Überwiegend positive Resonanz auf neue Leitlinien

Mehr Lob als Tadel

Die neuen Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz zum Umgang mit sexuellem Missbrauch stoßen auf Zustimmung, aber auch auf Skepsis. Vor allem Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger bemängelt verbleibende Unklarheit oder fehlende Deutlichkeit. Die katholischen Verbände zeigen sich zufrieden.

 (DR)

Die Bundesregierung hat die neuen Leitlinien der deutschen katholischen Bischöfe zu sexuellem Missbrauch positiv bewertet. Ein Sprecher erklärte am Dienstagabend auf Anfrage in Berlin, die Regierung "begrüßt die Präzisierungen in den Leitlinien und hofft auf eine rasche Umsetzung in den Diözesen". Die Deutsche Bischofskonferenz, so der Regierungssprecher, habe sich in den vergangenen Monaten intensiv mit dem Thema sexueller Missbrauch durch Geistliche oder andere kirchliche Mitarbeiter beschäftigt. Die jetzt vorgestellten Leitlinien seien ein Fortschritt im Prozess der Aufarbeitung und Prävention.



Zuvor hatten Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) und Familienministerin Kristina Schröder (CDU) erkennbar unterschiedliche Bewertungen geäußert. Zwar sprach auch die Liberale anerkennend von "Bemühen" der deutschen Bischöfe um Klarstellungen. Die Klarstellung der Bischofskonferenz zeige auch, dass die katholische Kirche unabhängig vom Ansehen der Institution eine engere Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden anstrebe. Nicht ganz deutlich wird aber nach Meinung der FDP-Politikerin, wie innerhalb der Kirche künftig mit den Fällen umgegangen werden soll, in denen das mutmaßliche Opfer der Einschaltung der Staatsanwaltschaft ausdrücklich widerspricht. Außerdem bleibe unklar, ob innerkirchliche Voruntersuchungen künftig ausgesetzt werden sollten, um staatsanwaltschaftliche Ermittlungen nicht zu behindern.



Die Ministerin kündigte an, dass der Runde Tisch der Bundesregierung Leitlinien zur Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden vorschlagen werde, die als Handlungsempfehlung für alle betroffenen Institutionen gedacht sind. "Als generelle Handlungsmaxime gilt der Grundsatz der unverzüglichen Information der Strafverfolgungsbehörde über die Verdachtsfälle. Ausnahmen sind nur in einem sehr begrenzten Umfang vorgesehen, um Vertuschungen künftig zu verhindern oder zumindest wesentlich zu erschweren", sagte sie.



Schröder sprach derweil von einem "wichtigen Signal" auch für den Prozess, der am Runden Tisch der Bundesregierung ablaufe. "Die katholische Kirche geht den richtigen Weg, wenn sie für die Opfer und deren Angehörigen Hilfen anbietet oder vermittelt", erklärte Schröder weiter. Die frühzeitige Einschaltung staatlicher Verfolgungsbehörden und beispielsweise des Jugendamtes nannte die Ministerin "einen notwendigen und richtigen Schritt". - Schröder und Leutheusser-Schnarrenberger sind mit Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) Trägerin des Runden Tischs der Bundesregierung. Dessen Plenum kommt Ende September zum nächsten Mal zusammen.



Bergmann: "Schritt nach vorne"

Die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Christine Bergmann (SPD), sieht die neuen Leitlinien als "Schritt nach vorne". In einem Interview mit dem Südwestrundfunk begrüßte sie am Mittwoch, dass die Bischöfe eine generelle Anzeigepflicht vorsehen. Allerdings äußerte Bergmann Zweifel, ob die künftig einzusetzenden Missbrauchsbeauftragten in den Bistümern unabhängig handeln können.



Diese Regelung sei eine praktikable Lösung, sagte Bergmann. Sowohl kirchliche als auch staatliche Beratungsstellen berichteten immer wieder, dass mutmaßliche Opfer häufig keinen Strafantrag wünschten, weil sie sonst in Konflikte gerieten. Als "kritischen Punkt" sieht Bergmann, dass als Missbrauchbeauftragte Mitarbeiter der Kirche eingesetzt werden sollen. "Ich vertrete immer die größtmögliche Unabhängigkeit, das heißt, eine Person von außen", sagte sie.



Um Missbrauchsopfer materiell zu entschädigen, könne die katholische Kirche sofort eigene Regelungen treffen und müsse sich nicht an den Beschlüssen des Runden Tisches orientieren, sagte die Regierungsbeauftragte. "Es muss niemand auf uns warten", sagte Bergmann: "Bei uns dauert es noch ein bisschen."



Zentralkomitee: Opfer an erster Stelle

Die Richtlinien machten deutlich, dass "die Opfer an erster Stelle stehen und es keinen falsch verstandenen Schutz der Institution Kirche gibt", lobte der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Alois Glück, am Dienstag in Bonn. Er sprach von einem "klaren Signal gegen Vertuschung und Verschleierung".



Für Opfer und Öffentlichkeit gebe es jetzt ein transparentes Verfahren im Umgang mit Missbrauch, so Glück. Damit könne verlorenes Vertrauen zurückgewonnen werden. "Gerade die Regelungen zu den Beauftragten und fachkundigen Beratern sowie zum Umgang mit den staatlichen Strafverfolgungsbehörden schaffen einen Raum, der den Opfern den Weg zu kirchlichen Stellen neu öffnet", betonte der ZdK-Präsident. Auch die Regelungen zur Hilfe für die Opfer setzten ein klares Signal dafür, dass sich die Kirche ihrer Verantwortung stellen wolle. Nach Glücks Worten zeigen die Richtlinien "in aller Klarheit", dass es für Täter keinen Platz in der kirchlichen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen gebe.



Der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) sprach von einer notwendigen Verschärfung. Die Regelungen böten "einen besseren Schutz für junge Menschen und stellen die Perspektive der Opfer in den Vordergrund", sagte der Bundesvorsitzende Dirk Tänzler in Düsseldorf. "Wir dürfen aber jetzt nicht zur Tagesordnung übergehen", meinte er. Die Bischöfe müssten eine lückenlose Aufklärung sicherstellen und sich einem offenen und angstfreien Dialog über die Zukunft der Kirche stellen.



Die Kirchenvolksbewegung "Wir sind Kirche" sprach von Fortschritten, die aber noch nicht ausreichten. Ihr Sprecher Christian Weisner lobte die präzisere Anzeigenpflicht, kritisierte aber, dass die Ansprechpartner für Missbrauchsopfer nach wie vor aus dem inneren Bereich der Kirche kommen könnten. Sie seien damit im Zweifelsfall nicht unabhängig genug; Interessenkonflikte seien nicht ausgeschlossen. Weisner kritisierte auch, dass es keine konkreten Zusagen zur Entschädigung gebe. Die katholische Kirche in Österreich habe sich da deutlicher festgelegt.



Die Opfergruppe "Eckiger Tisch" bezeichnete die neuen Leitlinien als "längst überfällig". Zugleich kritisierte deren Sprecher Matthias Katsch, dass es keine konkrete Aussage der Bischöfe darüber gebe, wie mit der Vergangenheit umgegangen werden solle. Mehrere Hundert Opfer von Missbrauch in kirchlichen Einrichtungen sowie deren Angehörige warteten weiterhin auf ein Angebot, damit ihnen Genugtuung verschafft werde. Die Deutsche Kinderhilfe erklärte, die Leitlinien seien eine deutliche Verbesserung. Sie sollten auch Signalwirkung für andere Gruppen wie etwa Sportvereine haben.



Die Bischöfe hatten ihre "Leitlinien zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch" in mehrmonatigen Beratungen verschärft und am Nachmittag in Trier vorgestellt. Dabei entschieden sie sich bei der unter Fachleuten umstrittenen Anzeigepflicht für einen Kompromiss: Erhärtet sich bei Gesprächen zwischen potenziellen Opfern und Missbrauchsbeauftragten ein Verdacht auf Missbrauch, muss die Kirche die Informationen an die Strafverfolgungsbehörden weiterleiten. Eine Ausnahme ist nur dann zulässig, wenn das Opfer ausdrücklich auf einen solchen Schritt verzichten will und dies schriftlich dokumentiert wird.


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