Erzbischof Zollitsch zu seinem 75. Geburtstag

Hoffnung für die Zukunft der Kirche

Im Dialogprozess fühlt er sich von Papst Franziskus unterstützt, sagt Erzbischof Zollitsch. Zu seinem 75. Geburtstag spricht der Erzbischof außerdem über die Piusbrüder, Entweltlichung und ganz persönliche Glaubenszweifel.

Erzbischof Zollitsch in Freiburg / © Benedikt Plesker (KNA)
Erzbischof Zollitsch in Freiburg / © Benedikt Plesker ( KNA )

Katholische Nachrichten-Agentur (KNA): Erzbischof Zollitsch, Sie kommen gerade aus dem Urlaub. Fühlen Sie sich gerüstet für die Feierlichkeiten zum Geburtstag?

Erzbischof Zollitsch: Ich war wie immer in den Bergen, diesmal innerhalb Deutschlands, im nicht ganz so hohen Westerwald. Dort bin ich mit einigen Kollegen viel gewandert. Am Ende dieses Urlaubs habe ich das große Fest des Heiligen Liborius in Paderborn erlebt: Lebendige Volkskirche, in der die Menschen den Heiligen Liborius verehren und daraus ein großes Volksfest wird, mit allem, was dazugehört. Für die Menschen ist das kein Gegensatz, sondern eine Einheit - Kirche, Volk, der Heilige, die Stadt, die gehören zusammen.

KNA: Hatten Sie in Ihrer Biografie, in Ihrer Jugend, eine Phase, in der Sie am Glauben gezweifelt haben?

Zollitsch: Es war einerseits die schwierige Situation im Vernichtungslager. Meine Mutter leistete Zwangsarbeit, der Vater war als Soldat eingezogen worden, der älteste Bruder war auch im Krieg, der zweite Bruder war umgebracht worden - ich war als Bub mit meiner Großmutter und drei Cousinen dann in diesem Lager, wo wir nicht ein noch aus wussten. Da war schon die Frage: Gott, wie kannst du das zulassen? Und es gibt Fragen, auf die ich bis heute keine Antwort habe. Oder wenn ich an die Gegenwart denke, etwa an das Zug-Unglück in Santiago de Compostela. Wie konnte so etwas geschehen? Oder Fukushima. All diese Dinge beschäftigen mich.

Als ich in meiner Jugend stärker darüber nachdachte: Warum musste das geschehen, dass ich meine Heimat verloren habe und mein Bruder getötet wurde, warum ist dieser Zweite Weltkrieg so katastrophal gerade für die Deutschen, die nicht in Deutschland waren, warum ist er gerade über uns mit besonderer Härte hereingebrochen? Und als wir vor zwei Jahren an der Stelle zusammen waren, wo damals 212 Männer aus meiner Heimatgemeinde brutal umgebracht wurden, darunter auch mein Bruder, da war die Frage, die auch ich stelle an Gott: "Mein Gott, warum hast du mich verlassen?" Und ich habe auf diese Frage keine glatte Antwort.

KNA: Benedikt XVI. hat vor sechs Jahren den Traditionalisten in der Kirche eine Brücke gebaut, indem er die alte Form der Messe wieder allgemein zuließ. Halten Sie das für den richtigen Weg, diesen Leuten entgegenzukommen?

Zollitsch: Papst Benedikt wollte diesen Menschen eine Heimat geben. Ich erfahre das durchaus ambivalent. Ich sehe, dass Gläubige da sind, die gerne diese Liturgie mitfeiern, denen gönne ich das von Herzen.

Aber ich erfahre auch, dass es dort extreme Positionen gibt, die das, was in der erneuerten Liturgie geschieht, wie ich sie feiere, und für die ich sehr dankbar bin, massiv ablehnen. Die Freiheit, dass man sagt, der eine feiert in dieser Form, der andere in der anderen, ist leider bei einem Teil dieser Gläubigen noch nicht so vorhanden, wie ich sie mir wünsche. Wir sollten eine solche Freiheit als Geschenk ansehen. Derzeit gibt es noch manche Spannungen in einigen Gemeinden, aber ich hoffe, dass wir in einem nächsten Schritt dazu kommen, dass wir die beiden Formen im Sinne einer Ergänzung betrachten und uns nicht in der Ablehnung der jeweils anderen Form der Liturgie verbarrikadieren.

KNA: Ein Thema, das den alten und den neuen Papst verbindet, ist die Entweltlichung. Benedikt hat das Thema angeschlagen. Nun haben wir einen Papst, der die Entweltlichung noch radikaler predigt und sie auch vorlebt. Hat er Chancen, dass er besser verstanden wird?

Zollitsch: Ich persönlich glaube, dass die beiden nicht den gleichen Begriff und nicht die gleiche Vorstellung von Entweltlichung haben.

Für Benedikt steht im Hintergrund die große theologische Frage, dass wir Christen in dieser Welt leben, aber nicht nur von dieser Welt sind. Und daher die Frage: wie weit darf ich mich dieser Welt angleichen? Was verlangt angesichts der Vielfalt der Ideen die Reinheit des Christentums? Wenn ich annähernd das verstehe, was Papst Franziskus mit dem Begriff meint, dann ist es doch eher, dass sich die Kirche nicht in dem Sinne mit der Welt identisch machen darf, dass sie sich so stark in die Strukturen der Welt integriert. Sondern dass sie schaut, wie sie einen Reichtum aufgibt, der ihr neue Glaubwürdigkeit verschafft - eine Kirche, die zu den Armen geht. Wie kann die Kirche im Sinne der Caritas, im Sinne der Nächstenliebe, im Sinne des Sozialen tätig sein? Das ist für mich die Stoßrichtung von Franziskus.

KNA: Sie haben als Vorsitzender stets versucht, dem Papst Ihre Dialog- und Reform-Initiativen zu erläutern. Benedikt XVI. wirkte nicht wirklich begeistert. Ist das bei Franziskus anders?

Zollitsch: Diese Themen habe ich immer mit Papst Benedikt XVI. besprochen. Ich habe mich nie von ihm gebremst gefühlt in dem, was wir tun, weil er es wohlwollend begleitet hat. Mit Papst Benedikt habe ich mich häufig über den Dialog unterhalten. Jetzt entdecke ich, etwa in den Reden, die Papst Franziskus in Brasilien gehalten hat, in denen er häufig von Dialog spricht, starke Antworten aus dem Evangelium: Wie gehen wir auf die Menschen zu und nehmen ihre Anliegen ernst? Gerade im Blick auf unser Anliegen des Dialogs, wo wir aufeinander und gemeinsam auf Gott hören, um seinen Willen zu erkennen, fühle ich mich von vielen Äußerungen von Papst Franziskus voll bestätigt - das macht mir Hoffnung für die Zukunft unserer Kirche.

KNA: Seit 20 Jahren gilt in Deutschland ein relativ liberales Abtreibungsrecht. In der Bevölkerung scheint heute die Ansicht verbreitet, es gebe ein Recht auf Abtreibung?

Zollitsch: Es ist das passiert, was wir befürchtet haben. Wenn etwas nicht mehr unter Strafe steht, meint man, es sei erlaubt. Das Bewusstsein, dass die Tötung des ungeborenen Kindes ein Vergehen ist, kam abhanden. Ich habe mit vielen Politikern über das Thema gesprochen und immer wieder gehört: Ja, wir kennen den Auftrag des Verfassungsgerichtes, die Abtreibungsregelung zu überprüfen, aber wir wissen genau, dass wir für eine Änderung keine parlamentarische Mehrheit finden. Und das ist wohl auch wahr.

 


Erzbischof Zollitsch und ein Laie (KNA)
Erzbischof Zollitsch und ein Laie / ( KNA )
Quelle:
KNA