Bischöfe zum Umgang mit Flüchtlingen

"Engagement statt Untergangsgeraune"

Im Streit um die Flüchtlingspolitik hat Kardinal Reinhard Marx vor Dramatisierung gewarnt. In Schöntal warb er für Sachlichkeit und würdigte die Leistungen von Kirchen und Zivilgesellschaft.

Pressegespräch zum Umgang mit Flüchtlingen / © Elisabeth Schomaker (KNA)
Pressegespräch zum Umgang mit Flüchtlingen / © Elisabeth Schomaker ( KNA )

Zwar mehrten sich in der Bevölkerung die Anzeichen von Verunsicherung und auch Überforderung, räumte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz ein: "Das ist ehrlich anzuerkennen." Engstirniges Gezänk helfe jetzt aber am wenigsten weiter. In die politische Debatte müsse Sachlichkeit eintreten und der Konsens gesucht werden, sagte er auf der Frühjahrs-Vollversammlung der deutschen Bischöfe. Marx warb in diesem Zusammenhang für eine "Kultur des Miteinanders und des Gesprächs".

Die Flüchtlinge seien keine Bedrohung. Und auch die Menschen, die zurückgeführt werden, seien nicht aus "unserem Verantwortungsbereich entlassen", sagte Marx. Gerade wer einen wachen Blick auf bestehende Schwierigkeiten und Probleme habe, brauche sich nicht von "diffusen Ängsten aus der Bahn werfen zu lassen", betonte er. "Wir benötigen tatkräftiges Engagement statt Untergangsgeraune."

"Mehrheit steht für Solidarität"

In diesem Zusammenhang äußerte sich Marx darüber besorgt, dass rechtspopulistische Bewegungen die Ängste in der Bevölkerung gezielt für ihre "menschenfeindlichen" Ziele ausnutzten. Daher müssten im Kampf gegen Fremdenhass, Gewalt und Intoleranz alle Kräfte zusammenwirken. Die überwältigende Mehrheit der Deutschen stehe ein für Solidarität, Mitmenschlichkeit und den Rechtsstaat, sagte Marx. "Wir würden die Axt an die Wurzeln unserer Gesellschaftsordnung legen, wenn wir davon abrückten."

Die Bischöfe seien sich darüber im Klaren, dass es angesichts der "Komplexität der gegenwärtigen Lage keine schnellen und einfachen Lösungen geben kann", fügte Marx hinzu. Nicht wenige sorgten sich um Fragen des sozialen Gleichgewichts, des gesellschaftlichen Zusammenhalts und der inneren Sicherheit: "Menschen, die sich ohnehin an den Rand der Gesellschaft gedrängt fühlen, empfinden die aktuellen Entwicklungen als besonders beunruhigend. Die Angst vor einem staatlichen Kontrollverlust breitet sich quer durch alle gesellschaftlichen Gruppen und Schichten hindurch aus."

Appell an europäische Nachbarn

Die deutsche Bundesregierung habe im Vergleich zu anderen europäischen Regierungen bislang viel dafür getan, dass Schutzsuchende eine menschenwürdige Aufnahme finden, sagte der Kardinal weiter. Die Staaten in ganz Europa seien jetzt aufgefordert, ihren angemessenen Beitrag im Flüchtlingsschutz zu leisten. Der Kardinal betonte, wer nach Europa flüchte, weil er um Leib und Leben fürchten müsse, habe Anspruch auf Schutz und ein faires Verfahren. Europa könne in der gegenwärtigen Krise reifen, aber auch einen Rückschlag erleiden, so Marx. Mit Blick auf den EU-Gipfel am Donnerstag hofft Marx "auf das Signal, dass Europa zusammensteht. Alles andere würde Europa beschädigen." Für Marx sind die Kirchen keine politischen Akteure, aber sie wollen, dass Lösungen gefunden werden, die den Menschen dienen, "vor allem den Schwachen".

Marx betonte, die Herausforderungen in der Flüchtlingspolitik seien immens. Aber staatliche Stellen, Kirchen und Zivilgesellschaft hätten eindrucksvoll gezeigt, "was unser Land zu leisten vermag, um große Aufgaben erfolgreich zu bewältigen". Nach Angaben des Kardinals haben die 27 Bistümer und kirchlichen Hilfswerke im Vorjahr zusammen 112 Millionen Euro für Flüchtlingshilfe aufgewendet. Das entspricht einer Steigerung von mehr als der Hälfte im Vergleich zu 2014. Etwa 5.100 Hauptamtliche und 100.000 Ehrenamtlich gäben der kirchlichen Flüchtlingshilfe ein Gesicht.

Kirche will sich noch mehr einbringen

Der Flüchtlingsbeauftragte der Bischofskonferenz, Hamburgs Erzbischof Stefan Heße, kündigte eine Prüfung an, wie weitere kirchliche Kapazitäten genutzt werden können, um mehr Wohnraum für Flüchtlinge zu schaffen. Verbessert werden solle die seelsorgliche Begleitung von Flüchtlingen. Auch kirchlichen Bildungseinrichtungen sollten einen noch stärkeren Beitrag zur Integration von Migranten leisten. Nachdenken will die Kirche laut Heße darüber, welche Impulse sie geben könne, um eine schnellere Eingliederung von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt zu erzielen. Auch der interreligiöse Dialog solle gefördert werden.

Der Hildesheimer Bischof Norbert Trelle nannte es ein besonderes Anliegen der Bischöfe, "dass das Recht auf Asyl als Individualrecht erhalten bleibt". Dies sei nur gewährleistet, wenn jeder Schutzsuchende Zugang zu einem individuellen und fairen Verfahren habe. Trelle, der die Migrationskommission der Bischofskonferenz leitet, wandte sich gegen eine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen. Diese sei mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Marx bezeichnete es als "rote Linie", Menschen in ein Land zurückzuschicken, wo sie an Leib und Leben bedroht seien.

Auch der Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki betonte im Interview die Unterscheidung zwischen dem weiterhin geltenden individuellen Recht auf Asyl für politisch und religiös Verfolgte und Kriegsflüchtlinge und einer politisch gesteuerten Zuwanderung. Es müssten dringend Möglichkeiten für eine legale Einwanderung geschaffen werden. Das würde auch das Problem der Schlepper eingrenzen, so Woelki. Es brauche ein Einwanderungsgesetz, das Arbeitsmigration ermöglicht und Menschen die Teilhabe am Wohlstand.

Bischöfe sind "richtige Gesprächspartner"

Die Deutsche Bischofskonferenz befasste sich am Mittwoch bei einem Studientag mit dem Thema. Zu den Gesprächspartnern gehörten unter anderen Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) und der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Auch Volker Türk, der Beigeordnete Flüchtlingshochkommissar des UNHCR aus Genf, und der für Lampedusa zuständige Kardinal Francesco Montenegro waren in die ehemalige Zisterzienserabtei im Norden Baden-Württembergs gekommen.

Scholz nannte das Treffen "sehr sachlich und freundlich". Das Flüchtlingsthema stelle eine große Verpflichtung dar, "und die Bischöfe sind hier die richtigen Gesprächspartner", sagte Scholz der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) nach dem rund einstündigen Gespräch. Der SPD-Politiker forderte, die Zahl der Flüchtlinge in Deutschland zu verringern. Es mache aber "keinen Sinn, über Obergrenzen für Flüchtlinge zu diskutieren", so Scholz. Der CSU-Politiker Herrmann bezeichnete eine gemeinsame Kraftanstrengung von Staat, Politik und Kirchen als notwendig. Zwar habe niemand ein Recht zur Gewalt gegenüber Flüchtlingen; aber es dürfe auch nicht jeder an den rechten Rand gerückt werden, der für eine deutliche Reduzierung der Flüchtlingszahlen eintrete. 

Die Bischofskonferenz will am Donnerstag Leitsätze zur christlichen Flüchtlingshilfe veröffentlichen.


Quelle:
KNA , epd , DR