Martin Walser und Reinhard Marx im Gespräch über Gott und Glauben

Entschuldigung, Herr Kardinal

Wenn ein Kirchenmann und ein Agnostiker miteinander reden, ist für Spannung gesorgt - vor allem, wenn die Gesprächspartner Reinhard Marx und Martin Walser heißen. Ein Münchner Abend mit Kardinal und Künstler.

Martin Walser und Kardinal Marx  (KNA)
Martin Walser und Kardinal Marx / ( KNA )

Zwei Herren von Belang: Martin Walser, streitbarer Zeitgeistverächter, letzter verbliebener Großschriftsteller der Bundesrepublik der eine. Reinhard Marx, Sozialethiker, Münchner Erzbischof, Vorsitzender der Bischofskonferenz, Papstvertrauter der andere. Das Gespräch von Kardinal und Künstler am Freitagabend im Rahmen des katholischen "Lit.fest münchen 2015" über Gott, Glauben und Unglauben hatte es in sich und warf durchaus brisante Fragen auf.

Harmlos fängt die von BR-Literaturkritikerin Cornelia Zetzsche moderierte Diskussion an, nachdem der katholische Agnostiker Walser aus seinem 2011 erschienenen Roman "Muttersohn" gelesen hat. Das Buch zeichnet eine Art moderne Jesusfigur und spielt mit vielerlei religiösen Bezügen. Die Frage der Rechtfertigung spielt eine wichtige Rolle, wie also der Mensch vor Gott gerecht werden kann. Der Schriftsteller schildert sein Faible für das Thema, Marx sekundiert, bringt den reformierten Theologen Karl Barth ins Spiel, über Paulus und Augustinus wird gesprochen.

Es geht um Gott

Dann aber geht es ans Eingemachte - um Gott und seine Existenz. Walser mit seinem bizarr-dialektischen Glaubensbild nennt die Vorstellung, dass es Gott nicht gebe, "lächerlich". Aber genauso lächerlich sei es, "wenn man sagt, es gibt ihn". Überhaupt Gott - über Unsterblichkeit etwa lasse sich leichter verhandeln, sagt der Autor mit seiner hellen, immer leicht in den Spott hineinragenden Stimme. Gott - das sei schon vom Begriff her schwierig. "Entschuldigung, Herr Kardinal."

Marx federt die Sottisen ab, antwortet ganz akademisch: Er erläutert die sogenannte negative Theologie, das Schweigen vor Gott oder zu sagen, was Gott nicht sei. Er ist, so eine berühmte lateinische Formulierung, "totaliter aliter" (ganz anders). Marx: "An sich können Gott und Mensch nicht zusammenkommen. Gott ist kein Teil der Welt." Walser geht prompt dazwischen: "Bei irgendeinem Konzil haben Sie dann beschlossen, dass Jesus Gott und Mensch ist."

Lob für kulturelle Rolle des Christentums

Dabei kann der Schriftsteller vom Bodensee, der sich als Chronist des echten und falschen Bürgertums einen Namen gemacht hat und sich selbst als "literarischer Experte für Identitätsbeschädigungen" sieht, so nett sein. So rühmt Walser in höchsten Tönen die kulturelle Rolle des Christentums. "Mich wundert, dass die Kirchen nicht andauernd darauf aufmerksam machen, was Europa durch sie an religiösen Schönheitsleistungen erhalten hat." Großartig kann er auch über Atheisten lästern: "Wenn ich so einem zuhöre, merke ich plötzlich, dass es Gott geben muss."

Den ersten Teil des Abends hat Walser allein bestritten. Hellgraues Sakko, offenes Hemd, einen schwarzen Hut bringt er mit auf die Bühne sowie eine grüne Stofftasche mit Büchern. Er sitzt und schweigt, während Moderatorin Zetzsche spricht, fährt sich mit der Hand immer wieder über die Augen, das Gesicht, die Stirn, fahrig, matt abwesend.

Aber wenn er liest! Alle Müdigkeit fällt am Pult von ihm ab. Er liest aus "Muttersohn", stellt die Hauptfiguren vor. Welche Nuancen in der Stimme, packend, ziehend. Während die linke Hand das Buch festhält, dirigiert die rechte die Lektüre, ist ständig in Bewegung, Finger und Faust fahren auf und ab. Bis zum letzten Satz: "Erlösung ist eine Sportart mit Gesang."

Keine Annäherung zwischen Gottesmann und Autor

Der Gesprächsrunde und vor allem den ihm gestellten Fragen kann Walser dagegen wenig abgewinnen. Kirche? Sein Glaube sei "nicht unbedingt" mit ihr verbunden, sagt er knapp. Inwieweit er durch die katholische Welt zwischen Donau und Bodensee geprägt sei, will Zetzsche wissen. Knappe Antwort: "Lies halt." Nietzsche und Barth nennt er Brüder im Geiste, bewundert ihre "Hochsprünge" - doch der späte Barth habe ihn enttäuscht, da er zum Christologen geworden sei. "Er ist älter geworden und hat Jesus gut brauchen können."

Als Marx schildert, wie er jüngst in einem Hospiz über Spiritualität im letzten Lebensabschnitt sprach, gibt er Walser unfreiwillig eine Vorlage. "Ich möchte nicht in der Palliativstation spirituell werden", sagt der 88-Jährige ungnädig. "Wenn ich das dazu brauche - danke."


Quelle:
KNA