordentlichen Bischofsynode im nächsten Jahr einzuschätzen. Franziskus will eine offene Debatte. Er hat Kardinal Kasper für den Einführungsvortrag bestimmt, dessen Theologie gelobt. Er nennt das eine "erbetete Theologie". Das ist kein akademisches Stroh, das da gedroschen wird. Das ist aus dem Herzen der Kirche und des Glaubens. Im Oktober werden nun die Vorsitzenden der Bischofskonferenzen zusammenkommen, das ist ein Gremium, was sonst nie zusammenkommt. Daher weiß man nicht, wie es werden wird.
Danach wird es dann eine Diskussion in den einzelnen Bischofskonferenzen geben müssen. Und auch in den Ortskirchen. Auch Kardinal Marx hat gesagt, dass sich die deutschen Ortskirchen dieser Diskussion noch stärker stellen müssten. Dann wird es darauf angekommen, wie diese Debatte zwischen Oktober 2014 und Oktober 2015 stattfindet und wie sie dann Eingang findet in die Beschlussfassungen der Bischofssynode mit allen Kardinälen und der Kurie.
Diese Dynamik kann niemand vorhersagen. Das ist einer der spannendsten Momente der jüngeren Kirchengeschichte.
Das Interview führte Mathias Peter.
Einen Monat vor der vatikanischen Bischofssynode über Ehe und Familie hat der belgische Bischof Johan Bonny fehlende Kollegialität zwischen Bischöfen und Papst für die Spannungen in der katholischen Kirche verantwortlich gemacht. Mit dem während des Zweiten Vatikanischen Konzils praktizierten kollegialen Vorgehen sei unter den Päpsten Paul VI. und Johannes Paul II. in Fragen von Ehe, Sexualität und Familie gebrochen worden, kritisiert der Bischof von Antwerpen in einem Arbeitspapier für die Synode.
Auf der außerordentlichen Bischofssynode vom 5. bis 19. Oktober in Rom sollen die Bischöfe nach dem Wunsch von Papst Franziskus konkrete Vorschläge für einen neuen Umgang mit Familien erarbeiten. Zur Vorbereitung der Versammlung hatte der Vatikan eine Fragenliste über Glaube und Familie an alle Bischöfe und Interessenten verschickt. Die Ergebnisse diese Umfrage zeigten, dass in den westlichen Ländern bei den Themen Ehe, Familie, Partnerschaft und Sexualität eine große Kluft zwischen katholischer Lehre und den Einstellungen der Katholiken besteht.
Gerade bei den Fragen von Ehe und Familie brauche die katholische Kirche dringend eine neue und festere Grundlage kollegialer Beratung und Entscheidung, schreibt Bischof Bonny. Die Wiederherstellung der Kollegialität sei "der" Schlüssel zu einem besseren Umgang mit vielen Fragen in der Kirche. Zugleich räumt der Bischof ein, dass kollegiales Vorgehen kein einfacher Weg sei, da dabei neue Spannungen und Brüche auftreten könnten.
In dem 26 Seiten umfassenden Papier beklagt Bonny, dass nach dem Konzil der katholische Kurs beim Thema Familie und Sexualmoral der Kollegialität der Bischöfe entzogen und exklusiv mit dem Primat des Papstes verbunden worden sei. Als Beispiel für den Verzicht auf Konsenssuche verweist der Bischof auf das Lehrschreiben "Humanae vitae" aus dem Jahr 1968, das Katholiken jede künstliche Empfängnisverhütung untersagt. Dieses Dokument von Paul VI. habe inhaltlich quer zum Votum von Experten- und Bischofskommissionen, der Mehrheit der Moraltheologen, Ärzte und Wissenschaftler sowie der meisten engagierten Katholiken gestanden. Dies habe zu Spannungen, Konflikten und Brüchen geführt, die seither nicht mehr überwunden worden seien.
Dem Schreiben "Familiaris consortio" (1981) von Johannes Paul II. wirft der Bischof von Antwerpen vor, darin komme die persönliche Gewissensentscheidung im Blick auf die Methode der Familienplanung und Geburtenkontrolle kaum vor. "Alles steht darin im Zeichen der Wahrheit über Ehe und Fortpflanzung, so wie sie die Kirche lehrt, verbunden mit der Verpflichtung für die Gläubigen, sich diese Wahrheit zu eigen zu machen und ihr zu entsprechen." (epd)