Bischof Ackermann zu den Ergebnissen der Missbrauchs-Studie

"Der Zölibat ist eher ein Schutzmoment"

Die Deutsche Bischofskonferenz und das Institut für Forensische Psychiatrie der Universität Duisburg-Essen haben heute in Trier die Ergebnisse der Studie "Sexuelle Übergriffe durch katholische Geistliche in Deutschland - Eine Analyse forensischer Gutachten 2000-2010" vorgestellt. Im domradio.de-Interview erläutert der Missbrauchsbeauftragte Bischof Stephan Ackermann die Ergebnisse.

 (DR)

domradio.de: 65 der 78 Täter lassen sich dem normalpsychologischen Bereich zuordnen und haben nicht im klinischen Sinn eine pädophile Neigung als Ursache. Das ist eine Zahl, die man so nicht unbedingt erwartet hätte. Hat Sie das Ergebnis überrascht?
Bischof Ackermann: Mich hat das Ergebnis insofern nicht überrascht, als ich natürlich ganz viel an Informationen, an Rückmeldungen und an Dingen gesehen habe in den letzten zwei Jahren. Natürlich ist es nochmal gut, das jetzt auf diese Wiese systematisch und mit Hilfe von externen Experten zu sehen. Aber für mich war das nicht erstaunlich. Es zeigt nur, dass natürlich das Feld dessen, worüber wir sprechen, wenn es um sexuellen Missbrauch geht, ein sehr breites Feld ist. Das zeigt ja die Studie. Das heißt es kann sein, dass es da Berührungen von Personen gibt, die aber vollständig bekleidet sind, gemeinsame Saunabesuche, dann aber bis hin zu intimem, sexuellen Verkehr. Das heißt zu Gewalthandlungen im ganz massiven Sinn. Das zeigt die Studie in dieser Breite noch einmal auf und wichtig ist auch zu sehen, dass der Anteil derjenigen, die wirklich im klinischen Sinne pädophil sind, also krank, dass dieser Prozentsatz doch sehr gering ist und statistisch gesehen übereinstimmt mit dem Mittel in der allgemeinen männlichen Bevölkerung.

domradio.de: Was sind das für 65 Fälle im "normalpsychologischen Bereich"? Was muss man sich darunter vorstellen?
Bischof Ackermann: Das sind natürlich verschiedene Formen von Grenzverletzungen und Grenzüberschreitungen. Wie gesagt können das einzelne Berührungen gewesen sein, die aber dann Betroffene gemeldet haben. Und es ist ja auch so, dass die Folgen und die Wirkungen von bestimmten Taten auf Personen sehr unterschiedlich sind. Es kann sein, dass jemand etwas, was in unserem Sinne und auch im strafrechtlichen Sinne eine massivste Tat ist, trotzdem irgendwie anders verarbeiten kann, als jemand, der vielleicht objektiv gesehen nicht das Opfer ist von einer massivsten, sexuellen Gewalterfahrung und trotzdem für sein Leben daran zu tragen hat. Die Studie zeigt eben, dass es eine ganze Reihe an Grenzverletzungen in unterschiedlicher Schwere und mit unterschiedlichem Schwergrad gibt. Und sie zeigt eben auch, dass vor allen Dingen krisenhafte Situationen, in denen die Priester waren, dann eine Gefahr darstellten für Personen, die sich ihnen anvertraut haben. Das ist glaube ich ein Punkt auf den man auch zukünftig ein besonderes Augenmerk legen muss.  

domradio.de: Ändert das Ergebnis dieser Studie jetzt etwas an der Ausrichtung von vorbeugenden Maßnahmen?
Bischof Ackermann: Für mich heißt das Ergebnis erstens natürlich: Das, was wir an Maßnahmen bereits festgelegt haben,  wirklich jetzt weiter systematisch und mit allem Ernst durchzuführen. Es sind ja die Maßnahmen, zu denen wir uns selber verpflichtet haben. Das sagt auch Professor Leygraf mit seinen Kollegen. Das sind die richtigen Maßnahmen auf diesem Weg weiterzugehen und das auch runterzubrechen in die verschiedenen Bereiche, eben auch durch die verschiedenen Schutzkonzepte in den Diözesen und in den kirchlichen Einrichtungen.

Ein zweiter Punkt ist natürlich, dass sich gezeigt hat, in der jüngeren Vergangenheit, da gab es dann auch begutachtete Fälle von Internetpornographie, das heißt von kinderpornographischem Material auf Computern. Das hat es natürlich in der Zeit der sechziger, siebziger und achtziger Jahre - das ist die Hochzeit der gemeldeten Fälle - nicht gegeben. Natürlich braucht der Bereich des Internets eine erhöhte Aufmerksamkeit. Da  würde ich sagen, das gehört mit dazu. Und diese krisenhaften Situationen, wie können wir als Bischöfe, als Verantwortliche, auch noch mehr dazu beitragen, dass da, wo jemand in eine Krise gerät, er einen Raum findet, Personen des Vertrauens, mit denen er das besprechen kann und wo es die Möglichkeit gibt, auch selber nochmal kritisch auf sich zu schauen und zu sehen, was geht bei mir vor. Wo gibt es möglicherweise Bedürfnisse, die aber nicht zusammengehen mit dem Versprechen, das ich abgelegt habe und mit dem Dienst, der mir aufgetragen ist.  

domradio.de: Sind das Dinge, die noch stärker im Priesterseminar thematisiert werden?
Bischof Ackermann: Natürlich muss man ganz klar sagen, die Priesterausbildung hat sich seit der Zeit, in der die Mehrzahl der Fälle stattgefunden hat, die uns vielfach aber erst in den letzten zwei Jahren gemeldet wurden, unglaublich verändert. Man kann sie nicht mehr vergleichen mit der Ausbildung Ende der sechziger oder in den siebziger Jahren. Trotzdem ist es natürlich wichtig - ich nenne nochmal den Bereich Internetpornographie, ich nenne auch nochmal diesen Bereich Krisensituationen. Die Ansprüche werden ja auch in den größeren pastoralen Räumen höher, der Druck wächst möglicherweise noch mehr an. Das sind ja Dinge die auch für Ausbilder wichtige Hinweise sind. Und Priesterausbildung ist immer in Veränderung, da heißt es immer weiter auch, soweit das eben geht, das zu optimieren und auf die gegebenen Verhältnisse anzupassen.

domradio.de: 65 Übergriffe im normalpsychologischen Bereich. Ist das nicht auch Wasser auf die Mühlen derer, die aus den Missbrauchsfällen Kritik am Zölibat üben?
Bischof Ackermann: Die Experten haben klar gesagt, dass der Zölibat kein ursächlicher Grund dafür ist. Im Gegenteil. Ich bin natürlich als Bischof ein bisschen vorsichtiger, aber Prof. Leygraf hat heute nochmal bei der Vorstellung der Studie gesagt, wahrscheinlich ist der Zölibat eher ein Schutzmoment, weil das ja mit einem hohen moralischen Anspruch verbunden ist und das auf diese Weise auch Männer abhält, Missbrauchstaten zu begehen. Wenn ich das als Bischof sage, wird mir das ja eigentlich nicht geglaubt. Deshalb ist es umso wichtiger, dass das unabhängige Experten sagen. Man muss ja auch nochmal festhalten, wenn die Studie zeigt, dass die Priester sich so verhalten, wie die männliche Allgemeinbevölkerung - also nicht besser und nicht schlechter - dann kann man sagen, das ist auf der einen Seite in dem Sinne beruhigend, dass man sagt, man hatte ja in den letzten zwei Jahren den Eindruck, die katholischen Geistlichen, die Ordenspriester, das ist die Hochrisikogruppe für unsere Gesellschaft, dieser Eindruck wird ja widerlegt durch die Studie. Auf der anderen Seite, wenn man sagt, das sind auch normale Menschen, ist das irgendwie auch enttäuschend. Aber das haben wir zur Kenntnis zu nehmen. Aber nochmal, wenn man der Kriminalstatistik glauben darf, dann geschehen die allermeisten Fälle im sozialen, nahen Raum, auch im familiären Bereich. Und da spielt ja dann zölibatäre Lebensweise keine Rolle.

domradio.de: Häufig wird den Studien vorgeworfen, dass sie zu "täterorientiert" sind. Auch hier geht es "nur" um die 78 Täter.
Bischof Ackermann: Das ist natürlich richtig. Die Studie nimmt die Täter in den Blick. Es ist aber nicht so, als wenn die Opfer nicht zu Wort kämen. Denn man muss ja wissen: Die Gutachten bestehen zum einen Teil aus den Interviews, aus den Gesprächen, die über Stunden geführt worden sind. Also zwischen den Psychologen, den Psychiatern und den betreffenden Priestern. Aber es sind natürlich auch die Unterlagen weitergegeben worden. Das heißt das, was Opfer gesagt haben uns als Bischöfen, den Personalreferenten. Was geschildert  worden ist, auch staatsanwaltschaftliche Ermittlungsakten - es ist ja nicht so, als wenn jemand der begutachtet wird einfach dahin fährt und dann der Gutachter nur das hört, was derjenige sagt, dass das sozusagen die einzige Grundlage wäre für die Begutachtung, sondern es gibt auch das Material, das von der anderen Seite beigesteuert wird und insofern natürlich kommen auch Betroffene darin zu Wort. Aber es ist richtig, die Studie in diesem Sinne ist täterorientiert, aber ich glaube die letzten Monate haben ja auch nochmal gezeigt, dass wir die Opferorientierung nicht aus dem Blick verlieren dürfen, aber wenn es um Prävention geht, natürlich auch auf die Täter schauen müssen, um von daher dann auch Erkenntnisse zu gewinnen, wo sind möglicherweise Gefahrenmomente, auch im kirchlichen Bereich, wie können wir die minimieren und wie können wir wirksame Schutzkonzepte etablieren.

Das Interview führte Mathias Friebe.